European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00029.22X.0622.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption führt zu AZ 62 St 1/19x ein Ermittlungsverfahren gegen DDr. * T*, andere Beschuldigte und belangte Verbände wegen des Verdachts in Richtung von Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3 StGB und weiteren strafbaren Handlungen.
[2] In diesem Verfahren bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 13. Juni 2019 (ON 243) die von der Staatsanwaltschaft beantragte Beschlagnahme zahlreicher Liegenschaften (unter anderem) zur Sicherung einer gerichtlichen Entscheidung auf Verfall (§ 20 StGB, § 115 Abs 1 Z 3 StPO) sowie zur Sicherung einer Geldstrafe nach dem Finanzstrafgesetz (§ 207a Abs 1 FinStrG) durch das Verbot der Veräußerung, Belastung oder Verpfändung dieser Liegenschaften und bestimmte den nach § 115 Abs 5 StPO und § 207a Abs 2 FinStrG zu erlegenden Geldbetrag (pauschal) mit 140 Millionen Euro.
[3] Mit Beschluss vom 30. April 2020 (ON 858) setzte das Landesgericht für Strafsachen Wien über Antrag der W* GmbH (im Folgenden: W*) den Deckungsbetrag (§ 115 Abs 5 StPO und § 207a Abs 2 FinStrG) in Bezug auf zwei vom Beschlagnahmebeschluss ON 243 umfasste Liegenschaftsanteile mit nunmehr 170.611,08 Euro fest.
[4] Der dagegen erhobenen Beschwerde der W* (ON 876), nicht aber jener der Staatsanwaltschaft (ON 868), gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 6. April 2021, AZ 21 Bs 179/20g, (ON 1322) Folge, hob den angefochtenen Beschluss auf und bestimmte den Deckungsbetrag nach § 115 Abs 5 StPO und § 207a Abs 2 FinStrG für die beiden Liegenschaftsanteile mit 85.954,48 Euro.
[5] Die Reduktion des Deckungsbetrags gründete das Beschwerdegericht (zusammengefasst) auf die Rechtsansicht, dass für dessen Berechnung vom „zu erwartenden Verkaufserlös“ der Liegenschaftsanteile die dem Veräußerungs‑ und Belastungsverbot zugunsten des Bundes vorrangigen grundbücherlichen Pfandrechte (Darlehen) zu subtrahieren wären, weil diese bei exekutiver Verwertung auch vorrangig befriedigt werden müssten. Hingegen würde die Nichtberücksichtigung solcher Lasten „die Rechtsstellung der Republik Österreich verbessern“, weil der „Sicherungswert“ im Ausmaß der vorrangigen Lasten „erhöht würde“ (ON 1322 S 12 ff).
[6] In ihrer gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) führt die Generalprokuratur aus:
„Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 6. April 2021, AZ 21 Bs 179/20g (ON 1322), verletzt das Gesetz:
Gemäß § 115 Abs 5 StPO (und insofern inhaltsgleich nach § 207a Abs 2 FinStrG) ist in einem Beschluss, mit dem eine Beschlagnahme zur Sicherung einer gerichtlichen Entscheidung auf Verfall (§ 20 StGB) oder auf erweiterten Verfall (§ 20b StGB) bewilligt wird, ein Geldbetrag zu bestimmen, in dem die für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte Deckung finden und bei dessen Erlag die Beschlagnahme aufzuheben ist (Abs 6 leg cit).
Dieser – der Vermeidung von Übersicherungen dienende und durch die erwartete vermögensrechtliche Anordnung begrenzte – Befreiungsbetrag ist nach denselben Regeln zu berechnen, die für den Verfall und den erweiterten Verfall gelten (Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 115 Rz 31; siehe auch Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 63 ff zur Wertberechnung beim Wertersatzverfall nach § 20 Abs 3 StGB). Soll durch die Beschlagnahme die Eintreibung einer möglichen Geldstrafe sichergestellt werden (§ 207a Abs 1 FinStrG), so ist zum Zweck der Festsetzung des zu erlegenden Betrags auf Basis der Verdachtslage eine hypothetische Strafbemessung vorzunehmen (Lässig in WK2 FinStrG § 207a Rz 4).
Die Höhe des Wertersatzverfalls nach § 20 Abs 3 StGB bestimmt sich nach dem im Inland erzielbaren Verkehrswert zum Zeitpunkt der Verfallsentscheidung (eine Subjektivierung des Werts ablehnend Schmidthuber, Konfiskation, Verfall und Einziehung [2016] 139), womit eine Berücksichtigung der (Wert‑)Entwicklung bis dahin verbunden ist (vgl auch Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 63). Gerade die gebotene Berücksichtigung des damit angesprochenen weiteren Geschehens im Verfahrensverlauf würde bei dem vom Oberlandesgericht Wien zur Bestimmung des Deckungsbetrags vertretenen Lösungsansatz geradezu konterkariert werden. Vielmehr hätte es ein Beschuldigter in der Hand, den Deckungsbetrag (und in der Konsequenz allenfalls sogar die Realisierung eines gegen ihn ergangenen Verfallserkenntnisses) einseitig zu seinen Gunsten zu beeinflussen. So würde die weitere Bedienung von aushaftenden Hypothekardarlehen den Befreiungsbetrag laufend erhöhen, während ein aus einer Zahlungsverweigerung resultierender Anstieg der aushaftenden Forderung zu einer Reduktion des Deckungsbetrags führen würde. Es würde damit geradezu ein den Sicherungszweck beeinträchtigender Anreiz geschaffen werden, bücherlich gesicherten Verpflichtungen nicht nachzukommen. Eine Übersicherung ist zudem dennoch ohnehin ausgeschlossen, weil der Deckungsbetrag jedenfalls durch die erwartete vermögensrechtliche Anordnung bzw die zu sichernde Geldstrafe begrenzt ist. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, weshalb Liegenschaftseigentümer, die dem den Kaufpreis finanzierenden Kreditgeber ein Pfandrecht auf der beschlagnahmten Liegenschaft eingeräumt haben, privilegiert werden sollten.
Die Auslegung des § 115 Abs 5 StPO (und insofern auch der korrespondierenden Regelung des § 207a Abs 2 FinStrG) durch das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht im in Rede stehenden Beschluss ist daher rechtlich verfehlt.
Diese der Beschwerdeführerin W* im angesprochenen Rechtsmittelverfahren nicht zum Nachteil gereichende (§ 292 letzter Satz StPO) Gesetzesverletzung wäre lediglich festzustellen (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 43).“
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[8] Nach § 115 Abs 5 StPO ist in einem Beschluss, mit dem eine Beschlagnahme zur Sicherung einer gerichtlichen Entscheidung auf Verfall (§ 20 StGB) oder auf erweiterten Verfall (§ 20b StGB) bewilligt wird, ein Geldbetrag zu bestimmen, in dem die für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte Deckung finden. Wird dieser Geldbetrag erlegt, ist die Beschlagnahme aufzuheben (§ 115 Abs 6 StPO).
[9] Dieser Regelung entspricht inhaltlich jene des § 207a Abs 2 FinStrG, wonach im gerichtlichen Finanzstrafverfahren in dem Beschluss, mit dem die Beschlagnahme bewilligt wird, ein Geldbetrag zu bestimmen ist, durch dessen Erlag die Beschlagnahme substituiert wird, wobei der Betrag so zu bestimmen ist, dass die zu sichernde Sanktion (hier Geldstrafe nach § 16 FinStrG) darin voraussichtlich Deckung findet (Lässig in WK2 FinStrG § 207a Rz 4; Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 115 Rz 53).
[10] Eine Beschlagnahme greift in das Grundrecht auf Eigentum ein und ist deswegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Wenngleich durch die Beschlagnahme (soweit hier von Bedeutung) eine erwartete vermögensrechtliche Anordnung (§ 115 Abs 1 Z 3 StPO) oder Geldstrafe (§ 207a FinStrG) gesichert werden soll, ist daher jedenfalls eine Übersicherung zu vermeiden (Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 110 Rz 53 und § 115 Rz 10 f, 31 und 51).
[11] (1) Dient die Beschlagnahme nach § 115 Abs 1 Z 3 StPO – wie vorliegend – der Sicherung einer gerichtlichen Entscheidung auf Verfall nach § 20 StGB, so orientiert sich die Höhe dieser erwarteten vermögensrechtlichen Anordnung nach der ratio legis (vgl § 20 Abs 3 StGB) am (im Beschlusszeitpunkt zu bewertenden) Ausmaß der präsumtiv im Sinn des § 20 Abs 1 und Abs 2 StGB erlangten Vermögenswerte (zu den diesbezüglichen Bewertungskriterien und der Frage der Wertberechnung eingehend Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 63 ff mwN). Kann deren Umfang nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden, hat das Gericht ihn daher – ebenfalls in Übereinstimmung mit den Bestimmungen über die zu sichernde vermögensrechtliche Anordnung – nach seiner Überzeugung festzusetzen (vgl § 20 Abs 4 StGB, zur Schätzungsbefugnis und deren Grenzen ausführlich mwN Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 71 ff undLeukauf/Steininger/Stricker, StGB4 § 20 Rz 13). Des Weiteren muss begründet anzunehmen sein, dass keiner der möglichen Ausschlussgründe des § 20a Abs 1 und 2 StGB zum Tragen kommen und nach Überzeugung des Gerichts nicht vom Verfall nach § 20a Abs 3 StGB wegen des unverhältnismäßig großen Verfahrensaufwands abzusehen sein wird (vgl dazu Tipold/Zerbes, WK‑StPO § 110 Rz 17 und Rz 24; Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20a Rz 35 ff).
[12] Die Festsetzung des in § 115 Abs 5 StPO vorgesehenen Deckungsbetrags stellt sich somit insgesamt als richterliche Ermessensentscheidung dar.
[13] (2) Soweit durch die Beschlagnahme nach § 207a Abs 1 FinStrG die Eintreibung einer möglichen Geldstrafe sichergestellt werden soll, ist zum Zweck der Festsetzung des zu erlegenden Betrags auf der Basis der im Beschlusszeitpunkt gegebenen Verdachtslage eine hypothetische Strafbemessung im Sinn des § 23 Abs 1 bis 4 FinStrG vorzunehmen (Lässig in WK2 FinStrG § 207a Rz 4).
[14] Die Bemessung der Strafe ist eine richterliche Ermessensentscheidung, sodass auch die Bestimmung des Geldbetrags nach § 207a Abs 2 FinStrG im Ermessen des Gerichts liegt.
[15] Ermessensentscheidungen sind der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) aber nur insoweit zugänglich, als allenfalls bestehende Ermessensschranken überschritten wurden oder das eingeräumte Ermessen willkürlich gebraucht wurde (Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 7 f; Schroll/Oshidari, WK‑StPO § 23 Rz 5 f; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 23 Rz 3; RIS‑Justiz RS0123668 und RS0096557).
[16] Da die Generalprokuratur ein solches Überschreiten oder Willkür im Ermessensgebrauch zu Recht nicht behauptet, war die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen (§§ 288 Abs 1, 292 StPO).
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