Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 7. August 1992, GZ 16 Vr 299/92-38, wurde Ingomar Ernst E***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 1. März 1992 in Feldkirch unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden halluzinoseartigen subakuten Verwirrtheitszustandes, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung, die ihm außerhalb dieses Zustandes als das Vergehen der teils vollendeten, teils versuchten schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 und 15 StGB zugerechnet würde, begangen hat.
Das Landesgericht Korneuburg als Vollzugsgericht (§ 162 Abs 1 StVG) hat mit Beschluss vom 18. März 1999, GZ 32 BE 87/98-11, die bedingte Entlassung des Ingomar Ernst E***** aus dieser Maßnahme mit 15. April 1999 gemäß § 47 StGB angeordnet und die Probezeit mit fünf Jahren bestimmt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Feldkirch vom 17. Jänner 2000, GZ 17 Vr 1568/99-22, wurde Ingomar Ernst E***** der Vergehen der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB und der versuchten Sachbeschädigung nach den §§ 15, 125 StGB sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG schuldig erkannt, wobei die dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Taten am 11. November 1999, sohin während der Probezeit nach der bedingten Entlassung begangen worden waren. Der Beschuldigte wurde hiefür nach § 105 Abs 1 StGB unter Anwendung der §§ 28, 39 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt. Unter einem wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO die mit Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom 18. März 1999 angeordnete bedingte Entlassung aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB widerrufen.
In der von ihm gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes hat der Generalprokurator hiezu ausgeführt:
"Dieser Widerrufsbeschluss des Landesgerichtes Feldkirch steht mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil dem Einzelrichter ein Ausspruch nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO nicht zustand.
Gemäß § 162 Abs 2 Z 1 StVG entscheidet über den Widerruf der bedingten Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme (§ 54 StGB) grundsätzlich das Vollzugsgericht (Abs 1), soweit in den §§ 179 und 180 StVG nichts anderes bestimmt wird. Während § 179 Abs 1 StVG lediglich eine Änderung der örtlichen Zuständigkeit des Vollzugsgerichtes vorsieht, ordnet Abs 2 leg cit an, dass über den Widerruf einer bedingten Entlassung aus Anlass einer neuen Verurteilung das nach Maßgabe des § 494a StPO zuständige Gericht zu entscheiden hat.
§ 494a StPO wieder normiert die Zuständigkeit de erkennenden Gerichts zur Entscheidung (ua) über den Widerruf einer bedingten Entlassung. Selbst wenn § 494a Abs 1 StPO nicht den ausdrücklichen Hinweis auf die bedingte Entlassung aus einer Anstalt nach den §§ 21 bis 23 StGB enthält, ergibt Sinn und Zweck dieser mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987 (BGBl 1987/605) neu eingeführten Bestimmung, nämlich den "Ratenvollzug" durch eine Gesamtregelung aller in Betracht kommenden Sanktionen in den häufigen Fällen weitgehend zu beseitigen, in denen ein Angeklagter bereits eine bedingte Vorverurteilung (§§ 13 JGG, 43, 43a, 44 StGB) oder einen bedingt nachgesehenen Straf- (§ 46 StGB) oder Maßnahmenrest (§ 47 StGB, § 162 Abs 2 Z 1 iVm § 179 Abs 2 StVG) aufweist, die Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes auch zur Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung aus einer der oben angeführten Maßnahmen (siehe Foregger/Kodek StPO7 § 494a Anm I; Ratz im WK2 § 54 Rz 11; aM Mayerhofer StPO4 § 494a E 12), zumal auch der Gesetzeswortlaut eine Einschränkung auf bedingte Entlassungen aus Freiheitsstrafen nicht vornimmt.
Die Befugnis zum Widerruf (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) ist jedoch bei Einzelrichter und Bezirksgericht im Einzelfall entsprechend der Strafbefugnis dieser Gerichte beschränkt (§ 494a Abs 2 erster Satz StPO). Daraus folgt, dass bedingte Entlassungen aus Maßnahmen nur Gerichte widerrufen können, die auch zur Verhängung der entsprechenden Maßnahme befugt wären (Foregger/Kodek aaO Anm III; Platzgummer Strafverfahren8 S 241 zweiter Absatz; aM Ratz aaO). Fehlt es an der Strafbefugnis oder an der Befugnis zur Verhängung der Maßnahme, so hat das Gericht mit Beschluss auszusprechen, daß die Entscheidung dem sonst zuständigen Gericht vorbehalten bleibt (§ 494a Abs 2 letzter Satz StPO; Platzgummer aaO).
Zufolge § 430 Abs 1 letzter Satz StPO kann eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB nur durch ein Schöffen- oder Geschworenengericht erfolgen, sodass vorliegendenfalls der Einzelrichter zum Widerruf der bedingten Entlassung nicht befugt war. Das Erstgericht hätte daher die Entscheidung über den Widerruf dem gemäß § 179 Abs 1 StVG zuständigen Vollzugsgericht vorbehalten müssen.
Durch die Widerrufsentscheidung des Einzelrichters wurde daher das Gesetz zum Nachteil des Verurteilten verletzt, sodass ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes nach § 292 letzter Satz StPO geboten ist."
Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:
Rechtliche Beurteilung
Den Ausführungen der Absätze zwei und drei der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ist uneingeschränkt zu folgen. Die weitere Argumentation, dass zum Widerruf bedingter Entlassungen aus Maßnahmen nur jene Gerichte zuständig wären, die auch die Kompetenz zum Ausspruch der jeweiligen Maßnahmen hätten, kann hingegen nicht geteilt werden:
Der Zweck des § 494a StPO, eines Kernstückes des StRÄG 1987, war, dass - mit geringen unvermeidlichen Ausnahmen - das zuletzt entscheidende Gericht auch über alle noch offenen bedingten Unrechtsfolgen aus anderen Entscheidungen abspricht, dies in Verfolgung eines spezialpräventiv wirksamen kriminalpolitischen Konzeptes, zur Vermeidung von Ratenvollzügen und aus Gründen der Verfahrensökonomie. Deshalb sind Ausnahmen von einer Entscheidungskompetenz durch das erkennende Gericht - ausdrücklich nur in § 494a Abs 2 StPO aufgenommen und einer Erweiterung nicht zugänglich.
Mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahmen (§§ 21 Abs 1, 21 Abs 2, 22 und 23 StGB) sind im dritten Abschnitt des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches gesondert neben den Strafen der Abschöpfung der Bereicherung und dem Verfall geregelt (s auch XXV. Hauptstück der StPO). Ihr Zweck und die sie begleitenden periodischen Kontrolle (§ 25 Abs 3 und Abs 4 StGB) bei ihrem Vollzug, unterstreichen ihre Sonderstellung aus.
Zwar verweist § 179 Abs 2 StVG auf § 494a StPO, wo im Abs 1 von bedingter Strafnachsicht und (ohne Differenzierung s. §§ 53, 54 StGB) von bedingter Entlassung die Rede ist, in der Textierung des § 494a Abs 2 StPO werden jedoch nur Strafen und Strafreste, ohne die vorbeugenden Maßnahmen genannt.
Es wären im Übrigen - vertritt man die Meinung der Wahrungsbeschwerde - Fälle denkbar, wonach gemäß § 54 Abs 1 zweiter Satz StGB zwar das erkennende Gericht zu entscheiden hätte, nach der (von der Wahrungsbeschwerde angestrebten) Überlegungen aber das Vollzugsgericht. Bei § 21 Abs 1 StGB ist der von der Generalprokuratur initiierte Weg überhaupt nur gangbar, wenn es nicht wieder zur Einweisung kommt. Wenn der Gesetzgeber nach § 21 Abs 2 StGB eine Einweisung in eine Anstalt durch den Einzelrichter ermöglicht (§§ 435 ff StPO), dann spricht wohl auch nichts gegen den Widerruf der Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB durch diesen. Die Vorstellung, die schwerwiegende Maßnahmenwiderrufsentscheidung könne nur in die Hand entsprechend "qualifizierter" Gerichtstypen gelegt werden, ist schon dadurch erschüttert, dass die zeitlich unbegrenzten Einweisungen ohnedies der spätestens alljährlichen Kontrolle des § 25 Abs 3 StGB unterliegen, das in der zeitlichen Abfolge der Strafbefugnis des Bezirksgerichtes gleicht. Die der Sache nach von der Generalprokuratur verlangte analoge Ausdehnung des § 494a Abs 2 StPO auch auf den Widerruf einer vorbeugenden Maßnahme nach § 54 StGB, hätte notwendigerweise die Annahme einer planwidrigen Lücke des § 494a Abs 2 StPO zur Voraussetzung (statt aller: 13 Os 121/98 = AnwBl 1999/7602, 11 Os
97/98 = JBl 1999, 479, 14 Os 96, 97/98 = MR 1998, 262, 11 Os 79,
80/98 = RZ 1999/12, 12 Os 138/96), so zwar, dass die Einschränkung
der (sachlichen) Widerrufskompetenz irrtümlich bloß für Strafen und Strafreste, nicht aber auch für die sonstigen Fälle des § 54 StGB angeordnet wurde. Die Behauptung, der Gesetzgeber habe zwar in § 179 Abs 2 StVG (im unmittelbaren Anschluss an die Behandlung der freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen) die Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes für den Fall der Verurteilung wegen einer in der Probezeit begangenen strafbaren Handlung angeordnet und in § 494a Abs 1 StPO gleich drei Mal zwischen Strafen und Maßnahmen differenziert, einen Absatz weiter aber eben jene Differenzierung aus den Augen verloren, nicht ohne sich im folgenden Abs 6 ihrer wieder zu entsinnen, um sodann in § 495 Abs 1 StPO ausdrücklich auch den einzigen in § 494a Abs 1 StPO nicht angesprochenen (Nachsichts-)Fall, nämlich den des Widerrufs der bedingten Nachsicht einer Unterbringung nach § 22 StGB (§ 54 StGB), zu regeln, ist, nicht überzeugend. Damit nicht genug, würde die vom Generalprokurator geforderte Einschränkung der sachlichen Widerrufskompetenz des erkennenden Gerichtes zu dem aus teleologischer Sicht nicht tragbaren Ergebnis führen, dass einerseits dessen Zuständigkeit ausdrücklich angeordnet, diese Zuständigkeit aber (von einer verfehlten ein Gericht höherer Ordnung anrufenden Anklage abgesehen) regelmäßig nicht effektuiert würde. Denn nach § 54 Abs 1 zweiter Satz StGB kommt der Widerruf einer bedingten Entlassung aus einer Maßnahme in all jenen Fällen von vornherein nicht in Betracht, in denen diese neuerlich angeordnet wird.
Während also die vom Generalprokurator behauptete Einschränkung der Widerrufszuständigkeit des erkennenden Bezirksgerichtes nicht nur hinsichtlich einer Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB nicht zum Tragen käme, weil § 494a Abs 1 StPO nur bei einer Verurteilung schlagend wird und im Fall des § 22 StGB ohnehin auch das Bezirksgericht einweisungsbefugt ist, hätte neuerliche, die Zuständigkeit eines zur Unterbringung nach §§ 21 Abs 2 und 23 StGB befugten Gerichtes bedingende Delinquenz in aller Regel zur Folge, dass ein Widerruf nicht in Betracht kommt, weil - bei Fortbestand der (auch für den Widerruf erforderlichen) Gefährlichkeit - die Maßnahme regelmäßig neuerlich anzuordnen wäre. Kurz: Hätte nur das für eine Einweisung zuständige Gericht die Widerrufskompetenz, käme ein Widerruf gem § 54 Abs 1 zweiter Satz StGB weitgehend nicht in Betracht. Ruft der Ankläger jedoch einen letztlich überqualifizierten Spruchkörper an, bedarf es analoger Anwendung des § 494a Abs 2 StPO wiederum nicht.
Die Tatsache, dass die von der Beschwerde angestrebte Einschränkung der Widerrufskompetenz des erkennenden Gerichtes auf zur Anordnung der jeweiligen Maßnahme befugte Spruchkörper kaum je schlagend würde, beiseite gelassen, ist der Gedanke, den Widerruf einem möglichst umständlichen Vorgang zu unterwerfen, seinerseits nicht überzeugend. Denn spätestens seit der detaillierten Regelung des § 166 StVG bezweckt das Gesetz unmissverständlich, den fließenden Übergang von strengster Verwahrung in ungehinderte Freiheit zu ermöglichen, um so das Potential der modernen Psychiatrie ("extra muros") bestmöglich nützen zu können. In Ergänzung zur stRsp, welche bei Anordnung der Maßnahme Behandlungs- und Substitutionsmöglichkeiten ausblendet (zuletzt 14 Os 8/00), um der Grundentscheidung der Strafrechtsreform, die Sozialkontrolle auch über kranke Täter dem Strafgericht zu überantworten (vgl Höpfel, Die Unterbringung minder Gefährlicher nach § 21 Abs 1 StGB, Moos-FS 69), soll die Annahme nicht mehr bestehender Gefährlichkeit und die damit verbundene bedingte Entlassung aus der Maßnahme (§ 47 StGB) dem Vollzugsgericht dadurch möglichst leicht gemacht werden, dass auch die Widerrufsschwelle niedrig angesetzt wird. Dazu trägt auch ein rasches, prozessökonomisches Widerrufsverfahren bei. So kann wieder aufflackernder Gefährlichkeit zum Schutz der Bevölkerung leicht Rechnung getragen werden, ohne bei der Entlassung angesichts bekannter Unsicherheiten von Gefährlichkeitsprognosen eine zu restriktive Haltung einnehmen zu müssen. Demnach korrelieren erleichterte Entlassung mit erleichtertem Widerruf der Maßnahme.
Inhalt der Widerrufsentscheidung ist schließlich keineswegs der aus den im § 53 Abs 3 StGB genannten Umständen zu erbringende Beweis, dass die für die Anordnung der Maßnahme erforderliche Gefährlichkeit noch besteht. Den Nachweis der vom Gesetz verlangten Gefährlichkeit hatte nämlich bereits das über die Anordnung der Maßnahme (vor der bedingten Entlassung) erkennende Gericht im Angesicht der Anlaßtat(en) zu erbringen. Für die Widerrufsentscheidung recht es vielmehr hin, dass sich in einem dieser Umstände der Fortbestand der Gefährlichkeit manifestiert, sich also daraus "ergibt". Nicht verlangt ist, dass die Befürchtung allein daraus abgeleitet werden kann (Ratz in WK2 § 54 Rz 5, 7). In Ergänzung dazu kommt - wie bereits erwähnt - dem Vollzugsgericht die Aufgabe begleitender Kontrolle zu, ob die Unterbringung weiterhin aufrechtzuerhalten ist (§ 25 Abs 3 und 4 StGB).
Deshalb kann entgegen der Meinung der Wahrungsbeschwerde, die Zuständigkeitseinschränkung des § 494a Abs 2 StPO betreffend Strafen bzw Strafreste auf die Zuständigkeit für den Widerruf bedingter Entlassungen aus Maßnahmen nicht erweitert werden.
Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war demnach zu verwerfen.
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