OGH 14Os16/17k

OGH14Os16/17k4.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung des Terrence A***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Geschworenengericht vom 14. Dezember 2016, GZ 51 Hv 74/16s‑48, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00016.17K.0404.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen (richtig:) gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Terrence A***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er am 1. September 2016 in M***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer chronisch produktiven paranoiden Schizophrenie, beruht, den Polizeibeamten Rainer E*****

(I) vorsätzlich zu töten versucht, indem er danach trachtete, dem Genannten mit einem 23,2 cm langen Küchenmesser tödliche Verletzungen im Bereich des Oberkörpers zuzufügen;

(II) durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Amtshandlung genötigt, indem er mit den Worten „I kill you“ mit einem 23,2 cm langen Küchenmesser in der Hand, welches er am Griff mit der Klinge nach unten über seinem Kopf führte, auf den Genannten zulief und diesen solcherart zur Abgabe eines Schusses auf ihn zwang,

und dadurch das Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I) und das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 (zu ergänzen:) letzter Fall, Abs 2 StGB (II) begangen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 345 Abs 1 Z 5, 10a und 13 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen ist nicht im Recht.

Die von der Verfahrensrüge (

Z 5) thematisierten Anträge auf Vernehmung mehrerer Zeugen waren (zusammengefasst) zum Beweis dafür gestellt worden, dass sich der Betroffene sowohl in der Vergangenheit als auch während der aktuellen Anhaltung stets „friedfertig“ und „nicht aggressiv“ verhalten und sich zum Tatzeitpunkt in einer durch Abwesenheit seiner Mutter und Schwester sowie Unterbrechung der Medikation bedingten Ausnahmesituation befunden habe, die sich aufgrund seines Vorhabens, gemeinsam mit seiner Familie nach London zu ziehen und die Medikamenteneinnahme dort „allenfalls verstärkt und verbessert unter Aufsicht“ fortzusetzen, nicht wiederholen werde, womit in Zukunft nicht von einer, seiner Persönlichkeit widersprechenden Gefährlichkeit auszugehen sei (ON 47 S 23 ff).

Sie zielten damit weder auf die Klärung der Sachverhaltsgrundlage von Begehung oder Subsumtion der Anlasstat noch der Sanktionsbefugnisgrenzen (Z 13 erster Fall iVm

Z 4), sondern auf den Ermessensbereich der Prognoseentscheidung nach § 

21 Abs 1 StGB ab. Mit gegen deren Abweisung gerichteten Einwänden wird daher kein als Nichtigkeitsgrund beachtlicher Verfahrensmangel geltend gemacht, sondern ein Berufungsvorbringen zur Darstellung gebracht (RIS‑Justiz RS0114964; Ratz in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 11).

Mit dem Hinweis auf die einen Tötungsvorsatz leugnende Verantwortung des Betroffenen sowie eine Passage aus dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Sigrun R*****, nach der seine diesbezüglichen Angaben aus psychiatrischer Sicht „weder verifiziert noch falsifiziert werden konnten“, und der These, der Wahrspruch der Geschworenen sei mit Blick auf die ihm von der Expertin attestierte Zurechnungsunfähigkeit in Bezug auf das subjektive Tatbestandselement „spekulativ“ (vgl dazu aber RIS‑Justiz RS0088967; Reindl‑Krauskopf in WK² StGB § 5 Rz 4), gelingt es der Tatsachenrüge (Z 

10a) nicht, erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der im Wahrspruch der

Geschworenen zu I festgestellten Tatsachen zur subjektiven Tatseite zu erwecken.

Indem der Beschwerdeführer weiters auf seine Angaben gegenüber Angehörigen, seiner Sachwalterin und seinem Verteidiger verweist, aus Anzahl und „ärztlicher Qualifikation“ der zum Thema „Friedfertigkeit“ beantragten, jedoch nicht gehörten Zeugen Zweifel an einem „vermeintlichen Mordvorsatz“ ableitet und die Ansicht vertritt, die gleichzeitige Bejahung einer solchen Täterintention und eines auf Nötigung des potentiellen Opfers zur Schussabgabe gerichteten Vorsatzes („suicide by cop“) sei „doch recht unwahrscheinlich und weit hergeholt“, unterlässt er die gebotene konkrete Bezugnahme auf Verfahrensergebnisse und entwickelt erhebliche Bedenken solcherart nicht „aus den Akten“. Gleiches gilt für die auf das Abstimmungsverhalten der Geschworenen bezogene Argumentation und die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (RIS‑Justiz RS0117446, RS0117961 [insbesondere T2]; RS0102162).

Insgesamt erschöpft sich die Tatsachenrüge in einem unzulässigen Angriff

gegen die in der Bejahung der Schuldfragen (Hauptfragen 1 und 2) zum Ausdruck kommende Beweiswürdigung der Geschworenen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Der Beantwortung der Sanktionsrüge ist vorauszuschicken, dass die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 StGB einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO darstellt, der grundsätzlich mit Berufung und – (im Geschworenenverfahren) nur nach Maßgabe des § 345 Abs 1 Z 13 StPO – auch mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (Z 13 erster Fall) und Ermessensentscheidung innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist die Überschreitung der Anordnungsbefugnis, deren Kriterien der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat sowie die Mindeststrafdrohung für die Anlasstat nach § 21 StGB sind. Nur hinsichtlich dieser für die Sanktionsbefugnis entscheidenden Tatsachen ist neben der Berufung auch die Anfechtung aus § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall iVm § 345 Abs 1 Z 35 StPO, andererseits jedoch iVm § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO zulässig (Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 17 mwN).

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt oder die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt eine Anfechtung nach § 345 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StPO in Betracht. Der Sanktionsausspruch ist dann nichtig, wenn im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt wird oder die Feststellungsgrundlage die Ableitung der schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0118581, RS0113980; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 715 ff; Ratz in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 8 ff mwN).

Indem die gegen die Annahme qualifizierter

Gefährlichkeit im Sinn des § 

21 Abs 1 StGB gerichtete Sanktionsrüge demgegenüber (unter der Sub-Überschrift „Tatsachenrüge“ und „Rechtsrüge“) bloß auf Basis eigenständiger beweiswürdigender, mit Kritik am Sachverständigengutachten verbundener Erwägungen andere, für den Betroffenen günstigere Feststellungen begehrt als jene des Erstgerichts, ohne das Übergehen einer Erkenntnisquelle oder einen unvertretbaren Schluss aus herangezogenen Erkenntnisquellen zu behaupten, orientiert sie sich nicht an den dargestellten Anfechtungskategorien der Z 13, sondern erstattet bloß ein Berufungsvorbringen. Gleiches gilt für die Kritik am Unterbleiben der

bedingten Nachsicht der Unterbringung (RIS‑Justiz RS0099865; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 728; Ratz in WK² StGB §

 45 Rz 14).

Soweit sie in diesem Zusammenhang vage substanzlosen Gebrauch der verba legalia zur Gefährlichkeitsprognose behauptet, orientiert sich die Rüge zudem nicht an den – einen ausreichenden Sachverhaltsbezug aufweisenden – entsprechenden Feststellungen (US 5 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§§ 285i, 344 StPO).

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