OGH 14Os23/11f

OGH14Os23/11f28.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Sabine F***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Sabine F***** und Peter N***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 2. Dezember 2010, GZ 26 Hv 148/10h‑31, sowie die Beschwerde des Peter N***** gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil und demzufolge der Peter N***** betreffende Beschluss auf Verlängerung der Probezeit der mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. November 2007, GZ 9 U 186/07a-14, gewährten bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sabine F***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (A) und Peter N***** des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB (B) schuldig erkannt.

Danach haben in Innsbruck

A) Sabine F***** zwischen 14. Dezember 2009 und 13. Februar 2010 als Leiterin der Einlauf‑ und Informationsstelle der Staatsanwaltschaft Innsbruck, sohin als Beamtin, mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf effektive Durchführung von „staatsanwaltschaftlichen“ Ermittlungsverfahren und insbesondere von rechtmäßig angeordneten Überwachungsmaßnahmen gemäß § 134 Z 3 StPO zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie, obwohl sie wusste, dass sie zur Geheimhaltung aller ihr ausschließlich kraft ihres Amtes zugänglich gewordener Geheimnisse auch unbeteiligten Dritten gegenüber verpflichtet war, mit auf Kenntniserlangung der Information durch den von der Telefonüberwachung Betroffenen sowie auf Vereitelung des Zwecks des geheimen Ermittlungsverfahrens und der angeführten „heimlichen“ Ermittlungsmaßnahme gerichtetem Vorsatz dem Peter N***** mitteilte, dass bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck ein Ermittlungsverfahren gegen Markus S***** wegen Zuhälterei und eines Verbrechens nach dem Suchtmittelgesetz anhängig sei und dessen Telefonanschluss überwacht werde;

B) Peter N***** am 28. März 2010 als Zeuge in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt, indem er im Ermittlungsverfahren des Landeskriminalamts Tirol gegen einen unbekannten Beamten wegen des Verdachts der Offenbarung einer geheimen Überwachung des Telefonanschlusses des Markus S***** angab, er könne keine Namen von Personen nennen, die ihm erzählt hatten, dass Markus S***** Drogen verkauft haben soll, sowie S***** hätte am 13. Februar 2010 bereits vor seinem Gespräch mit ihm von der Überwachung seines Telefones gewusst und die unter Punkt A) geschilderte Mitteilung der Sabine F***** an ihn verschwieg.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil ein ‑ nicht geltend gemachter ‑ Rechtsfehler mangels Feststellungen, somit Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, die sich zum Nachteil der Sabine F***** auswirkt und daher amtswegig wahrzunehmen war (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Denn die insoweit über das Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nicht hinausgehenden Feststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; US 5) bieten keine tatsächliche Grundlage für die Beurteilung der Frage, welches Amtsgeschäft Sabine F***** im Rahmen der Hoheitsverwaltung unter wissentlichem Fehlgebrauch ihrer Befugnis vorgenommen haben soll.

Bleibt anzumerken, dass bloßes Offenbaren eines Geheimnisses, das einem Beamten ausschließlich kraft seines Amtes zugänglich wurde, das er sich aber nicht durch wissentlichen Fehlgebrauch seiner Befugnis (etwa durch Abfrage im VJ‑Register; vgl 12 Os 113/04) gezielt beschafft hat, sondern von dem er auf andere Weise Kenntnis erlangt hat, nur dann dem Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (und nicht dem Vergehen der Verletzung eines Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB; vgl Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4 § 302 StGB Rz 24 f) unterstellt werden kann, wenn der Beamte bei Tatbegehung in Ausübung einer ihm zustehenden Befugnis, namens des Rechtsträgers als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, gehandelt hat, sein konkretes Tatverhalten also in (engem) Zusammenhang mit den von ihm als Organ des Rechtsträgers zu besorgenden Aufgaben steht (vgl 13 Os 16/02; so etwa der Verrat einer bevorstehenden fremdenpolizeilichen Kontrolle in einem Nachtclub durch einen mit den Aufgaben der Fremdenpolizei betrauten Abteilungsleiter einer Bezirkshauptmannschaft [13 Os 16/02] oder durch einen Leiter der kriminalpolizeilichen Abteilung einer Bundespolizeidirektion [15 Os 52/07x]; vgl auch 12 Os 116/88; nicht jedoch der Verrat einer von Zollorganen durchzuführenden Betriebskontrolle durch einen Polizeibeamten, der beauftragt wurde, bei dieser Razzia Assistenz zu leisten [vgl 13 Os 26/06g]; siehe zum Ganzen Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4 § 310 StGB Rz 27).

Ein solcher (enger) Zusammenhang zwischen dem Sabine F***** angelasteten Tatverhalten (nämlich der Verrat der Überwachung des Telefonanschlusses des Markus S***** im Rahmen eines bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahrens) und der von ihr nach den Urteilsfeststellungen (US 5) zum Tatzeitpunkt zu besorgenden Aufgaben als Leiterin der Einlauf- und Informationsstelle der Staatsanwaltschaft Innsbruck (nämlich „das Ausdrucken von elektronisch eingelangten Polizeiberichten, die Bearbeitung der Briefpost, die Durchführung von Namensabfragen und die Fallerfassung im staatsanwaltschaftlichen Register, die Anlegung von Akten und deren Vorlage eines Sachbearbeiters sowie die Auskunftserteilung an Behörden und Parteien im Rahmen des Informationscenters der Staatsanwaltschaft“) ist zu verneinen.

Schon zufolge erforderlicher Kassation des Sabine F***** betreffenden Schuldspruchpunkts A war auch hinsichtlich Peter N***** der Schuldspruchpunkt B wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB aufzuheben. Denn der ihn treffende Vorwurf des Verschweigens des Umstands, die Mitteilung über die Überwachung des Telefonanschlusses des Markus S***** von Sabine F***** erhalten zu haben, steht mit dem Sabine F***** angelasteteten Verhalten in untrennbarem Zusammenhang, sodass die bezeichneten Schuldspruchpunkte nicht im Sinn des § 289 StPO getrennt werden, somit unabhängig voneinander nicht bestehen bleiben können.

Da der aufgezeigte Mangel eine Aufhebung des Urteils (und des Peter N***** betreffenden Beschlusses auf Verlängerung der Probezeit) bereits in nichtöffentlicher Sitzung erfordert (§§ 285e, 289, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), erübrigt sich ein Eingehen auf die Nichtigkeitsbeschwerden.

Die Angeklagten waren mit ihren Rechtsmitteln auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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