OGH 13Os71/09d

OGH13Os71/09d15.10.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef B***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 75 und 12 dritter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Hannes K***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Geschworenengericht vom 27. Jänner 2009, GZ 704 Hv 4/08h-228, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, der Angeklagten Josef B***** und Hannes K*****, sowie deren Verteidiger Dr. Mayer, Mag. Tomanek und Dr. Kresbach zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten Hannes K***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Josef B***** (1) und Hannes K***** (2) aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen (richtig:) jeweils mehrerer Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB, Letzterer als Beitragstäter im Sinn des § 12 dritter Fall StGB, schuldig erkannt. Danach haben in Strasshof an der Nordbahn

1) Josef B***** am 1. Juli 2008 Anna und Johann J***** sowie Viera und Franz B***** durch Schüsse aus einer Pistole Kaliber 7,65 mm vorsätzlich getötet und

2) Hannes K***** im Juni 2008 vorsätzlich zu den zum Nachteil der Anna und des Johann J***** begangenen strafbaren Handlungen beigetragen, indem er Josef B***** für deren Ausführung rund 170.000 Euro versprach und ihn veranlasste, den ursprünglich geplanten Tatzeitpunkt um zwei Tage zu verschieben.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 6, 10a und (richtig:) 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Hannes K***** geht fehl.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung (ON 226 S 179) des Antrags auf zeugenschaftliche Vernehmung des Andreas B***** zum Beweis „der durch den Erstangeklagten durchgeführten Erpressung und dass sich vor allem die Geschworenen auch einen Eindruck davon machen können, wie es dem damals gegangen ist, nachdem ja kurz vorher die Eltern umgebracht worden sind, dass ein persönlicher Eindruck einfach entsteht" (ON 226 S 179), Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil der Beweisantrag den erforderlichen Konnex zur Schuld- oder zur Subsumtionsfrage nicht erkennen ließ (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 f).

Das ergänzende Beschwerdevorbringen hat aufgrund des im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren geltenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen.

Die Fragenrüge (Z 6) zielt auf eine Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§§ 12 dritter Fall, 76 StGB) und hebt zu diesem Zweck zahlreiche Verfahrensergebnisse hervor, die ihrer Ansicht nach dafür sprechen, dass sich Josef B***** in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu habe hinreißen lassen, Anna und Johann J***** zu töten. Dabei übersieht sie, dass gemäß § 13 StGB jeder von mehreren an einer Tat Beteiligten nach seiner Schuld zu bestrafen ist. Demgemäß wären die Beitragshandlungen des Beschwerdeführers nur dann im Sinn des § 76 StGB privilegiert, wenn er sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zu diesen hätte hinreißen lassen (vgl Fabrizy in WK² § 13 Rz 4). Die von der Beschwerde behauptete Gemütslage des Josef B***** ist somit schon in abstracto nicht geeignet, in Bezug auf den Beschwerdeführer die begehrte Eventualfrage zu indizieren.

Soweit die Tatsachenrüge (Z 10a) mehrere Passagen der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers hervorhebt, diese mit Überlegungen zu dessen finanzieller Situation verknüpft, aus den Depositionen des Josef B***** ein gespanntes Verhältnis zwischen den beiden Angeklagten herleitet und hieraus insgesamt anhand eigener Beweiswerterwägungen den Schluss zieht, Josef B***** habe den Beschwerdeführer zu Unrecht belastet, wendet sie sich nach Art einer (bei einzelrichterlichen Urteilen vorgesehenen) Schuldberufung gegen die Beweiswürdigung der Geschworenen. Eine solche Anfechtungsmöglichkeit eröffnet der herangezogene Nichtigkeitsgrund aber gerade nicht. Das Urteil eines Geschworenengerichts ist in Bezug auf die Beweiswürdigung vielmehr nur dann nichtig aus Z 10a, wenn die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Ermessen in einer Weise gebraucht haben, die - aus der Sicht des Obersten Gerichtshofs - im Tatsächlichen schlechterdings unerträglich ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470, 490). Der Oberste Gerichtshof interpretiert den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a (§ 345 Abs 1 Z 10a) StPO - in Anlehnung an die Rechtsprechung zur außerordentlichen Wiederaufnahme nach § 362 StPO - (auch) als sogenannte Aufklärungsrüge und schafft solcherart die Möglichkeit, die Vernachlässigung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§§ 2, 232 Abs 2, 254 StPO) im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren aufzugreifen. Werden diesbezügliche Mängel behauptet, muss die Rüge aber darlegen, wodurch der Angeklagte an der Ausübung seines Rechts auf sachgerechte Antragstellung gehindert gewesen sei, weil andernfalls die gesetzlichen Erfordernisse der Verfahrensrüge (§§ 281 Abs 1 Z 4, 345 Abs 1 Z 5 StPO) unterlaufen würden (zum Ganzen: Lässig, Das Rechtsschutzsystem der StPO und dessen Effektuierung durch den OGH, ÖJZ 2006, 406 [409]). Da die Beschwerde in concreto gar keine Fehler in der Sachverhaltsermittlung behauptet, die Tatsachenrüge also nicht als Aufklärungsrüge ausführt, sind die Überlegungen zur dargelegten Subsidiarität der Tatsachen- gegenüber der Verfahrensrüge unverständlich.

Bezugspunkt der Rechtsrüge ist im geschworenengerichtlichen Verfahren der Wahrspruch der Geschworenen, womit deren prozessordnungskonforme Darstellung den Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts mit diesem erfordert (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 613). Indem die Rüge (Z 11 lit a) von der Feststellung der Geschworenen, der Beschwerdeführer habe durch das Versprechen eines Geldbetrags und die Einflussnahme auf den Tatzeitpunkt zu zwei Morden beigetragen, abgeht und ihr die Behauptung entgegensetzt, das beschriebene Verhalten habe die Tatausführung in keiner Weise beeinflusst, verfehlt sie sohin den gesetzlichen Anfechtungsrahmen.

Auch mit dem Hinweis auf Verfahrensergebnisse, die nach Ansicht des Beschwerdeführers den Rechtsmittelstandpunkt stützen, orientiert sich die Rüge nicht an den Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes.

Der Einwand, die Fragestellung sei „unter Subsumtionsaspekten fehlerhaft" gewesen (der Sache nach Z 6), entzieht sich mangels argumentativen Substrats einer sachbezogenen Erwiderung. Sofern das Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO im Sinn einer Instruktionsrüge (Z 8) zu verstehen ist, sei festgehalten, dass die den Geschworenen gemäß § 321 StPO erteilte schriftliche Rechtsbelehrung das Wesen der Beitragstäterschaft richtig sowie aus der Sicht maßgerechter Laienrichter deutlich und widerspruchsfrei (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 56) darlegt (Beilage ./B zu ON 226 S 5 bis 7).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 344, 288 Abs 1 StPO zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte nach § 75 StGB über Josef B***** eine zwanzigjährige und über Hannes K***** eine zwölfjährige Freiheitsstrafe.

Dabei wertete es bei Josef B***** die vorsätzliche Tötung von vier Personen als erschwerend, die psychische Ausnahmesituation, den bisher ordentlichen Lebenswandel, die Bereitschaft zur Schadensgutmachung, das „Tatsachengeständnis" und den wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung hinsichtlich des Beitragstäters als mildernd, bei Hannes K***** das Handeln aus persönlichen finanziellen Interessen und den Beitrag zur Tötung zweier Personen als erschwerend, die untergeordnete Beteiligung als mildernd. Den gegen die Strafaussprüche gerichteten Berufungen des Hannes K***** und der Staatsanwaltschaft (zum Nachteil beider Angeklagter) kommt keine Berechtigung zu.

Zum Strafausspruch über Josef B*****:

Die Staatsanwaltschaft zeigt zunächst zutreffend auf, dass das Erstgericht die bloße Bereitschaft zur Schadensgutmachung zu Unrecht als mildernd herangezogen hat (Ebner in WK² § 34 Rz 33). Hingegen kommt dem sogenannten Tatsachengeständnis zwar nicht unter dem Aspekt reumütig geständiger Verantwortung (§ 34 Abs 1 Z 17 erster Fall StGB), wohl aber unter jenem des - demnach auch auf die eigene Täterschaft bezogenen und solcherart verstärkten - Beitrags zur Wahrheitsfindung (§ 34 Abs 1 Z 17 zweiter Fall StGB) Relevanz zu. Insoweit stellt das Gesetz im Übrigen nicht auf die innerliche Umkehr des Täters, sondern auf die Bedeutung seiner Aussage für die Beweisführung ab, aus welchem Grund die Überlegungen der Staatsanwaltschaft zur Motivlage des Angeklagten, die Wahrheitsfindung auch in Bezug auf den Beitragstäter zu fördern, auf sich beruhen können (zum Ganzen: Ebner in WK² § 34 Rz 38). Ausgehend vom fortgeschrittenen Alter des (im Jahr 1941 geborenen) Angeklagten und seinem durch eine unheilbare, voraussichtlich in näherer Zukunft zur gänzlichen Erblindung führende Augenkrankheit schwer beeinträchtigten Gesundheitszustand (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) sowie seiner durch ein Sachverständigengutachten objektivierten, nach der Aktenlage aufgrund jahrelanger Feindseligkeiten der späteren Tatopfer verstärkten psychischen Beeinträchtigung (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB) bedarf es unter Berücksichtigung der trotz geringfügiger Korrektur zahlreichen Milderungsgründe nicht der Erhöhung der vom Erstgericht - ohnedies am oberen Rand des gesetzlichen Strafrahmens - ausgemessenen Sanktion.

Zum Strafausspruch über Hannes K*****:

Das Geschworenengericht erfasste die Erschwerungs- und Milderungsumstände vollständig.

Die eingewendete „finanziell triste Situation" stellt den Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 10 StGB nicht her. Dieser liegt vielmehr nur bei einem zur Tatzeit bestehenden oder drohenden Mangel am notwendigen Lebensunterhalt vor, soweit der Täter darauf zielte, durch die Straftat seine existenziellen Lebensbedürfnisse zu befriedigen (Ebner in WK² § 34 Rz 24), was hier nicht behauptet wird. Von einem ordentlichen Lebenswandel geht die angefochtene Entscheidung mit Blick auf zwei strafgerichtliche Vorverurteilungen zu Recht nicht aus.

Die von der Berufung angesprochene „Kooperationsbereitschaft des Zweitverurteilten mit der Polizei und auch seine tatsächlich erfolgte Kooperation mit der Polizei" findet in den Verfahrensergebnissen - jedenfalls im Sinn eines gesetzlich anerkannten Milderungsgrundes (gemeint wohl § 34 Abs 1 Z 17 zweiter Fall StGB) - keine Stütze. Allein die Relation zu der über einen Mitangeklagten ausgesprochenen Strafe stellt schon in abstracto keinen Grund für die allfällige Reduktion der strikt täterbezogen auszumessenden Sanktion (§ 32 Abs 1 StGB) dar. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die vom Erstgericht über Hannes K***** verhängte Strafe nur etwa die Hälfte der gegen Josef B***** ausgesprochenen beträgt, aus welchem Grund der Einwand, die Sanktionen kämen einander unbillig nahe, auch inhaltlich nicht nachvollziehbar ist.

Wie bereits dargelegt wertete das Geschworenengericht ua den Umstand erschwerend, dass Hannes K***** aus persönlichen finanziellen Interessen handelte (US 10). Der Vorverurteilung wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB kommt daneben kein die Erhöhung der ausgemessenen Strafe rechtfertigendes Gewicht zu (§ 33 Z 2 StGB). Von den somit insgesamt zutreffenden Erwägungen des Geschworenengerichts ausgehend erweist sich die - moderat oberhalb der gesetzlichen Strafuntergrenze - gefundene Sanktion als schuld- und tatangemessen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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