OGH 13Os134/21m

OGH13Os134/21m16.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher, BA, in der Strafsache gegen * S* wegen Verbrechen nach § 3g VG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 8. Juni 2021, GZ 14 Hv 14/21v‑35, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00134.21M.0316.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, angefochtenen Urteil wurde * S* mehrerer Verbrechen nach § 3g VG (I) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er sich, soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung, in St. * und andernorts

(I) auf andere als die in §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er

2) sich am 22. April 2017 von seinem abgesondert verfolgten Bruder A* ein Hakenkreuz auf das Skrotum tätowieren ließ und diese Tätowierung zumindest am 13. September 2019 beim Abschlussabend einer Milizübung vor Zeugen zur Schau stellte, weiters

6) Bilder „mit nationalsozialistischem Gedankengut“ an mehrere unbekannte Personen über eine Telekommunikationsplattform versendete, und zwar

a) am 15. März 2017, am 5. April 2017 und zweimal am 15. April 2017 jeweils ein Bildnis Adolf Hitlers, auf dem dieser Hasenohren aus Plüsch trägt, und

f) am 22. April 2017 in drei Angriffen Fotos seiner Hakenkreuz‑Tätowierung am Skrotum.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Geltendmachung materieller Nichtigkeit im geschworenengerichtlichen Verfahren verlangt den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 342 StPO) vorgenommenen Subsumtion. Der Rechtsirrtum muss aus dem Wahrspruch selbst unter Zugrundelegung der in diesem von den Geschworenen festgestellten Tatsachen abgeleitet werden (RIS‑Justiz RS0101148 und RS0101403).

[5] Diese Anforderungen erfüllt die Rechtsrüge nicht, soweit sie sich (inhaltlich) gegen den Schuldspruch I 2 richtet:

[6] Von einer „Volltrunkenheit“ des Angeklagten, wie eingewendet, gingen die Geschworenen im Wahrspruch nicht aus (siehe Hauptfrage 2, US 2).

[7] Weshalb der Tatbestand des § 3g VG eine intensivere Wiederbetätigungshandlung gegenüber mehreren Personen verlangen sollte, entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565). Hinzugefügt sei, dass § 3g VG (anders als die Bestimmungen der §§ 3d und 3h VG) keine qualifizierte Publizitätswirkung voraussetzt (RIS‑Justiz RS0079829 [T2] und RS0079825 [T6]).

[8] Soweit die Rechtsrüge in Ansehung des Schuldspruchs I 6 a behauptet, das Versenden von Ansichtskarten sei zu Unrecht als Betätigung im nationalsozialistischen Sinn inkriminiert worden, übersieht sie, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlagen des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“ (einschließlich des Bedeutungsinhalts einer Äußerung oder eines Verhaltens) auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten ist. Bejahen diese – wie hier – die Schuldfragen, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund derer das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht. Dessen Bejahung ist daher einer Anfechtung mit Rechtsrüge entzogen (RIS‑Justiz RS0119234 [insbesondere T2]; Lässig in WK² VG § 3g Rz 17).

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[10] Über die Berufung und die – gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende – Beschwerde hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i; 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[11] Das Oberlandesgericht wird im Rahmen der Entscheidung über die gegen das – verfehlt in Beschlussform ergangene (RIS‑Justiz RS0131448 und RS0106264 [T5]) – Erkenntnis gemäß „§§ 19a sowie 26 StGB“ gerichtete Berufung zu berücksichtigen haben, dass diesem, soweit es sich auf die zu den Positionen zwei bis sieben im Standblatt (ON 8) angeführten, sichergestellten Gegenstände bezieht (US 6), Nichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z 13 erster und dritter Fall StPO anhaftet (vgl Ratz, WK‑StPO § 283 Rz 1; RIS‑Justiz RS0109969 und RS0116501).

[12] Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB und Konfiskation nach § 19a Abs 1 StGB setzen zunächst voraus, dass der betroffene Gegenstand vom Täter zur Begehung der vorsätzlichen Straftat (§ 19a StGB) oder der mit Strafe bedrohten Handlung (§ 26 StGB) verwendet wurde, zur Verwendung bei dieser bestimmt worden war oder durch diese hervorgebracht wurde. Weiters muss die vorbeugende Maßnahme der Einziehung nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheinen, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Die Strafe der Konfiskation nach § 19a Abs 1 StGB setzt voraus, dass der betroffene Gegenstand zur Zeit der Entscheidung erster Instanz im Eigentum des Täters stand.

[13] Feststellungen zu diesen Kriterien hat das Erstgericht nicht getroffen (Z 13 erster Fall).

[14] Des Weiteren unterließ das Erstgericht die in § 19a Abs 2 StGB zwingend vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung gänzlich (Z 13 dritter Fall, RIS‑Justiz RS0088035 [insb T7]).

[15] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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