OGH 14Os71/18z

OGH14Os71/18z3.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache des Privatanklägers Hubert K***** gegen Jasmina K***** wegen des Vergehens der Begehung eines Diebstahls im Familienkreis nach § 166 Abs 1 StGB (iVm §§ 127, 128 Abs 2 StGB), AZ 31 U 131/15w des Bezirksgerichts Döbling, über die von der Generalprokuratur gegen das Unzuständigkeitsurteil dieses Gerichts vom 23. Juni 2016, AZ 31 U 131/15w, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur

Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Privatanklagevertreters Mag. Heck und der Verteidiger der (vormals) Angeklagten Dr. Krebs und Mag. Machac zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00071.18Z.0803.000

 

Spruch:

 

Das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 23. Juni 2016, AZ 31 U 131/15w, verletzt in seiner Begründung §§ 127, 128 Abs 2 StGB und § 166 Abs 1 und 3 StGB sowie im Ausspruch über die sachliche Unzuständigkeit §§ 447, 261 Abs 1 StPO.

 

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Wien zu AZ 43 St 256/15a wegen §§ 127, 128 Abs 2; 146, 147 Abs 3 StGB geführten Ermittlungsverfahren stand Jasmina K***** aufgrund einer – mittels direkt an die Staatsanwaltschaft Wien gerichteter Sachverhaltsdarstellung (ON 2) und anlässlich einer Vernehmung durch die Kriminalpolizei (ON 3 S 4, 19 ff) erstatteten – Anzeige ihres Ehemannes Hubert K***** (soweit hier wesentlich) im Verdacht, sie habe diesem im August 2015 Goldbarren sowie über 140 (vinkulierte) Sparbücher weggenommen und von diesen einen zwei Millionen Euro übersteigenden Betrag behoben.

Nach Einlangen des Abschlussberichts der Kriminalpolizei, der eine Vernehmung der Beschuldigten (§ 164 StPO) zum Sachverhalt enthielt (ON 3 S 23 ff), verfügte die Staatsanwaltschaft Wien am 9. November 2015 hinsichtlich aller Tatvorwürfe die Einstellung des Verfahrens gemäß § 190 Z 1 StPO, weil es sich dabei „um ein Privatanklagedelikt“ handle (ON 1 nach S 5 [nicht journalisiert]).

Mit am 18. Dezember 2015 beim Bezirksgericht Döbling zu AZ 31 U 131/15w eingebrachter Privatanklage legte Hubert K***** Jasmina K***** zur Last, sie habe am 28. August 2015 in W***** „mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung und Realisierung von fremden beweglichen Sachen, nämlich von vinkulierten Sparbüchern und drei Goldbarren des Privatanklägers, unrechtmäßig zu bereichern, den Privatankläger in seinem Vermögen geschädigt, wobei der Schaden 2.120.304 Euro beträgt und somit 50.000 Euro bei weitem übersteigt“. Hiedurch habe sie „das Verbrechen des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2 StGB begangen“ und werde „hierfür nach § 166 StGB zu bestrafen sein“ (ON 2 in ON 5).

Nach Durchführung der Hauptverhandlung (ON 11, 13 und 15 in ON 5) sprach das Bezirksgericht Döbling mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Unzuständigkeitsurteil vom 23. Juni 2016 (ON 15 S 34 f in ON 5 sowie die unleserlich in ON 5 journalisierte Urteilsausfertigung) seine sachliche Unzuständigkeit aus.

In der Begründung sah das Gericht aufgrund der insoweit übereinstimmenden Angaben des Privatanklägers und der Angeklagten als erwiesen an, dass zwischen den Genannten am 15. September 2014 die Ehe geschlossen wurde, der Privatankläger „Sparbücher mit Losungswort“, auf denen er einen aus dem Verkauf seines Unternehmens im November 2014 lukrierten Betrag von 2,8 Millionen Euro in Kleinbeträge „gesplittet“ angelegt hatte, zusammen mit drei Goldbarren in einem Safe im gemeinsam bewohnten Haus aufbewahrte und die Angeklagte, der sowohl die Losungswörter der Sparbücher als auch der Code zum Safe bekannt waren, Ende August 2015 Sparbücher im Wert von zumindest 1,5 Millionen Euro auflöste, nachdem der Privatankläger am 18. August 2015 beim Bezirksgericht Döbling die Scheidungsklage eingebracht hatte (US 2).

„Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens“ bestünde der Verdacht, Jasmina K***** habe den Privatankläger nur geheiratet, um (so schnell wie möglich und vor dessen Ableben) an sein Vermögen zu gelangen und seine „Sparbücher und Goldbarren ... im Wert von insgesamt 2.120.304 Euro … mit dem Vorsatz weggenommen ..., sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern“ (US 3, 6).

Auf dieser Basis vertrat das Bezirksgericht– unter Berufung auf RIS‑Justiz RS0110751 – die Ansicht, dass die Annahme eines dem Verbrechen des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2 StGB zu subsumierenden Verhaltens, demnach der Begehung einer in die Zuständigkeit des „Landesgerichts“ fallenden strafbaren Handlung nahe liege und „nach bisheriger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs“ nicht von der Anwendbarkeit der Privilegierung nach § 166 Abs 1 StGB auszugehen“ sei (US 7 f).

Mit Verfügung vom 29. Dezember 2016 übermittelte die Bezirksrichterin den Akt an die Staatsanwaltschaft Wien „zur weiteren Veranlassung unter Hinweis auf das Urteil“ ([als ON 18 journalisiertes] letztes Blatt des Anordnungs- und Bewilligungsbogens ON 1 in ON 5). Diese verfügte (nach „Fortführung des Verfahrens gegen Jasmina K***** wegen §§ 127, 128 Abs 2; 146, 147 Abs 3 StGB gemäß § 193 Abs 2 StPO“) am 15. Februar 2017 erneut die „Einstellung des Verfahrens gemäß § 190 Z 1 StPO“, weil es sich bei den Vorwürfen um „ein Privatanklagedelikt“ handle ([nicht journalisiertes] letztes Blatt des Anordnungs- und Bewilligungsbogens ON 1 sowie ON 10). Die Einstellungsbegründung (ON 10) wurde dem (damaligen) Privatanklagevertreter mit Verfügung vom 2. März 2017 zugestellt (erneut [nicht journalisiertes] letztes Blatt der ON 1).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gegen das vorangeführte Unzuständigkeitsurteil des Bezirksgerichts Döbling vom 23. Juni 2016, AZ 31 U 131/15w, ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht dieses mit dem Gesetz mehrfach nicht in Einklang:

1) Ein vinkuliertes Sparkasseneinlagebuch ist– ohne Rücksicht darauf, ob dem Täter das Losungswort bekannt ist – kein taugliches Tatobjekt eines Diebstahls. Die Wegnahme eines solchen Sparbuchs, über das der Täter nicht (allein) verfügungsberechtigt ist, begründet – bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale – das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB. Unternimmt es der Täter – wovon das Bezirksgericht vorliegend gar nicht ausging – in weiterer Folge, ein Sparkasseneinlagebuch dadurch zu realisieren, dass er einen anderen durch Täuschung über seine Berechtigung zur Verfügung über die betreffende (wie hier 300.000 Euro übersteigende) Spareinlage zu deren Auszahlung verleitet, hat er bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale – in echter Realkonkurrenz zu § 229 Abs 1 StGB – das Verbrechen des Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 3 StGB zu verantworten (RIS‑Justiz RS0091260, RS0093543; vgl auch Stricker in WK2 StGB § 127 Rz 74 mwN; Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 229 Rz 48; Kirchbacher in WK2 StGB § 146 Rz 143).

Die rechtliche Beurteilung des als wahrscheinlich (im Sinn eines Anschuldigungsbeweises; vgl dazu RIS‑Justiz RS0124012) angesehenen Verhaltens der Angeklagten als Verbrechen des schweren Diebstahls verletzt demnach in Bezug auf die konstatierte Zueignung einer nicht näher bezeichneten Anzahl vinkulierter Sparbücher des Privatanklägers mit einem Einlagestand von zumindest 1,5 Millionen Euro (US 2 f iVm US 7) §§ 127, 128 Abs 2 StGB.

2) § 166 StGB privilegiert – mit Ausnahme der hier nicht relevanten, in §§ 129 Z 4, 131 StGB genannten Fälle – (auch) die Begehung von Diebstählen im Familienkreis durch geringere Strafdrohungen sowie durch die Anordnung, dass der Tatverdächtige nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen ist und stellt dabei darauf ab, dass Täter und wirtschaftlich Geschädigter zur Tatzeit Angehörige im Sinn des § 72 StGB sind. Bei nahen Angehörigen, wie (hier) Ehegatten, kommt es – wie (mit Blick auf US 7) klarstellend anzumerken ist – nicht zusätzlich darauf an, dass diese zur Tatzeit in Hausgemeinschaft leben (Kirchbacher in WK² StGB § 166 Rz 1, 7 ff, 16).

Diese Voraussetzungen liegen in Ansehung der– der Angeklagten weiters angelasteten, nach den Verdachtsannahmen des Bezirksgerichts Döbling während aufrechter Ehe zum Nachteil ihres Ehemannes begangenen – Wegnahme von drei Goldbarren in nicht näher festgestelltem Wert (US 2 f) vor. Ihre Motive für die Eheschließung ändern daran – entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung (US 7 f) – nichts (vgl dazu auch Kirchbacher in WK² § 166 Rz 12).

Soweit das Bezirksgericht seine gegenteilige Ansicht auf eine einzelne, in der Literatur übrigens kritisierte (vgl dazu gleich unten) Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (12 Os 81/98) stützt, verkennt es zunächst, dass dieser ein anders gelagerter Sachverhalt, nämlich die Begehung eines – hier nicht konstatierten – Betrugs, dessen wesentliches Planelement (neben der Vortäuschung der spezifischen Verwendung einer erschlichenen Mitgift vor allem und in erster Linie) die arglistige Vorspiegelung eines ernsthaften Ehewillens war, zugrunde lag.

Davon abgesehen findet – losgelöst von dieser Fallkonstellation – eine Einschränkung der Privilegierung in Bezug auf Fälle, in denen der Täter die Ehe in Wahrheit allein zum Zwecke der Deliktsbegehung sowie zeitlich begrenzt bis zum Eintritt des gewollten Erfolgs anstrebt und durch Täuschung darüber erreicht, im äußersten Wortsinn des § 166 StGB keine Deckung. Einer entsprechenden Lückenschließung durch teleologische Reduktion steht § 1 StGB entgegen (eingehend dazu Burgstaller, JBl 1999, 544 [Entscheidungsanmerkung]; vgl auch Kirchbacher in WK2 StGB § 146 Rz 165 sowie erneut § 166 Rz 12; Leukauf/Steininger/Flora, StGB4 § 166 Rz 7 [jeweils mwN]).

Die Annahme der Nichtanwendbarkeit von § 166 Abs 1 StGB verletzt demnach das Gesetz in dieser Bestimmung.

3) Aus dem zu 2) aufgezeigten Rechtsfehler folgt, dass der der Privatanklage (ON 2 in ON 5) unter anderem zugrunde liegende Vorwurf der unberechtigten Wegnahme der Goldbarren des Privatanklägers (US 2 f) einen in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit (§ 30 Abs 1 StPO) fallenden Verdacht einer strafbaren Handlung nach § 166 Abs 1 StGB iVm § 127 StGB begründet, weshalb der im Urteil auch insoweit erfolgte Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit §§ 447, 261 Abs 1 StPO verletzt.

Bleibt in diesem Zusammenhang klarstellend anzumerken, dass dieser Ausspruch selbst auf der Basis der rechtlichen Überlegungen des Bezirksgerichts Döbling (Verdacht nach den §§ 127, 128 Abs 2 StGB [US 7 f]) verfehlt war, weil die Angeklagte in diesem Fall (mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach § 166 Abs 3 StGB) nicht bloß auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen und insoweit ein Freispruch nach § 259 Z 1 StPO geboten gewesen wäre.

Da hinsichtlich des nach dem Vorgesagten § 166 Abs 1 StGB zu unterstellenden Tatvorwurfs (nach dem Akteninhalt) zwischenzeitig die Verjährung der Strafbarkeit eingetreten ist (§ 57 Abs 3 fünfter Fall StGB) und eine weitere Verfolgung der Jasmina K***** wegen § 229 Abs 1 StGB mit Blick auf die (auch) hinsichtlich der Wegnahme der Sparbücher nach § 190 Z 1 StPO erfolgte Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft (RIS‑Justiz RS0129011; Nordmeyer , WK‑StPO § 193 Rz 23; § 195 Abs 2 StPO) nicht mehr in Betracht kommt, ist ein aus den zu 1 bis 3 angeführten Gesetzesverletzungen resultierender Nachteil für die Angeklagte (vgl RIS‑Justiz RS0108369) nicht auszumachen, weshalb es mit deren

Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 letzter Satz StPO).

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