OGH 14Os124/15i

OGH14Os124/15i15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hüseyin B***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 115 Hv 42/15m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, und des Verteidigers des Verurteilten Mag. Haas, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00124.15I.1215.000

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Hüseyin B*****, AZ 115 Hv 42/15m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzt der Vorgang der ungeprüften Zulassung eines zur Verteidigung des Angeklagten nicht befugten Rechtsanwaltsanwärters in der ‑ somit ohne Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) durchgeführten ‑ Hauptverhandlung am 20. Mai 2015 vor dem Schöffengericht § 61 Abs 1 Z 4 StPO.

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Mai 2015, GZ 115 Hv 42/15m‑22, sowie der gleichzeitig gefasste Beschluss auf Widerruf bedingter Entlassung werden aufgehoben und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Gründe:

Mit am selben Tag rechtskräftig gewordenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. Mai 2015, GZ 115 Hv 42/15m‑22, wurde Hüseyin B***** des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1 und 130 vierter Fall StGB sowie mehrerer Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt und (unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem zweiten Strafsatz des § 130 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt. Mit einem zugleich gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss wurde nach § 53 Abs 1 StGB die mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Vollzugsgericht vom 27. Februar 2014, AZ 045 BE 40/14i (nunmehr AZ 187 BE 148/14y des Landesgerichts für Strafsachen Wien), ausgesprochene

bedingte Entlassung widerrufen (ON 22 S 3).

Mit Beschluss vom 13. März 2015 war in diesem Verfahren die Untersuchungshaft über den Genannten verhängt worden (ON 6). Mit Schriftsatz vom selben Tag hatte RA Mag. Robert S***** bekannt gegeben, mit dessen Vertretung beauftragt worden zu sein (ON 8).

In der der Urteilsfällung vorangegangenen Hauptverhandlung am 20. Mai 2015 war nach dem Inhalt des darüber aufgenommenen ‑ keine weiteren diesbezüglichen Ausführungen enthaltenden ‑ Protokolls (ON 21 S 1) als Verteidiger des Angeklagten „Mag. Manfred A***** für Mag. Robert S*****“ eingeschritten.

Eine Überprüfung der Legitimation des Mag. A***** als Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) ist somit nach der Aktenlage unterblieben.

Aufgrund einer Mitteilung des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 15. September 2015 (ON 44) stellte sich heraus, dass Mag. Manfred A***** (erst) seit dem 19. November 2014 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen ist und daher am 20. Mai 2015 lediglich über eine kleine Legitimationsurkunde nach § 15 Abs 3 RAO verfügte.

Der Verurteilte verbüßt derzeit (unter anderem) die mit dem oben genannten Urteil über ihn verhängte Freiheitsstrafe sowie den Strafrest aus der bedingten Entlassung (ON 28, 29, 35).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht der Vorgang der ungeprüften Zulassung des zur Verteidigung des Angeklagten nicht befugten Rechtsanwaltsanwärters in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 61 Abs 1 Z 4 StPO muss der Beschuldigte in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Schöffengericht durch einen Verteidiger vertreten sein, wobei § 61 Abs 1 Z 1 StPO notwendige Verteidigung überdies im gesamten Verfahren, wenn und solange der Beschuldigte in Untersuchungshaft angehalten wird, anordnet.

Gemäß § 48 Abs 1 Z 5 StPO ist Verteidiger ‑ im hier interessierenden Zusammenhang ‑ eine zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft oder eine sonst gesetzlich zur Vertretung im Strafverfahren berechtigte Person.

§ 15 Abs 1 RAO bestimmt, dass sich der Rechtsanwalt, wenn die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben ist, vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen bei ihm in Verwendung stehenden substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen kann. § 15 Abs 2 RAO erklärt jeden Rechtsanwaltsanwärter, der die Rechtsanwaltsprüfung mit Erfolg abgelegt hat, für subsitutionsberechtigt, darüber hinaus jene, denen für die Verwendung bei einem bestimmten Rechtsanwalt auf dessen Ansuchen vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer das Erfordernis der Rechtsanwaltsprüfung erlassen wurde.

Andere Rechtsanwaltsanwärter, auf die diese Voraussetzungen nicht zutreffen und die mithin nicht substitutionsberechtigt sind, sind gemäß § 15 Abs 3 RAO lediglich in jenen Fällen vertretungsbefugt, in welchen die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben ist.

Gemäß § 15 Abs 4 RAO ist die Substitutionsbefugnis (§ 15 Abs 2 RAO) aus einer vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer auszustellenden sogenannten großen Legitimationsurkunde, und die Vertretungsbefugnis nach § 15 Abs 3 RAO aus einer sogenannten kleinen Legitimationsurkunde ersichtlich. Daraus folgt, dass die jeweilige Vertretungsbefugnis eines für einen Rechtsanwalt einschreitenden Rechtsanwaltsanwärters jederzeit durch Einsichtnahme in eine von diesem vorzuweisende entsprechende Legitimationsurkunde überprüft werden kann.

Aus der gesetzlichen Anordnung der notwendigen Verteidigung im hier nach dem Vorgesagten vorliegenden Fall des § 61 Abs 1 Z 4 StPO als Prozessvoraussetzung folgt die Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung der erforderlichen Verteidigerlegitimation des jeweils einschreitenden Vertreters (vgl auch § 58 Abs 2 StPO).

Dieser Verpflichtung ist die Vorsitzende des Schöffengerichts vorliegend ‑ ungeachtet einer gleichwohl auch bestehenden Verpflichtung des einschreitenden Rechtsanwaltsanwärters, eine Vertretung des Angeklagten ohne erforderliche Substitutionsberechtigung zu unterlassen (vgl RIS‑Justiz RS0055214 sowie § 4 DSt) ‑ nicht nachgekommen.

Durch die solcherart ungeprüfte Zulassung eines zur Verteidigung des Angeklagten nicht gemäß § 15 Abs 2 RAO befugten Rechtsanwaltsanwärters in der somit ohne Verteidiger (§ 48 Abs 1 Z 5 StPO) durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht wurde daher § 61 Abs 1 Z 4 StPO verletzt (vgl auch § 281 Abs 1 Z 1a StPO; RIS‑Justiz RS0097281). Ein Verstoß auch gegen § 61 Abs 1 Z 1 StPO liegt ‑ entgegen der Auffassung der Generalprokuratur ‑ nicht vor, weil Hüseyin B***** nach dem Vorgesagten ab dem Zeitpunkt der Verhängung der Untersuchungshaft im Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten war (vgl auch Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 164, § 468 Rz 36).

Da ein aus der aufgezeigten Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO; vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0097281).

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