OGH 14Os75/07x

OGH14Os75/07x31.7.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Juli 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Höller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adil K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 2. März 2007, GZ 435 Hv 1/07y-74, sowie die Beschwerde gegen den hiebei gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Adil K***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Demnach hat er am 30. Juli 2006 in Wien Cordula K***** durch Versetzen von zahlreichen Messerstichen vorsätzlich getötet.

In ihrem Wahrspruch hatten die Geschworenen die an sie gerichtete Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes bejaht, die hierauf bezogene Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungsgrund der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) verneint und demgemäß die Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags sowie die daran geknüpfte Zusatzfrage unbeantwortet gelassen.

Die vom Angeklagten dagegen aus den Gründen der Z 5, 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung des unter Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 26. Jänner 2007 (ON 69) gestellten Antrags „auf Ausfertigung einer schriftlichen Mitschrift der zuvor vorgeführten Tonbandkassette" (S 483/II) Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt. Denn das in Rede stehende Tonband wurde in der Hauptverhandlung ohnedies abgespielt (S 369/II).

Solcherart wurde dieses Beweismittel - dem Grundsatz der Unmittelbarkeit entsprechend - gemäß § 246 Abs 1 StPO den Laienrichtern zur Kenntnis gebracht, indem es diesen unmittelbar vorgeführt wurde. Warum der beantragten „Verschriftung der auf der Kassette enthaltenen Äußerungen" weitere Anhaltspunkte für das Vorliegen eines allgemein begreiflichen heftigen Affekts, in dem sich der Angeklagte zur Tat habe hinreißen lassen, entnehmbar seien, wurde bei der Antragstellung nicht dargetan. Im Übrigen wurde der Inhalt der Aufzeichnung weder vom Angeklagten noch von Seiten der Staatsanwaltschaft (vgl insbesondere die Äußerung des Staatsanwalts [S 483/II]) bestritten, weshalb es auch aus diesem Grund keiner schriftlichen Übertragung der Tonbandaufnahme bedurfte. Die zur Antragsfundierung erstatteten Nachträge sind zufolge des Neuerungsverbotes prozessual verspätet und unbeachtlich, weil bei der Prüfung der Berechtigung eines Antrages die Verfahrenslage bei Antragstellung maßgeblich ist (14 Os 83/00; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Im Rahmen der Fragenrüge (Z 6) moniert der Angeklagte eine Verletzung der Vorschrift des § 312 Abs 1 StPO. Die seiner Ansicht nach undeutliche Formulierung der Hauptfrage nach Mord habe die Laienrichter daran gehindert, sich mit der Vorsatzfrage zu befassen, hätten die Geschworenen doch „bei deutlicher Bezeichnung der Tat" zu dem Schluss gelangen können, „dass der letztlich eingetretene Verblutungstod der Cordula K***** aufgrund vielfacher mehr oder weniger schwerer Verletzungen vom Vorsatz des Angeklagten nicht umfasst war".

Gemäß § 312 Abs 1 StPO sind alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung in die Hauptfrage aufzunehmen und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw soweit beizufügen, als es zur deutlichen Kennzeichnung der Tat im Urteil - welches ja sonst (in den Gründen) keine Sachverhaltsschilderungen enthält (§ 342 StPO) - oder für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche notwendig ist. Einer darüber hinausgehenden „Spezialisierung" bzw einer näheren Erläuterung des Tatherganges, also einer erschöpfenden Beschreibung des gesamten Geschehens in allen Einzelheiten, bedarf es hingegen nicht. Aus dem Wahrspruch müssen vielmehr lediglich alle schuldbezogenen Elemente, die als erwiesen angenommen oder verneint worden sind, hervorkommen.

Im gegenständlichen Fall kam die Möglichkeit einer Beirrung der Geschworenen bei ihrer subjektiven Tatbeurteilung schon deshalb nicht in Betracht, weil das subjektive Tatbestandskriterium vorsätzlicher Tatbegehung sogar ausdrücklicher Inhalt der Hauptfrage nach Mord war. Hinzu kommt, dass auch im Rahmen der schriftlichen Rechtsbelehrung explizit auf dieses Vorsatzerfordernis hingewiesen wurde (S 4 der Rechtsbelehrung Beil ./C).

Im Weiteren reklamiert die Fragenrüge (Z 6) das Fehlen von Eventualfragen in Richtung §§ 83 Abs 1, 86 bzw 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB, deren Stellung aufgrund der im Gutachten des gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr. M***** dargestellten Vielzahl von mehr oder minder schweren Verletzungen geboten gewesen sei. Gemeinsame Voraussetzung für Zusatzfragen und Eventualfragen an die Geschworenen ist, dass in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden (§ 313 StPO) bzw - hier nach der Beschwerde allein aktuell - nach denen die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte (§ 314 Abs 1 StPO).

Die allgemein gehaltene, nicht substantiierte Behauptung irgendeines aus den Beweisergebnissen abgeleiteten Umstands bzw einer denkmöglichen Variante genügt diesem Erfordernis nicht, weil die Fragestellung nicht dazu dient, einen Wahrspruch über Mutmaßungen einzuholen (15 Os 197/98; 12 Os 53/92; Schindler, WK-StPO § 313 Rz 12).

Die im gerichtsmedizinischen Gutachten in der Befundaufnahme festgehaltenen vielfachen, unterschiedlich schweren Verletzungen lassen für sich allein keine Schlussfolgerung auf die für die begehrten Eventualfragen essentielle subjektive Tatseite zu. Sonstige Beweisergebnisse, die im Zusammenhalt mit dieser Befundung entsprechende zusätzliche Fragen iSd § 314 StPO indizieren könnten, werden aber vom Beschwerdeführer nicht aufgezeigt.

Aber auch unter Berücksichtigung der Bekundungen des Sachverständigen kann bei Beurteilung der Verantwortung des Angeklagten von einem in Richtung der oben angeführten Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang bzw der absichtlichen schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang weisenden Vorbringen keine Rede sein. Denn der Angeklagte hat sich weder im Vorverfahren (siehe insbesondere S 135 verso/I: „Ich wollte sie weder verletzen noch töten, ich wollte eigentlich nichts tun". sowie S 137a/I: „... bekenne mich daher schuldig im Sinne eines Totschlags") noch insbesondere in der Hauptverhandlung (S 335/II - „Ich bekenne mich schuldig Richtung Totschlag") darauf berufen, bei Versetzen der Messerstiche in subjektiver Hinsicht bloß mit Verletzungsvorsatz bzw mit der für den Tatbestand nach § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB essentiellen Absicht gehandelt zu haben. So gab der Angeklagte in der Hauptverhandlung lediglich an, „ohne darüber nachzudenken" auf Cordula K***** eingestochen zu haben. Darüber hinaus waren seine Angaben zum eigentlichen Tatgeschehen nicht sehr ergiebig, vielmehr sogar insoweit widersprüchlich, als er sein Erinnerungsvermögen an die inkriminierten Tathandlungen sowohl bejahte als auch verneinte (vgl insbesondere seine Aussage in der Hauptverhandlung S 357/II). Den Nichtigkeitsgrund der Z 8 erblickt der Beschwerdeführer in einer - seiner Meinung nach einer Unrichtigkeit gleichkommenden - Unvollständigkeit der den Geschworenen erteilten Rechtsbelehrung zur (unbeantwortet gebliebenen) Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB), weil darin nicht klargelegt worden sei, dass fallbezogen unter der Maßfigur iSd § 76 StGB ein „rechtsgetreuer Durchschnittsmensch türkischer Abstammung mit vergleichbaren türkischen sozio-physischen Eigenschaften" zu verstehen sei. Abgesehen davon, dass die Rechtsbelehrung hinsichtlich einer nur für den Fall der Verneinung einer - jedoch bejahten - Hauptfrage und solcherart im Ergebnis nicht gestellten Eventualfrage hier nicht erfolgversprechend gerügt werden kann (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63), trifft es zu, dass die Maßfigur sich dem individuellen Täter hinsichtlich sozialer Stellung, Lebenskreis, Beruf, Bildung, Herkunft usw möglichst annähern muss (Moos in WK² § 76 Rz 33; Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 26). Diesem Erfordernis trägt die Formulierung der Rechtsbelehrung zu den Tatbestandskriterien des § 76 StGB durch den - vom Beschwerdeführer übergangenen - Satz: „Die Gemütsbewegung - und nicht die Tat - muss 'allgemein begreiflich' sein, dh, dass sich auch der rechtsgetreue Durchschnittsmensch mit vergleichbaren sozio-physischen Eigenschaften vorstellen könnte, in dieser Situation gleichfalls in eine solche Gemütsverfassung zu geraten" (S 5 der Rechtsbelehrung Beil ./C) ausreichend Rechnung. Weitergehende Erläuterungen waren überdies auch schon deshalb entbehrlich, weil der Angeklagte - was den Geschworenen auch bekannt war (vgl insbesondere die Angaben zu seinen Generalien in der Hauptverhandlung S 331, 335/II) - zwar in der Türkei geboren wurde, aber schon 1980 gemeinsam mit seinen Eltern nach Österreich kam und fortan hier aufwuchs, die Schule besuchte, eine Lehre absolvierte, arbeitete und zu Beginn des Jahres 2006 eine eigene Firma zu gründen trachtete. Allein mit dem Hinweis auf seine Herkunft aus der Türkei vermag der Nichtigkeitswerber daher eine in anderen Sittenvorstellungen wurzelnde besondere „Affektanfälligkeit" nicht darzutun (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 76 Rz 26).

Mit dem ausschließlichen Hinweis auf das gerichtsmedizinische Sachverständigengutachten, wonach (erst) die „Summe der Gesamtverletzungen" (zahlreiche Stich- und Schnittwunden) über einen Verblutungsmechanismus zum Todeseintritt führte, zeigt die Tatsachenrüge (Z 10a) keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen auf. Das ins Treffen geführte Argument, das Gutachten des Sachverständigen Dr. M***** lasse „eine Qualifikation der dem Angeklagten angelasteten Tat auch nach § 87 Abs 2 zweiter Fall oder § 86 StGB zwanglos" zu, erschöpft sich - erneut - in dem Bestreben, einer dem Beschwerdeführer günstiger erscheinenden (von ihm selbst bislang aber gar nicht ins Spiel gebrachten) Tatversion zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde (§§ 285i, 344, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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