OGH 14Os118/97 (14Os119/97)

OGH14Os118/97 (14Os119/97)11.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.November 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Holzweber, Dr.Ratz und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kunz als Schriftführer, in der Medienrechtssache des Antragstellers Wolfgang O***** gegen die Antragsgegnerin K***** wegen Entschädigung für die erlittene Kränkung nach § 7 b Abs 1 MedienG, AZ 9 d E Vr 2.875/97 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8.April 1997, GZ 9 d E Vr 2.875/97-3, und des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 30.Mai 1997, AZ 18 Bs 156/97 (= ON 6), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Jerabek, des Antragstellervertreters Mag.Suppan und des Antragsgegnervertreters Dr.Krankl zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

In der bezeichneten Medienrechtssache ordnete das Landesgericht für Strafsachen Wien am 8.April 1997 eine Mitteilung (§ 8 a Abs 5 MedienG) nachstehenden Inhaltes an:

"Mitteilung gemäß § 8 a Abs 5 MedienG:

In der Ausgabe der Tageszeitung 'Neue Kronen Zeitung' vom 4.Oktober 1996 erschien auf den Seiten 18 und 20 unter dem Titel 'Lebenslang für Sonjas Mörder!' ein auch auf der Titelseite mit gleicher Überschrift angekündigter Artikel, der über das Urteil im Geschworenenprozeß gegen Wolfgang O***** berichtete. Der Antragsteller sieht dadurch, daß nur auf Seite 20 in einem knappen Hinweis zum Ausdruck gebracht wird, daß das Urteil nicht rechtskräftig ist, einen Verstoß gegen den Schutz der Unschuldsvermutung gemäß § 7 b Abs 1 iVm Abs 2 Z 2 MedienG. Er brachte Anträge nach dem MedienG gegen die Medieninhaberin des periodischen Medienwerkes 'Neue Kronen Zeitung' ein. Ein Verfahren ist anhängig."

Der Beschwerde der Antragsgegnerin wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 30.Mai 1997, AZ 18 Bs 156/97, nicht Folge gegeben.

Der Generalprokurator erblickt in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde eine in beiden Entscheidungen gelegene Verletzung der §§ 7 b Abs 2 Z 2, 8 a Abs 5 erster Satz MedienG mit folgender Begründung:

"Gemäß § 7 b Abs 1 MedienG steht einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig, aber nicht rechtskräftig verurteilt ist, dessen ungeachtet aber in einem Medium als überführt oder schuldig hingestellt oder als Täter dieser strafbaren Handlung und nicht bloß als tatverdächtig bezeichnet wird, gegen den Medieninhaber ein Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Kränkung zu. Diese Bestimmung dient dem Schutz der in allen Rechtsstaaten anerkannten, in Art 6 Abs 2 MRK ausdrücklich normierten Unschuldsvermutung, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet wird, daß der einer strafbaren Handlung Verdächtigte unschuldig ist. Jede mediale Berichterstattung, in welcher der Verdacht einer strafbaren Handlung geäußert wird, muß daher, um einen Entschädigungsanspruch des Betroffenen nicht entstehen zu lassen, so abgefaßt sein, daß die bloße Verdachtsäußerung erkennbar ist.

Der Schutzbereich der Unschuldsvermutung erstreckt sich grundsätzlich bis zur Rechtskraft eines verurteilenden Erkenntnisses. Der nach einem - wenngleich noch nicht rechtskräftigen - Schuldspruch wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung doch wesentlich bestärkten Verdachtslage trägt die Ausnahmebestimmung des § 7 b Abs 2 Z 2 MedienG Rechnung, derzufolge ein Entschädigungsanspruch dann nicht besteht, wenn es sich um einen wahrheitsgetreuen Bericht über ein Strafurteil erster Instanz handelt und dabei zum Ausdruck gebracht wird, daß das Urteil nicht rechtskräftig ist. Das Bestehen eines Anspruchs ist demnach nur denkbar, wenn in einem Bericht die fehlende Rechtskraft nicht ersichtlich gemacht wird, wenn der Bericht dem tatsächlichen Geschehen nicht entspricht oder wenn die Veröffentlichung den Rahmen der Berichterstattung über das Urteil überschreitet. Bei Prüfung der Prämissen ist nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers aber ein weniger strenger Maßstab als bei der Veröffentlichung vor dem Urteil erster Instanz anzulegen (851 BlgNR XVIII. GP, 5).

Gemäß § 8 a Abs 5 MedienG hat das Gericht im Verfahren über einen selbständigen Antrag auf Entschädigung (hier nach § 7 b MedienG) auf Antrag des Betroffenen die Veröffenlichung einer kurzen Mitteilung über das eingeleitete Verfahren anzuordnen, wenn anzunehmen ist, daß die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Diese Einrichtung bietet dem Betroffenen die Möglichkeit, die Öffentlichkeit davon zu unterrichten, daß eine frühere Medienveröffentlichung zum Anlaß genommen wurde, einen Entschädigungsanspruch gegen den Medieninhaber gerichtlich geltend zu machen. Angesichts des rein informativen Charakters dieser Mitteilung hat das Gericht eine vorwegnehmende Wertung des dem Antrag zugrundeliegenden Sachverhaltes zu vermeiden, sondern lediglich zu prüfen, ob Grund für die Annahme besteht, daß die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs gegeben sind.

Für eine derartige Annahme bietet die vorliegende Fallgestaltung keine Grundlage, weil der (anspruchshindernde) Ausschlußgrund nach § 7 b Abs 2 Z 2 MedienG offenkundig anzunehmen ist.

Die Schlagzeile auf Seite 1 der fraglichen Ausgabe der Neuen Kronen

Zeitung vom 4.Oktober 1996 lautet: 'Alle Geschwornen waren schnell einig: Lebenslang für Sonjas Mörder!'; ähnlich die den inkriminierten

Artikel einleitende Überschrift auf Seite 18: 'Geschworne waren rasch einig. Wolfgang O***** zitterte, als er das Urteil vernahm. Lebenslang für Sonjas Mörder'.

Sofern diese Schlagzeile und Überschrift überhaupt als selbständige Äußerungen zu bewerten sind, zu deren Verständnis nicht mehr erforderlich ist, den dazugehörigen Text zu lesen, kann ihnen selbst bei oberflächlicher Betrachtung nur der Bedeutungsinhalt entnommen werden, daß die Geschworenen den Antragsteller für den Mörder gehalten und ihn zu lebenslanger Strafe verurteilt haben. Wolfgang O***** wird demzufolge nicht als zu lebenslanger Strafe rechtskräftig abgeurteilter Mörder bezeichnet, sondern es wird - wie die unübersehbare Verknüpfung der fragmentarischen Information über den Prozeßausgang mit den Geschworenen nachhaltig indiziert - nur zum Ausdruck gebracht, daß dieses Prozeßergebnis den Urteilsspruch der Geschworenen darstellt. Daß ein Urteil eines Geschworenengerichtes (ebenso wie eines anderen Strafgerichtes) nicht sofort (gleichsam zwangsläufig) in Rechtskraft erwächst, sondern mit Rechtsmitteln anfechtbar ist, kann als selbstverständliches Wissensgut auch des nur mäßig interessierten und intellektuell unterdurchschnittlich befähigten Lesers vorausgesetzt werden. Der klar erkennbare Sinngehalt dieser Titelmeldungen bietet demzufolge, insbesondere bei Anlegung des gebotenen großzügigeren Maßstabes keine Handhabe für die Annahme eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung. Daß der in Rede stehende Ausschlußgrund (vorweg) einen wortwörtlichen Hinweis auf die noch nicht eingetretene Urteilsrechtskraft erfordert, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen ("zum Ausdruck gebracht wird"). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die - auf die fraglichen Überschriften bezugnehmende - belehrende Erwägung des Oberlandesgerichtes, daß "der den Ausschlußgrund des § 7 b Abs 2 Z 2 MedienG bildende wahrheitsgetreue Bericht über ein Strafurteil erster Instanz etwa dahin zu lauten gehabt hätte, daß der Antragsteller nun von einem Geschworenengericht verurteilt worden ist" (AS 37); genau dies bringen die inkriminierten Überschriften unmißverständlich zum Ausdruck.

Werden die zitierten Formulierungen der Schlagzeile bzw der Überschrift im Kontext mit den damit inhaltlich zusammenhängenden Artikelausführungen gesehen, wird der bereits zuvor gewonnene Eindruck des erst in erster Instanz gefällten Urteils verifiziert:

Der den Seiten 18 und 20 zu entnehmende Artikel erweist sich als zwar nach Art eines Boulevardblattes reißerisch gestaltete, den Rahmen einer Gerichtssaalreportage aber nicht überschreitende chronologische Wiedergabe der Vorkommnisse am 4. (und letzten) Verhandlungstag des gegen Wolfgang O***** geführten Geschworenenverfahrens. (Die wahrheitsgetreue Schilderung des Geschehens wird vom Antragsteller selbst nicht in Zweifel gezogen.) Diesem Bericht ist zu entnehmen, daß Wolfgang O***** sogleich nach Urteilsverkündung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet hat. Auch dieser Artikel bringt dem Leser unmißverständlich zur Kenntnis, daß das erstinstanzliche Urteil noch nicht in Rechtskaft erwachsen ist.

Der Oberste Gerichtshof ist ungeachtet seiner grundsätzlichen Bindung an die in angefochtenen Entscheidungen enthaltenen Tatsachenfeststellungen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO) befugt, den Bedeutungsinhalt eines in einem Medium enthaltenen Textes und daran anknüpfend den Gesamteindruck einer Veröffentlichung auf den Durchschnittsleser (etwa in der Frage der Unzüchtigkeit; hier indes unter dem Gesichtspunkt der Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 b MedienG) eigenständig festzulegen, weil es sich hiebei nicht um eine - dem Obersten Gerichtshof verwehrte - Beweisaufnahme, sondern um eine schon mit der Kenntnisnahme des betreffenden Inhaltes zwangsläufig verbundene Erfassung und Wertung der rechtlichen Kriterien handelt (vgl auch Mayerhofer/Rieder4 ENr 18 ff zu § 288 StPO; siehe auch EvBl 1995/192)".

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Das Vorliegen der Ausschlußgründe nach §§ 6 Abs 2, 7 Abs 2, 7 a Abs 3 und 7 b Abs 2 MedienG hat gemäß § 8 Abs 3 MedienG der Medieninhaber (Verleger) zu beweisen. Auch sind Beweise darüber nur aufzunehmen, wenn sich der Medieninhaber (Verleger) auf einen solchen Ausschlußgrund beruft.

Weil sich der Medieninhaber (Verleger) erst nach Kenntnis des Entschädigungsantrages auf einen Ausschlußgrund berufen kann, eine solche Kenntnis im Zeitpunkt der Anordnung (§ 8 a Abs 5 MedienG) aber von Zufälligkeiten abhängt und einer Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukommt (§§ 8 a Abs 5 erster Satz zweiter Halbsatz, 37 Abs 3, 36 Abs 4 zweiter Satz MedienG), erstreckt sich die von § 8 a Abs 5 MedienG verlangte Prüfung grundsätzlich nur auf die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 6 Abs 1, 7 Abs 1, 7 a Abs 1 und 7 b Abs 1 MedienG, nicht aber auf die Ausschlußgründe.

Bei Unschlüssigkeit des Antrages, wenn also der Antragsteller selbst einen Ausschlußgrund einräumt (weil in derartigen Fällen der Anspruch "nicht besteht"), oder ein solcher (gerichts-)notorisch vorliegt (und damit die Beweisführung überflüssig macht), umfaßt die nach § 8 a Abs 5 erster Satz MedienG vorzunehmende rechtliche Beurteilung jedoch auch die Ausschlußgründe (vgl auch Ratz, Zur Amtswegigkeit im gerichtlichen Gegendarstellungsverfahren MR 1994, 222; ders Gegendarstellung - Behauptungslast des Antragsgegners? MR 1995, 169).

Obgleich der Antragsteller einen Hinweis auf die mangelnde Rechtskraft des Urteils nicht bestreitet, ist die Schlüssigkeit des Vorbringens deshalb nicht fraglich, weil er nicht zugleich einräumt, daß dieser Hinweis den angesprochenen (vgl Hager/Walenta, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht3 E 10) Leser auch tatsächlich erreicht.

Der vom Generalprokurator begehrten selbständigen (wenngleich auf (Gerichts-)Notorietät beschränkten) Lösung der Tatfrage (SSt 37/39, Mayerhofer StPO4 § 281 ENr 46, zuletzt: 14 Os 61/97 nv) des Bedeutungsinhaltes der Veröffentlichung dahin, ob der Leser der "Neuen Kronen Zeitung" daraus (auch) die Information entnimmt, daß es sich um einen wahrheitsgetreuen Bericht über ein Strafurteil erster Instanz handelt und das Urteil nicht rechtskräftig ist, aber steht (vereinzelt gebliebenen abweichenden Entscheidungen zuwider) die aus § 8 a Abs 1 MedienG, §§ 292 erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 StPO erhellende Bindungswirkung entgegen (Mayerhofer StPO4 § 258 ENr 159, § 362 ENr 1).

Ungeachtet der Frage, ob in diesem Verfahrensstadium eine Verfügung iS des § 362 StPO zulässig ist, sah sich der Oberste Gerichtshof deshalb nicht dazu veranlaßt, weil es dieser subsidiären Maßnahme (Mayerhofer aaO ENr 2) vorliegend im Blick auf § 39 MedienG und das noch nicht erledigte selbständige Entschädigungsverfahren nicht bedarf.

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