OGH 14Os102/20m

OGH14Os102/20m3.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart des Schriftführers Dr. Koller in der Strafsache gegen * W* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und vierter Fall, Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB, AZ 71 Hv 61/19p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 29. August 2019 (ON 35) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, des Verurteilten und des Verteidigers Dr. Bernhauser zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129662

 

Spruch:

 

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. August 2019, GZ 71 Hv 61/19p‑35, verletzt im Schuldspruch zu I § 148 zweiter Fall StGB, in jenem zu II §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und vierter Fall, Abs 2, 148 zweiter Fall StGB.

Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in der Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB, im II betreffenden Teil des Schuldspruchs und in der zum Schuldspruch gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch und im Verfallserkenntnis, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

 

Gründe:

Mit gekürzt ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 iVm § 488 Abs 1 StPO) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Einzelrichter vom 29. August 2019, GZ 71 Hv 61/19p, wurde * W* – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und vierter Fall, Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in W* gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB) und mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, Angestellte der M* GmbH durch Täuschung über Tatsachen und unter Benützung falscher Urkunden zu einer Handlung verleitet (I) und zu einer Unterlassung zu verleiten versucht (II), welche dieses Unternehmen im 5.000 Euro übersteigenden Betrag von 25.990 Euro am Vermögen schädigte, nämlich

I/ am 26. Juli 2018 durch die Vorgabe, zahlungsfähig und ‑willig zu sein und einer Beschäftigung mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 3.092 Euro nachzugehen, wobei er eine unrichtig ausgefüllte Selbstauskunft und eine falsche Lohnbestätigung der G* GmbH für die Monate März bis Mai 2018 vorlegte, sowie durch Nennung seiner Lebensgefährtin – ohne deren Wissen – als Mitantragstellerin, wobei er von ihr eine Ausweiskopie, eine Selbstauskunft und Einkommensnachweise übermittelte, zur Gewährung eines Kredits zwecks Finanzierung des Ankaufs eines im Urteil näher bezeichneten Pkw um 25.990 Euro und Ausfolgung desselben an ihn;

II/ am 10. Jänner 2019 durch die Vorgabe, er habe die fälligen Leasingraten von 2.340,26 Euro bezahlt, sowie unter Übermittlung einer „gefälschten Auftragsbestätigung der Bank Austria“ über diesen Betrag vom selben Tag zur Abstandnahme von der Rückabwicklung des Leasingvertrags und der Rückstellung oder Einziehung des Fahrzeugs.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – mehrfach das Gesetz.

Für die (rechtliche) Annahme – hier (zufolge entsprechenden Zitats im Referat der entscheidenden Tatsachen [§ 260 Abs 1 Z 1 StPO]) ersichtlich im Sinn des § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB – gewerbsmäßiger Begehung des Betrugs fehlen Feststellungen dazu, dass W* bereits wegen einer „solchen Tat“, vorliegend also wegen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 oder 2 StGB (RIS‑Justiz RS0130965, RS0131765; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 13/5), verurteilt worden war sowie zu den zeitlichen Kriterien des § 70 Abs 3 StGB. Den als erwiesen angenommenen Tatsachen (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) ist zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen nichts zu entnehmen. Der bloße Hinweis (im Rahmen der Strafbemessung) unter anderem auf „die drei einschlägigen Vorstrafen“ und den „rasche[n] Rückfall“ (ON 35 S 5) enthält kein ausreichendes Sachverhaltssubstrat. Konstatierungen, welche die Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB sonst tragen könnten, enthält das Urteil ebenso wenig, weshalb diese rechtsfehlerhaft angenommen wurde.

Dem Urteilssachverhalt ist weiters nicht zu entnehmen, dass W* durch die zu II angelastete Tat einen weiteren – zusätzlich zu dem bereits zu I verursachten – Schaden der M* GmbH oder eines Dritten herbeizuführen versuchte, war seine Täuschung doch (bloß) darauf gerichtet, „die Rückabwicklung des Leasingvertrags und die Rückstellung bzw. Einziehung des Fahrzeuges“, dessen Überlassung das genannte Unternehmen bereits in voller Höhe geschädigt hatte, zu verhindern (ON 35 S 7). Strafbarkeit wegen Betrugs scheidet insoweit daher aus (Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 146 Rz 135; Kert, SbgK § 146 Rz 370 f; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 146 Rz 260 f; vgl RIS‑Justiz RS0091403; 15 Os 155/08w [„straflose Nachtat“]). Der Schuldspruch zu II und dessen Einbeziehung in die gemäß §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und vierter Fall, Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB gebildete Subsumtionseinheit (§ 29 StGB) war daher gesetzwidrig.

Da eine für den Verurteilten nachteilige Wirkung der aufgezeigten Gesetzesverletzungen nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Das Verfallserkenntnis war aufzuheben, weil es sich ersichtlich (ON 35 S 7 ff) auf den kassierten Teil des Schuldspruchs zu II stützt.

Eine Entscheidung in der Sache durch sofortigen Freispruch von der zu II angelasteten Tat kam aus folgenden Gründen nicht in Betracht:

Die von der Generalprokuratur ins Spiel gebrachte „Verwirklichung eines Urkundendelikts“ durch die nachträgliche Übermittlung einer „gefälschten Auftragsbestätigung“ wäre zwar grundsätzlich möglich. Ein nach § 147 Abs 1 Z 1 StGB qualifizierter Betrug konsumiert eine (vorangehende) Urkundenfälschung (§ 223 StGB) nämlich nur dann, wenn diese in einem spezifischen Zusammenhang mit der betrugsrelevanten Täuschung steht, die inkriminierte Urkunde also beim (verdrängenden) Betrug als Täuschungsmittel benützt wird. Ein solcher Zusammenhang fehlt jedoch beim Fälschen (und Gebrauch) einer (anderen) Urkunde nach Eintritt des Betrugsschadens zur Unterstützung einer weiteren Täuschung. Konsumtion in Form strafloser Nachtat setzt voraus, dass sich das spätere (einem Straftatbestand subsumierbare) Verhalten gegen dasselbe Rechtsgut richtet und keinen über die Haupttat hinausreichenden Schaden bewirkt (vgl 11 Os 108/82; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 66). Dies ist in der hier beschriebenen Konstellation nicht der Fall, weshalb Konsumtion eines späteren Urkundendelikts ausscheidet (Hinterhofer/Rosbaud BT II6 § 223 Rz 41; vgl RIS-Justiz RS0112715; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 147 Rz 32 ff; Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 223 Rz 259/2; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 147 Rz 24 und 27).

Der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 223 StGB) kommt hier jedoch nicht in Betracht, weil W* nach der Aktenlage zur Last liegt, am 10. Jänner 2019 einen Screenshot aus einem Online-Banking-System per E-Mail übermittelt zu haben (ON 35 S 7 iVm ON 18 S 19 ff), sodass es an der für eine Urkunde essentiellen Schriftform mangelt (Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 223 Rz 30; vgl RIS‑Justiz RS0130519; 17 Os 2/14v).

Im weiteren Verfahren wird allerdings mögliche Strafbarkeit nach § 225a StGB zu prüfen sein, wobei zu beachten ist, dass dieser Tatbestand das Herstellen (bloß) unrichtiger Daten nicht erfasst (RIS-Justiz RS0122091 [T3]; Reindl-Krauskopf in WK2 StGB § 225a Rz 7).

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