OGH 13Os62/14p

OGH13Os62/14p14.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer in der Strafsache gegen Dawid B***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 19. Februar 2014, GZ 39 Hv 3/14p‑36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00062.14P.0814.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen wegen Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III) sowie des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV), demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) wie im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Dawid B***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 und 15 StGB (II) sowie jeweils mehrerer Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV) schuldig erkannt.

Danach hat er im Juni und im Juli 2013 in H***** in jeweils mehreren Angriffen

(II) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er die Scheide der am 3. September 2004 geborenen Martyna R***** betastete, wobei es einmal beim Versuch geblieben ist,

(III) Handlungen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, vor „bzw. an“ einer unmündigen Person vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen, indem er der am 3. September 2004 geborenen Martyna R***** „einen pornografischen Film“ vorführte und mit ihr einen Zungenkuss austauschte, sowie

(IV) durch die zu II und III beschriebenen Taten mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, nämlich seiner am 3. September 2004 geborenen Schwägerin Martyna R*****, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Die von der Mängelrüge (Z 5) vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur subjektiven Tatseite findet sich auf den US 9 f.

Der in diesem Zusammenhang auch erhobene Vorwurf der Undeutlichkeit der Entscheidungsgründe (Z 5 erster Fall) entzieht sich mangels argumentativen Substrats einer sachbezogenen Erwiderung.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch wegen Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III) fehlende Feststellungen zur Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Beschwerdeführers, sich durch die Vornahme der Tathandlungen geschlechtlich zu erregen, einwendet, ohne darzulegen, welche über die getroffenen (US 6) hinausgehenden Konstatierungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich sein sollen, bringt sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform zur Darstellung (RIS‑Justiz RS0095939, RS0117247 und RS0118342).

Soweit die Beschwerde inhaltsgleich zum Schuldspruch wegen Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV) argumentiert, unterlässt sie die gebotene Ableitung der angestrebten rechtlichen Konsequenz aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565 und RS0116569). § 212 Abs 1 StGB verlangt nämlich das angesprochene (qualifizierte) subjektive Tatbestandselement nur hinsichtlich der ‑ hier nicht aktuellen ‑ Tatbestandsvariante des Verleitens des Opfers zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an sich selbst (siehe dazu Fabrizy, StGB11 § 212 Rz 9; Leukauf/Steininger Komm³ § 212 Rz 21 sowie Philipp in WK² StGB § 212 Rz 11).

Aus welchem Grund es hinsichtlich des vom Schuldspruch III (und von einem Teil des Schuldspruchs IV) umfassten Vorführens von Filmen pornografischen Inhalts „äußerst zweifelhaft“ sein soll, ob Martyna R***** „den Sinn der Handlungen auf dem Bildschirm erfassen konnte“, macht die Rüge nicht klar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz mehrfach unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Nach den Feststellungen des Erstgerichts führte der Angeklagte Martyna R***** Filme mit „pornografischem Inhalt“ vor (US 5).

Da der Begriff „pornografisch“ normativer Natur ist, bedarf es unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion (hier: nach § 208 Abs 1 StGB [III]) zu dessen Ausfüllung deskriptiver Sachverhaltskonstatierungen (vgl 12 Os 151/08k, 14 Os 107/11h, 14 Os 26/13z sowie RIS‑Justiz RS0128662), welche das Erstgericht aber nicht getroffen hat.

Ebensowenig vermögen die festgestellten Küsse „mit der Zunge“ (US 5) den Schuldspruch nach § 208 Abs 1 StGB zu tragen, weil diese Norm eine Handlung „vor“ dem Opfer voraussetzt, womit Handlungen unter körperlicher Beteiligung des Opfers insoweit als Subsumtionsbasis ausscheiden (Hinterhofer SbgK § 208 Rz 30; Hinterhofer/Rosbaud BT II5 § 208 Rz 4; Philipp in WK² StGB § 208 Rz 1).

Mit Blick auf eine allfällige Subsumtion des angesprochenen Geschehens nach § 207 Abs 1 StGB sei ergänzt, dass ein Zungenkuss per se nach herrschender Auffassung nicht dem Begriff der „geschlechtlichen Handlung“ zu unterstellen ist (Hinterhofer SbgK § 202 Rz 34; Leukauf/Steininger Komm³ § 207 Rz 7; Philipp in WK² StGB § 207 Rz 8, jeweils mwN).

Durch die vom Schuldspruch III umfassten Handlungen erachtet das Erstgericht offenbar überdies (echt konkurrierend) jeweils den Tatbestand des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB als erfüllt (US 6 und 11 iVm US 2).

Da aber einerseits das Vorführen von Filmen (welchen Inhalts auch immer) keine (geschlechtliche) Handlung mit, von oder an einer anderen Person darstellt, und andererseits das Austauschen von Zungenküssen per se ‑ wie dargelegt ‑ nicht dem Tatbestandselement der „geschlechtlichen Handlung“ entspricht, tragen die diesbezüglichen Feststellungen auch die Subsumtion nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB nicht.

Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler waren die Schuldsprüche wegen jeweils mehrerer Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV) schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

Dies hat die Aufhebung des Strafausspruchs und des Adhäsionserkenntnisses zur Folge, Letzteres, weil das Erstgericht das Adhäsionserkenntnis undifferenziert auf sämtliche Schuldspruchsachverhalte gestützt hat (US 12) und solcherart nicht beurteilt werden kann, ob der Privatbeteiligtenzuspruch im (rechtskräftigen) Schuldspruch II Deckung findet (17 Os 9/13x; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7).

Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein:

(1) Falls die Tatrichter erneut zur Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte Martyna R***** dem Anklagesachverhalt entsprechende Filme vorgeführt hat, wird deren insoweit wesentlicher Inhalt festzustellen und auf dieser Basis zu beurteilen sein, ob diese Filme als „pornografisch“ (vgl § 207a Abs 4 StGB) zu werten sind. Sodann wird die Verwirklichung des Tatbestands des § 208 Abs 1 StGB, insbesonders die erforderliche Gefährdungseignung (hiezu Philipp in WK² StGB § 208 Rz 7 mwN), zu prüfen sein.

(2) Sollten die Tatrichter bloß die vom Schuldspruch II umfassten Taten (auch) dem Tatbestand des § 212 Abs 1 Z 2 StGB unterstellen (zur diesbezüglichen echten Konkurrenz siehe Hinterhofer SbgK § 207 Rz 58 sowie Philipp in WK² StGB § 207 Rz 26), wird dies im Sinn des § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO auszusprechen sein.

(3) Bei der Beurteilung des Vorwurfs, der Angeklagte habe auch durch das Vorführen von Filmen „pornografischen“ Inhalts und durch das Austauschen von Zungenküssen den Tatbestand des § 212 Abs 1 Z 2 StGB verwirklicht (ON 23 S 2), wird auf die dargelegte Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs Bedacht zu nehmen sein (§ 293 Abs 2 StPO).

(4) Sofern die Tatrichter davon ausgehen, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist (vgl US 2, 10), wird dies im Rahmen der Strafbemessung als besonderer Milderungsgrund (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) zu berücksichtigen sein (vgl demgegenüber US 11).

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs, Ersterer auch auf jene des Adhäsionserkenntnisses, zu verweisen.

Die Kostenentscheidung ‑ welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12) ‑ gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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