OGH 13Os61/23d

OGH13Os61/23d18.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen J* U* und einen Angeklagten wegen Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten J* U* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. November 2022, GZ 95 Hv 72/22m‑55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00061.23D.1018.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Wirtschaftsstrafsachen

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen der Angeklagten J* U* und L* U* wegen Vergehen des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB (I) sowie der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und 5 Z 4 StGB (III 1) und nach § 159 Abs 2 und 5 Z 4 StGB (III 2), demzufolge auch in den Strafaussprüchenund im Zuspruch an die Privatbeteiligte,sowie der den Angeklagten L* U* betreffende Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit aufgehobenund es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Der Angeklagten J* U* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde und die amtswegige Maßnahme von Bedeutung –J* U* und L* U*, der das Urteil unbekämpft ließ, jeweils eines Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (II) sowie jeweils eines Vergehens des Vorenthaltens von (gemeint) Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB (I) und der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1 und 5 Z 4 StGB (III 1) sowie nach § 159 Abs 2 und 5 Z 4 StGB (III 2) schuldig erkannt.

[2] Danach haben J* U* als Verantwortliche und L* U* als faktischer Verantwortlicher (US 4) des Einzelunternehmens J* U* im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) in W*

(I) vomJänner 2020 bis zum Juli 2021 als Dienstgeber der Ö* als berechtigtem Versicherungsträger Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung von insgesamt 32.025,90 Euro vorenthalten,

(II) vom Jänner 2020 (US 5) bis zum Juli 2021 Bestandteile des Vermögens des Einzelunternehmens J* U* durch Barbehebungen von insgesamt 222.932,91 Euro für private Zwecke beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung der Unternehmensgläubiger im Betrag von 167.342,80 Euro vereitelt sowie

(III) grob fahrlässig (§ 6 Abs 3 StGB) durch kridaträchtiges Handeln, indem sie jeweils entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens Geschäftsbücher zu führen unterließen (§ 159 Abs 5 Z 4 StGB),

1) vomOktober 2017 bis zum März 2020 die Zahlungsunfähigkeit des Einzelunternehmens J* U* herbeigeführt und

2) vom April 2020 bis 8. September 2021 in fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Befriedung wenigstens eines Unternehmensgläubigers vereitelt oder geschmälert.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 57), aber nicht ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten J* U*.

[4] Da die Beschwerdeführerin binnen vier Wochen nach der Zustellung einer Urteilsabschrift keine Ausführung ihrer Beschwerdegründe überreichte (§ 285 Abs 1 StPO) und auch bei der Anmeldung die Nichtigkeitsgründe bloß ziffernmäßig, sohin nicht deutlich und bestimmt bezeichnete, war die Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO).

[5] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Schuldspruch I und III nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit (Z 9 lit a) anhaftet, die beiden Angeklagten zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[6] Ein im Sinn des § 153c StGB tatbildliches Verhalten erfordert, dass der Dienstgeber in Bezug auf die in Rede stehenden Dienstnehmerbeiträge die Löhne tatsächlich ausbezahlt hat (Kirchbacher/Sadoghi in WK² § 153c Rz 14 und RIS‑Justiz RS0084575).

[7] Zum Schuldspruch wegen des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB (I) traf das Erstgericht keine hinreichenden Konstatierungen, die eine Beurteilung ermöglichen, ob und in welchem Umfang die Angeklagten im Tatzeitraum (Jänner 2020 bis Juli 2021) die Löhne ausbezahlten. Die keinem Zeitraum zugeordnete Feststellung, wonach die Angeklagten „für ihre Tätigkeit für [das Einzelunternehmen] ... einen monatlichen Lohn“ erhielten (US 4), reicht hiefür nicht aus.

[8] Die Subsumtion eines Verhaltens unter § 159 Abs 1 StGB (III 1) sowie § 159 Abs 2 StGB (III 2) setzt voraus, dass das kridaträchtige Verhalten (§ 159 Abs 5 StGB) den jeweiligen tatbestandsmäßigen Erfolg in objektiv zurechenbarer Weise verursacht. Die Zahlungsunfähigkeit muss gerade durch die inkriminierte Verhaltensweise (hier § 159 Abs 5 Z 4 StGB) herbeigeführt worden sein (§ 159 Abs 1 StGB) oder dieses Verhalten muss die Gläubigerschädigung verursacht haben (§ 159 Abs 2 StGB). Die Verursachung im dargestellten Sinn muss im Urteil festgestellt werden, wobei Mitverursachung genügt (Kirchbacher in WK2 StGB § 159 Rz 8, 19, 37, 70 und 81 sowie RIS‑Justiz RS0118309). Dies ist insbesondere bei den Begehungsweisen nach § 159 Abs 5 Z 4 und 5 StGB von Bedeutung, die für sich allein die Vermögens‑, Finanz‑ oder Ertragslage nicht verändern, aber dem Schuldner den gebotenen zeitnahen Überblick über die wirtschaftliche Lage erheblich erschweren und so zur Mitursache dafür werden können, dass er seine Verbindlichkeiten nicht (mehr) in redlicher Weise zu bedienen im Stande ist (Kirchbacher in WK2 StGB § 159 Rz 70). In diesen Fällen ist eine aufgrund des fehlenden Überblicks getätigte Vermögensdisposition notwendig, die für den eingetretenen Erfolg kausal wird (Leukauf/Steininger/Flora, StGB4 § 159 Rz 22 mwN).

[9] Die Urteilskonstatierungen, wonach die Angeklagten „ab der Firmengründung im Oktober 2017“ die ordnungsgemäße Führung von Geschäftsbüchern unterließen, wodurch sie nicht in der Lage waren, die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens richtig und zeitnah zu überblicken und dadurch die Zahlungsunfähigkeit herbeiführten (US 5 und 9) sowie ab der Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit durch die „weiterhin mangelhafte Buchführung“ die Befriedigung mindestens eines Gläubigers vereitelten bzw schmälerten (US 6 und 9), bleiben insoweit ohne Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090) und stellen solcherart – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – keine taugliche Subsumtionsbasis für den Schuldspruch III dar.

[10] Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) haften dem Schuldspruch I und III nicht nur zum Nachteil der Angeklagten J* U*, sondern unbekämpft auch zum Nachteil des Angeklagten L* U* an und waren daher in Bezug auf Letzteren ebenfalls von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[11] Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

[12] Die Kassation des Strafausspruchs des Angeklagten L* U* hatte jene des nach § 494a StPO gefassten Beschlusses zur Folge (vgl RIS‑Justiz RS0101886).

Für den zweiten Rechtsgang sei hinzugefügt:

[13] Gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO ist eine Erklärung des Opfers, sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter anzuschließen, zurückzuweisen, wenn sie offensichtlich unberechtigt ist, etwa dann, wenn schon nach ihrem Inhalt ein rechtliches Interesse des Opfers an der Privatbeteiligung nicht (mehr) gegeben ist, weil diese zu keinem Zuspruch im Strafverfahren führen kann (Spenling,WK‑StPO Vor §§ 366–379 Rz 54). Der Insolvenzverwalter kann in der Insolvenz über das Vermögen des Schädigers nicht Privatbeteiligter im gegen diesen geführten Strafverfahren sein (Spenling,WK‑StPO Vor §§ 366–379 Rz 71 und 73 sowie Kirchbacher in WK2 StGB § 156 Rz 32 und § 159 Rz 114, jeweils mwN). Die Anschlusserklärung der Insolvenzverwalterinim Insolvenzverfahren des gegenständlichen Unternehmens (US 5) wird in diesem Sinn zu prüfen sein.

[14] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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