OGH 13Os44/11m

OGH13Os44/11m14.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Tomecek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz L***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 17. Jänner 2011, GZ 13 Hv 58/10y-50, in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Dr. Mauhart zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt,

in der rechtlichen Unterstellung der Tat laut Schuldspruchpunkt 1 unter das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und

im Schuldspruchpunkt 3/1 im Umfang, Franz L***** habe nach dem 10. November 2008 bis 1. April 2010 an seiner am 10. November 1994 geborenen, mithin im Tatzeitpunkt unmündigen Stieftochter Julia K***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er ihren Brust- und Genitalbereich streichelte

und demgemäß in dem den Angeklagten betreffenden Strafausspruch sowie im Zuspruch von Schadenersatz an Julia K***** aufgehoben und im Umfang der Aufhebung gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Franz L***** hat durch die Tat laut Schuldspruchpunkt 1 das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB in der Fassung BGBl 1989/242 begangen und wird hiefür sowie für die ihm nach den unberührt gebliebenen Schuldspruchpunkten zur Last liegenden strafbaren Handlungen unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 206 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

Vom Vorwurf, er habe auch nach dem 10. November 2008 bis zum 1. April 2010 an seiner am 10. November 1994 geborenen, mithin im Tatzeitpunkt unmündigen Stieftochter Julia K***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er ihren Brust- und Genitalbereich streichelte, wird Franz L***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Gemäß § 369 Abs 1 StPO ist Franz L***** schuldig, der Privatbeteiligten Julia K***** innerhalb von 14 Tagen einen Betrag von 4.000 Euro zu zahlen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Über die Anrechnung der von Franz L***** in Vorhaft zugebrachten Zeit hat das Erstgericht zu entscheiden.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz L***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (1), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (2), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (3) sowie der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (5) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (4) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (6) schuldig erkannt.

Danach hat er in P***** und an anderen Orten

(1) zu einem unbekannten Zeitpunkt im Sommer 2001 Julia K***** mit Gewalt, indem er ihre Hände über ihrem Kopf zusammenhielt, zur Duldung des Beischlafs genötigt;

(2) durch die zu 1 geschilderte Tat mit seiner am 10. November 1994 geborenen, mithin zur Tatzeit unmündigen Stieftochter Julia K***** den Beischlaf unternommen;

(3) geschlechtliche Handlungen vorgenommen und zwar

1) wiederholt zu unbekannten Zeitpunkten von Sommer 2001 bis zum Zeitraum 21. März bis 1. April 2010 an seiner am 10. November 1994 geborenen, mithin zur Tatzeit unmündigen Stieftochter Julia K*****, indem er ihren Brust- und Genitalbereich streichelte,

2) wiederholt zu unbekannten Zeitpunkten von 2006 bis Anfang 2008 an seiner am 15. März 1998 geborenen, mithin zur Tatzeit unmündigen Stieftochter Sandra K*****, indem er ihren Genitalbereich streichelte;

(4) durch die unter 1 bis 3 geschilderten Taten mit seinen minderjährigen Stieftöchtern Julia und Sandra K***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

(5) Personen durch Drohung mit dem Tod zu Unterlassungen teils genötigt, teils zu nötigen versucht und zwar

1) zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2009 Julia K***** durch die Äußerung, „Wenn du etwas sagst, bist du a dran!“, wobei er zur Untermauerung eine Handbewegung am Hals ähnlich einem „Halsabschneiden“ machte, zur Abstandnahme davon, ihrer Mutter Gertrude L***** von den sexuellen Übergriffen zu erzählen,

2) am 6. April 2010 Ulrike K***** durch die Äußerung, „Wannst a Anzeige machst daun drah i da den Schädel um!“, zur Abstandnahme von der Erstattung einer Anzeige, wobei es beim Versuch geblieben ist;

(6) zu unbekannten Zeitpunkten in den Jahren 2008 und 2009 Gertrude L***** dadurch am Körper

1) zu verletzen versucht, dass er mit einem eisernen Barhocker gegen ihren Kopf schlug,

2) verletzt, dass er sie würgte, wodurch sie Hämatome erlitt.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Soweit die ohne Einschränkung angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde auch die Schuldspruchpunkte 5 wegen Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB und 6 wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB umfasst, blieb sie mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen unausgeführt (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Indem sich die Mängelrüge (Z 5, nominell verfehlt auch unter der Z 9 lit a) gegen den vom Erstgericht gewonnenen glaubwürdigen Eindruck der Julia K***** wendet, spricht sie keine entscheidende Tatsache an. Es handelt sich vielmehr um beweiswürdigende Erwägungen, die - wenn wie hier nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) - nur Gegenstand einer gegen kollegialgerichtliche Entscheidungen unzulässigen Schuldberufung sein könnten (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431; RIS-Justiz RS0106588). Mit den in der Rüge gegen die Überzeugungskraft der Aussage der Julia K***** angeführten Umständen (der Sache nach Z 5 zweiter Fall; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 432), wonach sie sich bei ihrer Aussage um einen Tag geirrt hat, die Vergewaltigung unterschiedlich geschildert und angeblich geäußert haben soll, dass sie ihren Stiefvater ins Gefängnis bringen werde, und wonach ihre Mutter und ihre Schwestern (also auch Ursula S*****; ON 49 S 2 ff) ihr nicht glaubten, haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt (US 7 f).

Dass der Angeklagte ein schlüssiges Motiv für eine Verleumdung nicht anführen konnte (Z 5 fünfter Fall), entspricht seiner Aussage, wobei auch der - zudem ohne Angabe von Fundstellen (vgl RIS-Justiz RS0124172) erhobene - Einwand, der Angeklagte habe über einen Rachefeldzug gesprochen, den Vorwurf von Aktenwidrigkeit (die dann vorliegt, wenn ein Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt; RIS-Justiz RS0099431) nicht beinhaltet.

Soweit die Beschwerde - erneut ohne Hinweis auf konkrete Aktenteile - mangelnde Erörterung angeblicher Alkoholisierung des Angeklagten „zu sämtlichen Tatzeitpunkten“ kritisiert, ohne die Zurechnungsfähigkeit in Frage zu stellen, spricht sie keine entscheidende Tatsache an.

Die Behauptung (Z 9 lit a), das Urteil enthalte über den Vorsatz des Angeklagten keine klaren Feststellungen, verfehlt den in den tatsächlichen Urteilsannahmen gelegenen Bezugspunkt einer Rechtsrüge (vgl RIS-Justiz RS0099810).

Soweit die Rüge (der Sache nach Z 5 vierter Fall) in der „Argumentation des Erstgerichtes einer Erschließung des subjektiven Tatbestandes“ eine Scheinbegründung erblickt, genügt der Hinweis, dass der von den Tatrichtern gezogene Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrundeliegendes Wollen oder Wissen rechtsstaatlich ohne Weiteres vertretbar und bei leugnenden Angeklagten in der Regel methodisch gar nicht zu ersetzen ist (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).

Zur amtswegigen Maßnahme (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Die Tat laut Schuldspruchpunkt 1 war (weil schwere Gewalt [vgl RIS-Justiz RS0095018] nicht festgestellt wurde) unter die zur Tatzeit in Geltung gestandene, für den Angeklagten - angesichts des Strafrahmens von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe - günstigere Bestimmung des § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 zu subsumieren.

Julia K***** hatte am 10. November 2008 das vierzehnte Lebensjahr vollendet (vgl § 74 Abs 1 Z 1 StGB), sodass Tatbegehung nach § 206 Abs 1 StGB zu ihrem Nachteil nach Ablauf dieses Tages (§ 68 StGB; Jerabek in WK2 § 74 Rz 1) nicht in Betracht kommt.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass Anknüpfungspunkt des nach dem zweiten Satz des § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs die Tat, also der im Urteil festgestellte Lebenssachverhalt (Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 1), ist. Dabei wird die Anordnung, zu prüfen, ob die Gesetze, die im Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter in ihrer „Gesamtauswirkung“ nicht günstiger waren als die jeweils aktuellen, einhellig dahin verstanden, dass eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist (Höpfel/U. Kathrein in WK2 § 61 Rz 6, Triffterer SbgK § 61 Rz 23, jeweils mwN; vgl auch EBRV 30 BlgNR 13. GP 172). Dies hat zur Folge, dass im Fall der Idealkonkurrenz der zu beurteilende Lebenssachverhalt - nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB - in Bezug auf alle eintätig zusammentreffenden strafbaren Handlungen entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen ist (12 Os 68/75, EvBl 1976/45, 81; 14 Os 129/10t, EvBl 2011/63, 421).

Fallbezogen ist daher die dem Schuldspruch 1 zu Grunde liegende Tat recte überdies den Tatbeständen des § 206 Abs 1 StGB idF BGBl I 1998/153 (2) und des § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (4) zu unterstellen. Da die vom Erstgericht ersichtlich (und mit Blick auf den Schuldspruch gemäß § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 auch konsequent) vorgenommene Subsumtion nach den geltenden Fassungen der §§ 206 und 212 StGB dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereicht, war aber insoweit eine amtswegige Maßnahme des Obersten Gerichtshofs nicht geboten (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Zur Strafneubemessung:

Erschwerend war, dass der Angeklagte mehrere strafbare Handlungen derselben und verschiedener Art zum Nachteil mehrerer Opfer begangen und die Taten durch nahezu neun Jahre fortgesetzt hat (§ 33 Z 1 StGB), mildernd war sein bisher ordentlicher Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), dass die Taten teilweise beim Versuch geblieben sind (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) und der Angeklagte zu den Schuldspruchpunkten 5/2 und 6/2 ein Geständnis abgelegt hat (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB). Darüber hinaus kommt ihm der Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB zugute, weil das gegen ihn geführte (durch Erstattung einer Anzeige am 6. April 2010 in Gang gesetzte) Verfahren, in dem er in Haft gehalten wird (§ 9 Abs 2 StPO), aus einem nicht von ihm oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund (siehe ON 31, 38, 39 und 41) zufolge fünfmonatiger Verweildauer des Aktes bei dem vom Gericht bestellten Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie unverhältnismäßig lange gedauert hat. Der Oberste Gerichtshof erkennt dies als Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) an und gleicht dies durch Reduktion der vom Erstgericht verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren um zwei Monate aus.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen. Der Schmerzengeldzuspruch an Julia K***** war wieder herzustellen.

Die Zuständigkeit des Erstgerichts zur Entscheidung über die Anrechnung der von Franz L***** in Vorhaft zugebrachten Zeit gründet sich auf § 400 StPO.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Sie umfasst nicht die Kosten der amtswegigen Maßnahme (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).

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