OGH 14Os67/13d

OGH14Os67/13d11.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juni 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bitsakos als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard S***** und eine Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Evelyn S***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 31. Jänner 2013, GZ 072 Hv 101/12t‑98, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten Evelyn S***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Gerhard S***** und Evelyn S***** (diese zu B iVm § 2 StGB) jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A/I), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A/II) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (A/III) schuldig erkannt.

Danach haben in Wien

(A) Gerhard S***** zwischen einem nicht festgestellten Zeitpunkt im Jahr 2010 und dem 26. März 2012

I) dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen mit unmündigen Personen unternommen, indem er an der am 15. August 2001 geborenen Cornelia K***** und der am 14. Juli 2004 geborenen Nicole H***** „Oralverkehr“ durchführte;

II) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen, indem er die zu A/I genannten Opfer wiederholt im Scheidenbereich streichelte;

III) die zu A/I und II beschriebenen geschlechtlichen Handlungen an minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, unter Ausnützung seiner Stellung diesen gegenüber, vorgenommen;

(B) Evelyn S***** die unter Punkt A/I bis III beschriebenen strafbaren Handlungen begangen, indem sie es unterließ, Gerhard S***** von deren Begehung abzuhalten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus dem Gründen der Z 3, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Evelyn S***** ist nicht im Recht.

Zu Unrecht wendet sich die Verfahrensrüge (Z 3) gegen einen Vorhalt aus den „Krisenzentrumstages-protokollen“ anlässlich der Vernehmung der als Sozialpädagogin beim Amt für Jugend und Familie des Magistrats Wien beschäftigten Zeugin Mag. Julia Ho***** in der Hauptverhandlung (ON 97 S 55). Das grundsätzlich auch bei derartigen Vorhalten beachtliche (Kirchbacher, WK‑StPO § 246 Rz 204) Verlesungsverbot des § 252 Abs 1 StPO erfasst ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ nur Protokolle oder andere amtliche Schriftstücke, in denen (nach der Zielsetzung bei ihrer Errichtung) Aussagen von Zeugen oder Mitbeschuldigten festgehalten worden sind (vgl RIS-Justiz RS0117259; zum Begriff Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 28 ff). Zusammenfassende „Protokolle“ des Tagesablaufs in einem so genannten „Krisenzentrum“ mit resümierender Darstellung des Inhalts zwischen Kindern und sie betreuenden Sozialpädagoginnen geführter Gespräche fallen nicht darunter, selbst wenn diese (auch) den Hergang im späteren Strafverfahren gegenständlicher Taten betreffen. Im Übrigen wäre der Rüge schon wegen des (einverständlichen) Vortrags (§ 252 Abs 2a StPO) ausdrücklich auch des Anlassberichts der Kriminalpolizei samt den angesprochenen Tagesprotokollen kein Erfolg beschieden (vgl RIS-Justiz RS0118778 [T3]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 236).

Der von der Mängelrüge erhobene Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) geht ins Leere, weil den Feststellungen unmissverständlich zu entnehmen ist, dass die Opfer während ihrer Besuche bei der Beschwerdeführerin und dem Mitangeklagten unter deren Aufsicht standen und sich im Rahmen dieser Besuche entweder in deren (gemeinsamer) Wohnung aufhielten oder es zu gemeinsamen „Unternehmungen“ kam (US 5 f). Weshalb es davon ausgehend unklar sein soll, ob sich die Aufsichtspflicht der Beschwerdeführerin auch auf diese Unternehmungen erstreckte, vermag die Rüge nicht darzulegen. Ebenso wenig zeigt sie mit dem Hinweis auf eine ‑ aus dem Zusammenhang gerissene ‑ Formulierung, wonach Gerhard S***** die Taten anlässlich von Besuchen der Opfer in „seiner Wohnung“ (US 6) verübt hätte, einen Widerspruch (Z 5 dritter Fall) auf. Die Feststellungen lassen in ihrer Gesamtheit (US 5) nämlich keinen Zweifel, dass damit nicht die (von ihm gar nicht benützte) Hauptmietwohnung dieses Angeklagten gemeint war.

Das Erstgericht stützt die Feststellungen zu den Tathandlungen des Gerhard S***** im Wesentlichen auf die Angaben der Zeugin Cornelia K***** (US 8 f). Im Hinblick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war es ‑ dem weiteren Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider ‑ nicht verhalten, Konstatierungen zum Tatort gesondert auf Beweisergebnisse zurückzuführen. Eine Begründung für diese Feststellungen findet sich im Übrigen ‑ von der Mängelrüge übergangen (vgl RIS-Justiz RS0119370) ‑ auch im Hinweis auf weitere Beweisergebnisse, insbesondere die Aussage der Zeugin Mag. Julia Ho***** und die von ihr verfassten Gesprächsnotizen (US 11).

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) aus vom Erstgericht angeführten (vgl US 8 f und 11 f) Prämissen für die Beschwerdeführerin günstigere Schlussfolgerungen zieht, weckt sie keine erheblichen Bedenken im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099674).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt anzumerken, dass die Beschwerdeführerin auf Basis der getroffenen Feststellungen die ihr angelasteten strafbaren Handlungen nicht als unmittelbare Täterin, sondern (nur) als Beitragstäterin gemäß § 12 dritter Fall StGB verwirklicht hat (Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 30 und § 212 Rz 13; Kienapfel/Schmoller, StudB BT III2 §§ 206-207 Rz 47; Fuchs AT I8 37/91; RIS-Justiz RS0108869; 10 Os 15/87; vgl Hilf in WK2 StGB § 2 Rz 159 und 162; RIS-Justiz RS0089094). Angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen (RIS-Justiz RS0117604) ergibt sich daraus keine Notwendigkeit für eine amtswegige Maßnahme (§ 290 Abs 1 StPO).

Weiters ist zur Klarstellung anzuführen, dass das Ansetzen der Zunge an der Vagina des Opfers nur dann einem Unternehmen einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung im Sinn des § 206 Abs 1 StGB entspricht, wenn das Berühren des äußeren Geschlechtsteils mit dem geforderten Pentrationsvorsatz verbunden ist (vgl Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 12; 12 Os 4/10w; 12 Os 183/11w; RIS‑Justiz RS0095114), wovon die Tatrichter vorliegend ‑ mit Blick auf die Konstatierungen, wonach der Angeklagte Gerhard S***** bewusst einen „Oralverkehr“ an seinen beiden Stiefenkelinnen durchführen wollte (wobei dies auch vom Vorsatz der Beschwerdeführerin umfasst war; US 6), im Verein mit den ausdrücklich auf das (auf der subjektiven Tatseite) notwendige Penetrationselement hinweisenden Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung (US 14) ‑ deutlich genug ausgingen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19).

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