OGH 14Os12/08h

OGH14Os12/08h11.3.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Leopold E***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 2. Oktober 2007, GZ 22 Hv 138/07x-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 (erster und zweiter Fall) SMG aF (V.) und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Leopold E***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I.), der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II.), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (I. und II.), der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (III.), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (IV.) und der Vergehen nach dem § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall) SMG aF (V.) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. im Zeitraum 2001 bis Juni 2005 in W***** außer dem Fall des § 206 StGB in mehrfachen Angriffen geschlechtliche Handlungen an seiner am 9. April 1996 geborenen und somit unmündigen Adoptivtochter Selma E***** vorgenommen, indem er seinen erigierten Penis an deren Oberschenkel und Bauch rieb und sie an der Scheide betastete;

II. mit seiner am 9. April 1996 geborenen und somit unmündigen Adoptivtochter Selma E***** den Beischlaf oder dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar

A. im Zeitraum 2001 bis Juni 2005 in W***** in mehrfachen Angriffen, indem er einen Finger zum Einführen an deren Scheide ansetzte;

B. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Juni/Juli 2005 in Marokko, indem er zweimal mit ihr den Beischlaf unternahm;

III. zu drei nicht näher bekannten Zeitpunkten im Zeitraum Ende August bis Dezember 2005 in W***** seine Ehegattin Rabia E***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie trotz ihrer verbalen Weigerung und des Versuchs, ihn von sich zu schieben, durch Festhalten an den Handgelenken und mit seinem Körpergewicht am Bett fixierte und den Beischlaf vollzog (US 6);

IV. Nachgenannte teils durch Drohung mit dem Tode, teils durch Drohung mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz oder gesellschaftlichen Stellung zu einer Unterlassung genötigt, und zwar

A. im Zeitraum 2001 bis Juli 2005 in mehrfachen Angriffen in W***** und Marokko Selma E***** durch die Äußerung, wenn sie von den Vorfällen laut Punkt I. und II. etwas erzähle, kämen alle ins Gefängnis und ihre Mutter würde auf der Straße leben sowie durch die mehrfach getätigte Äußerung, er würde sie alle - sie selbst und ihre Mutter - umbringen, wenn sie etwas erzähle, zur Abstandnahme von Erzählungen des Erlittenen;

B. im Zeitraum Ende August 2005 bis zumindest Oktober 2006 in W***** in mehrfachen Angriffen Rabia E***** durch die sinngemäßen Äußerungen, er würde sie umbringen, wenn sie wegen der strafbaren Handlungen laut der Punkte I. bis III. Anzeige bei der Polizei erstatten würde, zur Abstandnahme von der Anzeigeerstattung;

V. in den Tagen vor dem 25. Juni 2007 und an diesem Tag im W***** den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich eine nicht näher bekannte Menge von Cannabisharz, erworben und besessen. Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5 und 9 lit a des 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Der zum Schuldspruch I. zum Beweis dafür, „dass der Beschuldigte an chronischer Gonorrhöe (sogenannter „Tripper") leidet und Selma E*****, wenn er - wie ihm vorgeworfen wird - sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen hätte, ebenso mit dieser Geschlechtskrankheit infiziert worden wäre", gestellte Antrag auf Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen für Haut- und Geschlechtskrankheiten (S 291) ließ unbegründet, weshalb eine Untersuchung des Angeklagten im Jahr 2007 verlässliche Rückschlüsse auf seinen Gesundheitszustand zu den Tatzeitpunkten (in den Jahren 2001 bis 2005) oder die Klärung der Frage einer Ansteckung der Selma E*****, deren Zustimmung zu einer - gar nicht ausdrücklich begehrten - medizinischen Untersuchung nicht einmal behauptet wurde, zulassen sollte. Abgesehen davon, dass der Angeklagte selbst bloß die Vermutung äußerte, an der in Rede stehenden Geschlechtskrankheit zu leiden (S 285), zielte der Beweisantrag damit - vom Erstgericht richtig erkannt (S 295) - auf einen im Stadium der Hauptverhandlung unzulässigen Erkundungsbeweis ab, sodass dessen Abweisung keinen Verfahrensmangel (Z 4) begründet.

Gleichermaßen unklar blieb, weshalb aus dem - ebenfalls in der Hauptverhandlung vom 2. Oktober 2007 abgewiesenen (S 295) - Antrag auf Beischaffung der Reisepässe des Angeklagten und dessen Tochter Chantal, das damit angestrebte Beweisergebnis, dass „die Angaben des Beschuldigten im Gegensatz zu jenen der Zeugin Rabia E***** glaubwürdig sind, weil der Beschuldigte nach dem behaupteten Beischlaf mit Selma ein Monat lang allein mit seiner Tochter Chantal E***** in Marokko verbrachte", erwarten ließ.

In der Beschwerde nachgetragene Gründe für die Antragstellung sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption des Nichtigkeitsverfahrens und des damit auch für die Prüfung eines Zwischenerkenntnisses verbundenen Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Soweit die Mängelrüge versucht, durch Hinweis auf eine unerörtert gebliebene Passage aus der Aussage des Angeklagten Unvollständigkeit der Begründung aufzuzeigen (Z 5 zweiter Fall StPO), ist ihr zu erwidern, dass das Schöffengericht nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO von vornherein nur zu einer gedrängten Darstellung der Urteilsgründe, jedoch nicht dazu verhalten war, den vollständigen Inhalt sämtlicher Zeugenaussagen und sonstiger Beweise in extenso zu erörtern (RIS-Justiz RS0106642). Die behauptete Nichtigkeit nach Z 5 zweiter Fall läge nur dann vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließe, wovon vorliegend keine Rede sein kann.

Mit der leugnenden Verantwortung des Angeklagten haben sich die Tatrichter gar wohl ausführlich auseinandergesetzt. Sie stützten die Feststellungen zu den Schuldsprüchen I. und II. auf die im Wesentlichen übereinstimmenden und für glaubwürdig erachteten Angaben der Zeuginnen Selma und Rabia E*****, die in der Hauptverhandlung durch einverständliche Verlesung (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) vorgekommene Aussage des Zeugen Dr. F***** und die ebenfalls als überzeugend eingestuften Bekundungen der mit der Einvernahme der Selma E***** befassten Kriminalbeamtin Sonja F***** und hielten - Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen folgend - die Angaben des Beschwerdeführers durch diese Beweismittel für widerlegt (US 8 f). Weshalb die - einzig auf vagen Anschuldigungen seiner angeblich an Gonorrhöe leidenden Ehefrau basierende und ärztlich nicht bestätigte - Annahme des Angeklagten, selbst von dieser Geschlechtskrankheit befallen zu sein (S 285), gesonderter Erörterung bedurft hätte, obwohl kein Beweisergebnis dafür vorlag, ob und seit wann Rabia oder Selma E***** mit der Krankheit infiziert wurden, lässt die Beschwerde offen.

Soweit der Beschwerdeführer dieses Vorbringen auch unter dem Aspekt des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 lit a StPO wiederholt, legt er nicht dar, inwiefern die vermisste Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der oben genannten Geschlechtskrankheit beim Angeklagten oder einer Ansteckung der Selma E***** in den Entscheidungsgründen die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch oder darüber beeinflussen hätte können, welche strafbare(n) Handlung(en) (= rechtliche Kategorien) begründet wurde(n) (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399, 410) und solcherart entscheidende Tatsachen betraf. Mit der daran anknüpfenden Forderung, der Angeklagte wäre „bei Vorliegen dieser Umstände freizusprechen gewesen", wird die angestrebte rechtliche Konsequenz bloß behauptet und nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet (Ratz, WK-StPO Rz 588 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Aus deren Anlass konnte sich der Oberste Gerichtshof allerdings davon überzeugen, dass das Urteil im Schuldspruch V. mit dem den Angeklagten benachteiligenden und daher von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10a StPO behaftet ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; Ratz WK-StPO § 290 Rz 9).

Die Feststellungen des Erstgerichts erschöpfen sich zu diesem Themenkomplex in der Konstatierung, der Angeklagte habe zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt in den Tagen vor dem 25. Juni 2007 eine unbekannte Menge Cannabisharz erworben, welches er bis zum 25. Juni 2007 den bestehenden Vorschriften zuwider besaß (US 8). Weitere Feststellungen zur Quantität sowie dazu, ob und in welchem Ausmaß der Angeklagte an Suchtgift gewöhnt und ob das sichergestellte Cannabisharz für den Eigenbedarf bestimmt war, unterblieben, obwohl die bisher als Beweismittel in Betracht kommende Verantwortung des Beschwerdeführers den Besitz einer nur geringen Menge Suchtgift zum eigenen Gebrauch iSd § 35 Abs 1 SMG aF indizierte.

Weil dem Urteil bei dieser Sachlage gebotene Konstatierungen, die eine Beurteilung der Diversionsvoraussetzungen nach § 37 iVm § 35 Abs 1 SMG ermöglicht hätten, nicht zu entnehmen sind (RIS-Justiz RS0113620), ist das Urteil mit Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO behaftet.

Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung des Schuldspruchs V. und damit auch des Strafausspruchs, weil angesichts der dargestellten Beweislage zunächst zu prüfen sein wird, ob die Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen - die nunmehr nach §§ 35 ff SMG idF der SMG-Novelle 2007, BGBl I 2007/110, die den Anwendungsbereich eines solchen Vorgehens erweitert hat, zu beurteilen sein werden - gegeben sind (§ 285e StPO).

Die Berufung des Angeklagten (gegen die Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche) ist damit gegenstandslos. Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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