OGH 14Os108/02

OGH14Os108/0229.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Thomas H***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 20. Juni 2002, GZ 416 Hv 1/02a-82, in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Mayer in öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und es werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf berufende Urteil zur Gänze aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas H***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, am 2. September 2001 in Wien seine Gattin Martina H***** durch Abgabe eines gezielten Schusses aus einer Pistole aus kurzer Distanz (vorsätzlich) getötet zu haben. Im zugrundeliegenden Wahrspruch hatten die Geschworenen die anklagekonfom nach Mord gestellte Hauptfrage stimmenmehrheitlich (7:1) bejaht und demnach die Eventualfrage in Richtung fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen unbeantwortet gelassen.

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer ausschließlich auf den Grund der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der er die Unterlassung zusätzlicher Eventualfragen nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 StGB) sowie nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 87 Abs 2 zweiter Fall StGB) rügt.

Rechtliche Beurteilung

Er ist damit im Recht:

Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, ist das die Stellung einer Eventualfrage auslösende "Vorbringen" von Tatsachen iSd § 314 Abs 1 StGB nicht nur dann anzunehmen, wenn eine Tatsache in der Hauptverhandlung geradezu (konkret) behauptet wird, sondern auch dann, wenn sie sich aus den darin vorgebrachten Beweismitteln immerhin mittelbar ergibt, also aus ihnen zu erschließen ist (EvBl 1980/222, JBl 1990, 262 ua; Schindler in WK-StPO § 313 Rz 7 mwN). Es geht dabei um das Vorkommen einer erheblichen Tatsache in der Hauptverhandlung, einer Tatsache also, die wäre sie im schöffengerichtlichen Verfahren vorgekommen, bei sonstiger Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall erörterungsbedürftig gewesen wäre (Ratz in WK-StPO § 345 Rz 42 mwN). Die - von der Zeugin Sigrid F***** zum Teil bestätigte (S 315/II) - Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, wonach er unmittelbar nach Abgabe des Schusses auf seine Gattin dieser zugerufen habe: "Martina, bleib wach, es wird alles wieder gut. Die Rettung kommt schon, es ist nicht so schlimm, bleib wach und atme ruhig weiter" (S 281/II) ist ein solches "Vorbringen". Es rückt neben den von der Anklage umfassten Tötungsvorsatz auch einen bloßen Verletzungsvorsatz in den näheren Bereich des Möglichen. Damit wäre aber - wie die Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend vorbringt - den Geschworenen ein Fragenschema zu unterbreiten gewesen, das zusätzlich zu der gestellten Hauptfrage nach Mord und der Eventualfrage in Richtung fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen auch die Eventualfragen in Richtung Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86 StGB) sowie nach absichtlicher schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB) enthalten hätte. Der Oberste Gerichtshof hatte daher - dem Verfassungsgebot des Art 91 Abs 2 Rechnung tragend - den Geschworenen die uneingeschränkte Beweiswürdigung zu ermöglichen und - ohne dabei jedoch selbst in irgendeiner Weise in diese einzugreifen - den dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Wahrspruch und das Urteil selbst aufzuheben.

Mit seiner Berufung war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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