OGH 14Os106/23d

OGH14Os106/23d28.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Sekljic in der Strafsache gegen * N* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10. Juli 2023, GZ 86 Hv 61/23d‑47.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00106.23D.1128.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Punkt I, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * N* des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 28. April 2023 in W*

I/ * L* F* mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, indem er sie an ihrer Oberbekleidung packte, mit dem Rücken voran auf ein Bett warf und mit seinem Körper gegen dieses drückte, sie würgte, mit seinen Fäusten auf sie einschlug und sie in die Unterlippe biss, was eine blutende Wunde zur Folge hatte, sowie ihr in weiterer Folge die Hose herunterriss und versuchte, ihr die Unterhose auszuziehen, was angesichts ihrer Gegenwehr misslang;

II/ (zu ergänzen [vgl US 3 f]:) als HIV(Human Immunodeficiency Virus)‑Infizierter mit erhöhter Virenlast durch die zu I/ beschriebene Tat eine Handlung begangen, die geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren Krankheit, die ihrer Art nach zu den, wenn auch nur beschränkt anzeige- oder meldepflichtigen Krankheiten gehört, nämlich AIDS (Acquired Immuno Deficiency Syndrome), unter Menschen herbeizuführen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen Punkt II/ des Schuldspruchs richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) leitet ihren Einwand eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen, weil dem Urteilssachverhalt nicht zu entnehmen sei, dass der Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt nicht bloß Träger des HIV‑Virus (vgl etwa US 2), sondern an AIDS (vgl § 2 Abs 1 Z 1 iVm § 1 Abs 1 AIDS‑Gesetz 1993 sowie §§ 1 f der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz über den Infektionsnachweis und die Indikatorerkrankungen für AIDS, BGBl 1994/35 idF BGBl 1994/819) erkrankt gewesen sei, nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl aber RIS‑Justiz RS0116565).

[5] § 178 StGB verlangt als potentielles Gefährdungsdelikt, dass die Tathandlung typischerweise geeignet ist, die Gefahr der Verbreitung einer übertragbaren, ihrer Art nach (hier) beschränkt meldepflichtigen Krankheit herbeizuführen. Die Voraussetzung einer Erkrankung des Täters (im Sinn einer Symptomatik nach § 2 der oben genannten Verordnung) im Tatzeitpunkt ist dem Tatbestand hingegen nicht zu entnehmen (vgl zur hM [nach welcher eine im Tatzeitpunkt bestehende Meldepflicht in Bezug auf den Täter nicht Voraussetzung der Strafbarkeit sei] Murschetz in WK2 StGB §§ 178, 179 Rz 5; Flora, SbgK § 178 Rz 36; Kienapfel/Schmoller, BT III2 §§ 178–179 Rz 12; Hinterhofer/Rosbaud, BT II7 §§ 178, 179 Rz 10; Aigner, HIV‑Infektion und Strafbarkeit nach §§ 178, 179 StGB Kundmachung von Rechtsvorschriften, RdM 2000, 87 [mit Verweis auf die Gesetzesmaterialien]).

[6] Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus der jüngeren Rechtsprechung (zu Infektionen mit COVID 19), nach welcher die Rechtsfrage nach der Gefährdungseignung nur auf der Basis von Feststellungen zum Vorhandensein eines entsprechenden Krankheitserregers (im Körper des Täters, wenn – wie hier – die unmittelbare Übertragung von diesem auf ein anderes Individuum in Rede steht) beantwortet werden könne (RIS‑Justiz RS0133918).

[7] Weshalb der festgestellte Biss in die Unterlippe (verbunden mit einer blutenden Unterlippe des Opfers [vgl dazu 11 Os 171/97; Flora, SbgK § 178 Rz 25]) sowie intendierter ungeschützter Geschlechtsverkehr (vgl 12 Os 90/01; Flora, SbgK § 178 Rz 16; Hinterhofer/Rosbaud, BT II7 §§ 178, 179 Rz 5; Kienapfel/Schmoller, BT III2 §§ 178–179 Rz 2; vgl Murschetz in WK2 StGB §§ 178, 179 Rz 6) – unter Berücksichtigung der festgestellten erhöhten Virenlast beim Beschwerdeführer (US 4) – nicht geeignet seien, eine Übertragung des HIV-Virus zu bewirken und damit die Gefahr weiterer Verbreitung der durch diesen ausgelösten (meldepflichtigen) AIDS‑Erkrankung herbeizuführen, erklärt der Beschwerdeführer im Übrigen nicht.

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[9] Gleiches gilt für die (angemeldete) im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO; RIS‑Justiz RS0099894).

[10] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, dass das Urteil einen nicht geltend gemachten Subsumtionsfehler (Z 10) zum Nachteil des Angeklagten aufweist, der von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[11] Ein solcher liegt nämlich vor, wenn fehlende Feststellungen die rechtliche Annahme der Beseitigung eines (in tatsächlicher Hinsicht konstatierten) Ausnahmesatzes unschlüssig machen (RIS‑Justiz RS0122332). Nach dem Urteilssachverhalt wendete der Angeklagte zunächst (in der oben wiedergegebenen Weise) Gewalt gegen L* F* an, wobei er zu dieser sagte, „sie solle Ruhe geben, dann würde es schneller vorbei gehen“. Diese wehrte sich zunächst heftig, „verstand“ jedoch alsbald, „dass ihr Verhalten nicht dazu führte, dass der Angeklagte von ihr ablässt“, weshalb sie „ihre Taktik“ änderte, „die Gegenwehr“ einstellte und ihn ersuchte, „sie gehen zu lassen, und versprach, niemandem von dem Vorfall zu erzählen. Der Angeklagte ließ sodann von ihr ab, weshalb“ L* F* „aus der Wohnung des Angeklagten fliehen konnte“ (US 3 iVm US 5). Dem steht die weitere (durch Feststellungen nicht gedeckte) Urteilsannahme gegenüber, dem Angeklagten sei die Umsetzung seines Tatplans (mit seinem Penis vaginal einzudringen) „nur aufgrund der massiven Gegenwehr“ des Opfers nicht gelungen (US 3 und 6).

[12] Strafaufhebend wirkt ein (hier festgestellter) Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch (nur) dann, wenn der Täter freiwillig die Ausführung aufgibt. Freiwilligkeit wird durch (eindringliches) Ersuchen des Opfers nicht ausgeschlossen, sofern der Täter eine seinem Tatplan entsprechende Tatvollendung noch für möglich hält (RIS‑Justiz RS0089877; Bauer/Plöchl in WK2 §§ 15, 16 Rz 127 f, 137; Leukauf/Steininger/Durl/Schütz, StGB4 § 16 Rz 2; vgl auch RIS‑Justiz RS0089874, RS0090229).

[13] Der Urteilssachverhalt legt die rechtliche Annahme (freiwilligen, also) strafbefreienden Rücktritts vom Versuch nahe. Die (hier implizite) rechtliche Annahme einer Beseitigung dieses Strafaufhebungsgrundes entbehrt hingegen widerspruchsfreier Feststellungen (etwa zu einer Änderung der äußeren Umstände mit den oben dargelegten Auswirkungen auf die Vorstellung des Täters).

[14] Dieser Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs zu Punkt I und des Strafausspruchs.

[15] Der Angeklagte war mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung auf dessen Aufhebung zu verweisen.

[16] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit der amtswegigen Maßnahme verbundenen Kosten (RIS‑Justiz RS0101558).

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