OGH 13Os154/03 (13Os155/03)

OGH13Os154/03 (13Os155/03)14.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Loewe als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian P***** wegen § 115 Abs 1 (§ 117 Abs 3) StGB über die vom Generalprokurator gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Linz vom 20. Februar 2003, GZ 17 U 440/02z-11, und des Landesgerichtes Linz als Beschwerdegericht vom 21. Mai 2003, AZ 20 Bl 37/03 (ON 16 des U-Aktes), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, jedoch in Abwesenheit eines Verteidigers und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 20. Februar 2003, GZ 17 U 440/02z-11, und der Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 21. Mai 2003, AZ 20 Bl 37/03 (ON 16), verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 117 Abs 3 StGB.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Im Verfahren 17 U 440/02z des Bezirksgerichtes Linz beantragte die Staatsanwaltschaft am 27. September 2002 die Bestrafung des Christian P***** wegen des Vergehens "der Beleidigung unter Ausnützung einer Amtsstellung nach §§ 115, 117 Abs 3, 313 StGB", weil der Genannte am 31. Juli 2002 in Linz "als Beamter unter Ausnützung seiner Amtsstellung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit, nämlich als Polizeibeamter im Zuge einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle in Gegenwart von mehreren Leuten Sedon N*****" - der eine Ermächtigung zur Strafverfolgung (§ 2 Abs 5 StPO) erteilt hatte (ON 3, 5) - "durch die Äußerung 'Scheiß-Neger' zu einer feindseligen Handlung gegen eine Rasse beschimpft" habe. Der Bezirksrichter veranlasste die Befragung der drei von Sedon N***** genannten Tatzeugen durch die Gendarmerie und die Bundespolizeidirektion Linz (S 2, 57 ff) und übermittelte den Akt, nachdem alle drei die Wahrnehmung der inkriminierten Äußerung bekundet hatten, "der Frau Bezirksanwalt zur Überprüfung des Strafantrages", wobei er auf diese Erhebungsergebnisse und die Wendung "in einer die Menschenwürde verletzenden …" in § 117 Abs 3 StGB verwies (S 3).

Nach der Erklärung der Staatsanwaltschaft, den Strafantrag aufrecht zu halten, beschloss der Bezirksrichter am 20. Februar 2003 die Einstellung des Verfahrens gemäß § 451 Abs 2 StPO, weil die inkriminierte Beleidigung nach seiner Ansicht "noch nicht die Menschenwürde tangiert", wozu er noch anführte, "jede Beleidigung" sei "ja der Würde eines Menschen abträglich". Aufgrund dessen vertrat der Bezirksrichter die Ansicht, dass beim inkriminierten Sachverhalt kein Offizialdelikt in Betracht käme (ON 11).

Den dagegen von der Staatsanwaltschaft und von Sedon N***** erhobenen Beschwerden gab das Landesgericht Linz mit Beschluss vom 21. Mai 2003, AZ 20 Bl 37/03 (ON 16 des U-Aktes), nicht Folge. Der in Rede stehende Ausspruch stelle eine Beschimpfung dar, vermöge jedoch noch nicht die Menschenwürde zu verletzen, "zumal nicht das Lebensrecht der Berufsgruppe oder Rasse schlechthin bestritten" werde, sondern der Unmut über eine bestimmte Person in der Weise kundgetan werde, dass man sie beschimpft "und dabei zufällig Bezug auf die diese Person angehörende Berufsgruppe oder Rasse" nehme. Mit der Äußerung werde zusammengefasst "in keinster Weise das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen und daher nicht die Menschenwürde als solche verletzt". Daher könne sie nicht unter § 117 Abs 3 StGB subsumiert werden (S 103, 111).

Das Beschwerdegericht vermeinte zudem, in den Fällen des § 117 Abs 3 StGB dürfe der Staatsanwalt die Tat nur innerhalb der sonst dem Verletzten für das Verlangen nach Verfolgung offenstehenden Frist verfolgen (S 93). § 117 StGB enthält eine solche Befristung jedoch nur für die hier nicht aktuellen Fälle des Abs 2.

Der Generalprokurator erachtet das Gesetz durch die genannten Beschlüsse des Bezirksgerichtes und des Landesgerichtes Linz aus folgenden Erwägungen als verletzt:

Die Beendigung eines Strafverfahrens vor dem Bezirksgericht durch Beschluss gemäß § 451 Abs 2 StPO setzt voraus, dass die dem Bestrafungsantrag - des berechtigten Anklägers (vgl Mayerhofer StPO4 § 451 Nr 2, 14, 14b) - zu Grunde liegende Tat vom Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist oder Umstände vorliegen, durch welche die Strafbarkeit der Tat aufgehoben oder die Verfolgung wegen der Tat ausgeschlossen ist. Dies ist in erster Linie auf der Grundlage der im Bestrafungsantrag beschriebenen Tathandlung, allenfalls auch auf Grund zusätzlicher Erhebungen zu prüfen, doch darf das Gericht insoweit keinesfalls Tatsachen vorwegnehmen, zu deren Feststellung es der Aufnahme von Beweisen in der Hauptverhandlung und ihrer Würdigung (§ 258 StPO) bedarf. Das gilt insbesondere für im Bereich der subjektiven Tatseite liegende Umstände (vgl EvBl 1994/20); sohin auch für die Motivation, welche in § 117 Abs 3 StGB für die Verfolgung einer Beleidigung durch den öffentlichen Ankläger (mit Ermächtigung des Verletzten) vorausgesetzt wird. Nach dieser Gesetzesstelle ist der Staatsanwalt anklageberechtigt, wenn sich die Tat gegen den Verletzten wegen seiner Zugehörigkeit zu einer im § 283 Abs 1 StGB bezeichneten Gruppe (hier: der schwarzen Rasse) richtet und (ua) in einer die Menschenwürde verletzenden Beschimpfung besteht. Mit seiner die rassistische Motivation verneinenden Argumentation, der Beschuldigte habe bei seiner Beschimpfung nur "zufällig" (also ungewollt) Bezug auf jene Rasse genommen, der der Privatbeteiligte angehört, hat das Landesgericht jedoch eine vom Bestrafungsantrag abweichende (sogar über die Tatsachengrundlage des erstgerichtlichen Beschlusses hinausgehende) Feststellung zur subjektiven Tatseite getroffen. Dieses Vorgehen des Beschwerdegerichtes widerspricht § 451 Abs 2 StPO.

Insbesondere aber haben die genannten Gerichte die Rechtsfrage, ob es sich bei der inkriminierten Äußerung um eine die Menschenwürde verletzende Beschimpfung handelt, unrichtig gelöst. Eine derartige Beschimpfung liegt ua dann vor, wenn der Beleidigte wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe als minderwertiger oder wertloser Teil der Gesamtbevölkerung dargestellt und ihm auf diese Weise das Recht auf (gemeint: gleichwertiges) Menschsein schlechthin abgesprochen wird. Dass das Lebensrecht der betreffenden Gruppe schlechthin bestritten wird, ist - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichtes - für die Annahme des Ermächtigungsdeliktes nach § 117 Abs 3 StGB nicht erforderlich. Die §§ 115, 117 Abs 3 StGB stellen (anders als § 283 StGB) gerade auf jene Tathandlungen ab, die nicht gegen die Gruppe als solche gerichtet sind, sondern nur gegen einzelne individuell bestimmte Personen derselben (Steininger WK2 § 283 Rz 21 und 23; Leukauf/Steininger StGB3 § 117 Rz 21).

Durch die inkriminierte Äußerung "Scheiß-Neger" wurde jedoch der Beleidigte eindeutig mit wenigstens objektiv gegebenem Bezug auf seine Zugehörigkeit zur schwarzen Rasse als (ethnisch, kulturell oder moralisch) schlechthin minderwertig abqualifiziert und damit im unverzichtbaren Kernbereich seiner Persönlichkeit getroffen. Es wäre sohin auf der Grundlage des Bestrafungsantrages von einer grob diskriminierenden, die Menschenwürde verletzenden Beschimpfung auszugehen gewesen (Kienapfel/Schroll, BT I5 § 117 Rz 11). Die Einstellung des Verfahrens erfolgte daher zu Unrecht.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

1. Die Feststellung des Beschwerdegerichtes, dass bei der Äußerung "zufällig" Bezug auf die Rasse des Adressaten genommen wurde, betraf die Frage, ob sich die Tat gegen den Verletzten wegen seiner Rassenzugehörigkeit richtete, somit eine Voraussetzung des Verfolgungsrechts des Staatsanwaltes (§ 117 Abs 3 StGB). Nach Ansicht des Generalprokurators stand dem Gericht die Feststellung nicht zu. Dieser Auffassung vermag sich der Oberste Gerichtshof aus folgenden Gründen nicht anzuschließen. Am Bezirksgericht hat der Richter das Verfahren mit Beschluss einzustellen, wenn er "der Überzeugung" ist, dass die dem Antrag zugrunde liegende Tat vom Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist oder dass Umstände vorliegen, durch die die Strafbarkeit der Tat aufgehoben oder die Verfolgung wegen der Tat ausgeschlossen ist (§ 451 Abs 2 StPO). Eine solche "Überzeugung" kann nicht nur Rechtsfragen, sondern auch Tatfragen betreffen. Weder der Regelungswortlaut noch die Systematik des Gesetzes oder die Materialien (JAB 359 BlgNR 17. GP, 34) legen ein anderes Verständnis nahe.

Bei Prüfung der Frage, ob ein Einstellungsgrund vorliegt (§ 451 Abs 2 StPO), ist es dem Gericht demnach nicht generell verwehrt, Sachverhaltsannahmen zu treffen, deren Konsequenz die Verfahrenseinstellung ist. Das Gleiche gilt im Einzelrichterverfahren (was schon aus §§ 485 Abs 1 Z 5, 486 Abs 3 StPO folgt) sowie im kollegialgerichtlichen Verfahren (vgl § 213 Abs 1 Z 2 StPO; Mayrhofer, WK-StPO § 213 Rz 5 ff).

Das in § 451 Abs 2 StPO genannte Kriterium der "Überzeugung" des Richters bringt zum Ausdruck, dass bloße Zweifel am Vorliegen eines vom Ankläger angenommenen Sachverhalts noch keinen Grund für eine Verfahrenseinstellung bilden, sondern der Klärung in der Hauptverhandlung vorbehalten sind (EvBl 1993/114, 1994/20). Auf Zweifel hat sich das Beschwerdegericht aber ohnedies nicht gestützt. Ein Verstoß gegen § 451 Abs 2 StPO in der geltend gemachten Richtung ist daher nicht festzustellen.

Dass die Sachverhaltsannahme willkürlich getroffen und dadurch das Gesetz verletzt worden sei, macht der Generalprokurator nicht geltend. Die tatsächliche Bejahung oder Verneinung der für die mit Wahrungsbeschwerde relevierte Rechtsfrage entscheidenden Tatsachen kann das Gesetz nur insoweit verletzen, als sie aufgrund eines rechtlich mangelhaften Verfahrens zustande gekommen oder mit formalen Begründungsmängeln behaftet ist (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 17).

2. Der Täter ist gemäß § 117 Abs 3 StGB wegen einer im § 115 StGB mit Strafe bedrohten Handlung mit Ermächtigung des Verletzten vom öffentlichen Ankläger zu verfolgen. Voraussetzung ist, dass sich die Tat gegen den Verletzten wegen seiner Zugehörigkeit zu einer der im § 283 Abs 1 StGB bezeichneten Gruppen richtet. Zu diesen Gruppen gehören auch die durch Rassenzugehörigkeit bestimmten. Zudem muss die Tat entweder in einer Misshandlung oder Bedrohung mit einer Misshandlung oder in einer die Menschenwürde verletzenden Beschimpfung oder Verspottung bestehen.

Eine Beschimpfung oder Verspottung im Sinn des § 115 StGB, bei welcher der Betroffene wegen seiner Zugehörigkeit zu einer in § 283 Abs 1 StGB genannten Gruppe - wie durch die im Bestrafungsantrag genannte Äußerung - als ethnisch, kulturell oder moralisch schlechthin minderwertig abqualifiziert wird, fällt demnach unter § 117 Abs 3 StGB (Kienapfel/Schroll BT I5 § 117 Rz 11 mwN; vgl Steininger in WK² § 283 Rz 21).

Soweit die Beschlüsse wie angeführt auf anderen Rechtsmeinungen beruhen, verletzen sie das Gesetz in der Bestimmung des § 117 Abs 3 StGB.

Mangels Nachteils für den Beschuldigten (§ 292 letzter Satz StPO) waren die Gesetzesverletzungen ohne konkrete Wirkung bloß festzustellen.

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