OGH 13Os88/94

OGH13Os88/948.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Juni 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner, Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Czedik‑Eysenberg als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ernestine H* wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Liesing vom 27. Oktober 1989, GZ U 128/88‑13, sowie den Vorgang, daß es das Landesgericht für Strafsachen Wien im Verfahren AZ 2 a Vr 362/89 unterließ, das Bezirksgericht Liesing vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu dessen Verfahren U 128/88 zu verständigen und den Vollzug der Strafe anzuordnen, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr.Presslauer, und des Verteidigers Dr.Langer‑Hansel, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0130OS00088.9400000.0608.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Das Gesetz wurde verletzt

1. im Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien AZ 2 a Vr 362/89 durch das Unterbleiben einer Verständigung des Bezirksgerichtes Liesing vom Widerruf der in dessen Verfahren AZ U 128/88 gewährten bedingten Strafnachsicht in der Vorschrift des § 494 a Abs. 7 StPO sowie durch die Unterlassung der Einleitung des Vollzuges der im bezeichneten Verfahren rechtskräftig widerrufenen Strafe des Bezirksgerichtes Liesing von einem Monat in den Bestimmungen des § 397 StPO und der §§ 3 und 7 StVG;

2. im Verfahren des Bezirksgerichtes Liesing AZ U 128/88 durch den Beschluß vom 27. Oktober 1989 (ON 13) auf Verlängerung der Probezeit, obwohl die bedingte Strafnachsicht bereits mit rechtskräftigem Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. April 1989, GZ 2 a Vr 362/89‑11, widerrufen worden war, in dem sich aus dem XX.Hauptstück der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Der bezeichnete Beschluß des Bezirksgerichtes Liesing wird aufgehoben.

 

Gründe:

 

Rechtliche Beurteilung

Ernestine H* wurde mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 25.April 1988, GZ U 128/88‑4, wegen §§ 15, 141 Abs. 1 StGB zu einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt, die gemäß § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Urteil ist seit 29.April 1988 rechtskräftig.

Am 23.Mai 1989 langte bei diesem Gericht eine Verständigung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ein, daß Ernestine H* mit rechtskräftigem Urteil vom 25.April 1989, AZ 2 a Vr 362/89, wegen § 127 StGB zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war (ON 6).

Über Antrag des Bezirksanwalts sah das Bezirksgericht Liesing mit Beschluß vom 27.Oktober 1989 vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte nach Anhörung der Verurteilten, jedoch ohne Einsicht in die Akten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, die Probezeit im Verfahren zum AZ U 128/88 auf fünf Jahre (ON 13 und 14).

Zugleich mit seinem Urteil vom 25.April 1989 (ON 11) hatte das Landesgericht für Strafsachen Wien jedoch auch die bedingte Strafnachsicht zum AZ U 128/88 des Bezirksgerichtes Liesing rechtskräftig widerrufen, dies aber entgegen § 494 a Abs. 7 StPO dem Bezirksgericht Liesing nicht mitgeteilt (ON 14 Punkt 14).

Die Strafe zum Urteil des Bezirksgerichtes Liesing ist bisher unverbüßt, weil es das Landesgericht für Strafsachen Wien unterließ, den Vollzug anzuordnen (Mayerhofer‑Rieder, StPO3, ENr 37 und 38 zu § 494 a).

Die Frist zur Verjährung der Vollstreckbarkeit dieser Strafe gemäß § 59 Abs. 2 StGB begann mit der Rechtskraft der Feststellung des Strafanspruches zu laufen (SSt 51/12) und beträgt gemäß Abs. 3 leg.cit. fünf Jahre. In die vom Datum der Urteilsrechtskraft an laufende Verjährungsfrist für die einmonatige Strafe des Bezirksgerichtes Liesing ist allerdings gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 StGB die Probezeit bis zum 25.April 1989 nicht einzurechnen (Leukauf‑Steininger Komm3 § 59 RN 6). Dem Ablauf der Verjährungsfrist steht derzeit jedenfalls auch § 60 Abs. 2 Z 3 StGB (Strafhaft vom 10.Juli bis 10.November 1989) entgegen.

Diese Vorgänge des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und des Bezirksgerichtes Liesing stehen, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat es im Verfahren AZ 2 a Vr 362/89 gesetzwidrig unterlassen, einerseits (unverzüglich) das Bezirksgericht Liesing zum AZ U 128/88 vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu verständigen (§ 494 a Abs. 7 StPO) und andererseits infolge rechtskräftiger Entscheidung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht gemäß § 397 StPO und §§ 3 und 7 StVG die Einleitung des Strafvollzuges ungesäumt zu veranlassen.

Der Beschluß des Bezirksgerichtes Liesing auf Absehen vom Widerruf und Verlängerung der Probezeit (dort ON 13 und 14) war verfehlt, weil er ohne Rücksicht auf die bereits rechtskräftig widerrufene bedingte Strafnachsicht gefaßt wurde. Da sein Gegenstand rechtlich nicht mehr existierte, konnte er keine Rechtswirksamkeit entfalten; insbesondere wurde dadurch der bereits vom Landesgericht für Strafsachen Wien ausgesprochene Widerruf der bedingten Strafnachsicht nicht beseitigt (EvBl 1989/64). Er verletzt deshalb das Gesetz in dem sich aus dem XX.Hauptstück der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft (15 Os 73,74/90, 12 Os 99/93 ua). Der Beschluß ist daher wirkungslos, weswegen wie im Spruch zu erkennen war.

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