Spruch:
In der Strafsache gegen Alfred G*** wegen § 223 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, AZ 6 E Vr 1355/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, verletzen
1./ das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 6. Juli 1989, GZ 6 E Vr 1355/89-5, mit dem Alfred G*** des Vergehens der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 1 und Abs. 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 223 Abs. 1 StGB, 2./ das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 26. September 1989, AZ 10 Bs 328/89, insoweit, als darin eine amtswegige Wahrnehmung der zu 1./ bezeichneten Gesetzesverletzung unterblieben ist, das Gesetz in der Bestimmung des § 477 Abs. 1 StPO. Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz wird aufgehoben und es wird diesem Gericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung einer Berufungsverhandlung aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 6.Juli 1989, GZ 6 E Vr 1355/89-5, wurde der am 10. April 1964 geborene beschäftigungslose Alfred G*** des Vergehens der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 1 und Abs. 2 StGB schuldig erkannt. Darnach hat der Angeklagte im Jahre 1989 in Graz zwei vom praktischen Arzt Dr. Johann K*** ausgestellte Rezepte, die zum Bezug von Rohypnol berechtigten, dadurch, daß er darauf den Schriftzug "Antapentan" mit der Abgabenmenge "OP V-duo" einsetzte und in diversen Apotheken vorlegte, mit dem Vorsatz verfälscht, daß sie im Rechtsverkehr zum Bezug von ärztlich nicht verschriebenen Tabletten gebraucht werden und die verfälschten Urkunden auch im Rechtsverkehr zum Beweise dieses Rechtes gebraucht. Nach den hiezu getroffenen Urteilsfeststellungen hatten die Verfälschungen den unberechtigten Bezug von jeweils insgesamt 200 Stück Antapentan-Tabletten - ein als Suchtgiftersatz verwendetes Aufputschmittel - ermöglicht. Dem Angeklagten sind derartige Bezüge (von jeweils geringen Mengen des Medikaments) zunächst gelungen; schließlich wurden die (abermals vorgelegten) Rezepte in den Apotheken "Zu Mariatrost" und "Zur heiligen Elisabeth" in Graz sichergestellt.
Nach Ansicht der Tatrichter war durch diese Handlungen - im Sinne der Ausführungen von Foregger-Serini, StGB4 Erl. VI letzter Satz - der Tatbestand nach dem § 223 Abs. 1 und Abs. 2 StGB erfüllt. Über den Angeklagten wurde gemäß dem § 223 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verhängt.
Rechtliche Beurteilung
Der nur gegen den Ausspruch über die Strafe erhobenen Berufung des Angeklagten wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 26. September 1989, AZ 10 Bs 328/89, dahin Folge gegeben, daß die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe auf zwei Monate herabgesetzt wurde. Hiebei schloß sich das Berufungsgericht - ersichtlich im Rahmen einer Prüfung gemäß dem § 477 Abs. 1 StPO - der Rechtsansicht des Erstgerichtes an, wonach sich der eine verfälschte Urkunde auch tatsächlich gebrauchende Fälscher des Vergehens der Urkundenfälschung in beiden Erscheinungsformen (§ 223 Abs. 1 und Abs. 2 StGB) strafbar macht; hiezu komme, daß sich eine allfällige Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirke. Das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 6. Juli 1989 und die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Graz vom 26. September 1989, soweit darin eine Maßnahme gemäß dem § 477 Abs. 1 StPO unterblieben ist, stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Nach der ständigen, mit dem überwiegenden Teil des Schrifttums (vgl. Kienapfel, WK, § 223 Rz 260; Leukauf-Steininger, Komm. zum StGB2, § 223 Rz 40 ff; Steininger, Urkunden- und Beweiszeichendelikte im Strafgesetzbuch, Bezauer Tage 1979, 161 ff) im Einklang stehenden Rechtsprechung des Obersten Gerichthofes (vgl. SSt. 48/60, JBl. 1988, 659 uva) hat derjenige, der mit dem im § 223 Abs. 1 StGB umschriebenen erweiterten Vorsatz eine falsche Urkunde herstellt oder eine echte Urkunde verfälscht und von dieser in der Folge im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache Gebrauch macht, ausschließlich das Vergehen nach dem § 223 Abs. 2 StGB zu verantworten; das Vergehen nach dem § 223 Abs. 1 StGB wird diesfalls durch jenes nach dem § 223 Abs. 2 StGB verdrängt und durch die Bestrafung des Täters wegen des zuletzt genannten Deliktes mitabgegolten (15 Os 151/89 = JUS-EXTRA OGH-StNr. 350). Entgegen der Ansicht von Foregger-Serini (StGB4, § 223 Anm. IV) und Wegscheider (RZ 1976, 172) kommt dem Unwert der Fälschungshandlung für sich allein kein solches Gewicht zu, daß sie von der Bestrafung wegen eines nachfolgenden, die durch die Fälschung zunächst bewirkte Rechtsgutbeeinträchtigung verstärkenden Gebrauchs des Falsifikats durch den Fälscher im Rechtsverkehr nicht erfaßt wäre. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Fälscher, welcher eine ausführungsnahe Versuchshandlung in Richtung des § 223 Abs. 2 StGB unternimmt, nicht wegen vollendeter, sondern nur wegen versuchter Urkundenfälschung strafbar ist, weil es sich beim Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB um ein selbständig vertyptes Vorbereitungsdelikt handelt, das gegenüber dem Versuch und der Vollendung des die Ausführungsphase der betreffenden Rechtsgutbeeinträchtigung erfassenden Delikts grundsätzlich zurückzutreten hat (vgl. Kienapfel, WK, Vorbem. zu § 223 ff, Rz 36 und § 223, Rz 144, sowie abermals SSt. 48/60).
So gesehen bieten die Ausführungen bei Foregger-Serini keinen Anlaß, von den vom Obersten Gerichtshof zum Verhältnis der Absätze 1 und 2 des § 223 StGB entwickelten Auslegungsgrundsätzen abzugehen. Unzutreffend ist schließlich die in seiner Entscheidung zum Ausdruck kommende Ansicht des Oberlandesgerichtes Graz, daß sich die Subsumtion des inkriminierten Tatverhaltens unter beide Deliktsfälle des § 223 StGB nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirke. Da diese keine gleichwertigen Begehungsformen, sondern im Verhältnis zueinander kumulative Mischtatbestände darstellen, begründet die rechtswidrige Annahme beider Deliktsfälle, obwohl bei richtiger rechtlicher Beurteilung nur einer von ihnen als verwirklicht anzusehen gewesen wäre, eine Benachteiligung des Angeklagten. Dem entspricht, daß die Tatrichter bei der Strafbemessung von einem Zusammentreffen strafbarer Handlungen ausgegangen sind (§ 28 StGB) und als erschwerend (§ 33 Z 1 StGB) gewertet haben, daß der Angeklagte Rezepte verfälscht und zwecks Medikamentenbezug verwendet hat. Demgemäß hätte das Oberlandesgericht Graz aus Anlaß der vom Angeklagten ergriffenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe gemäß § 477 Abs. 1 StPO die unrichtige Gesetzesanwendung von Amts wegen wahrnehmen müssen.
Es war wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.
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