OGH 13Os116/14d

OGH13Os116/14d18.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Erwin H***** und eine Angeklagte wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Anträge der Angeklagten Erwin H***** und Christine H***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 6. Dezember 2013, GZ 11 Hv 4/13v‑58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0130OS00116.14D.1218.000

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 6. Dezember 2013 (ON 58) wurden Erwin H***** jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG, nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG und nach §§ 33 Abs 2 lit b, 38 Abs 1 FinStrG sowie (richtig) mehrerer Vergehen des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB, Christine H***** mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG schuldig erkannt.

Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung behielten sich beide ‑ durch einen Verteidiger vertretene ‑ Angeklagte drei Tage Bedenkzeit vor (ON 57 S 19).

Am 10. Dezember 2013, also (einen Tag) nach Ablauf der dreitägigen Frist des § 284 Abs 1 erster Satz StPO und des § 294 Abs 1 erster Satz StPO, meldeten Erwin H***** und Christine H***** (durch ihren Verteidiger) gegen das Urteil vom 6. Dezember 2013 Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 60 S 1).

Demzufolge wies das Landesgericht für Strafsachen Graz die am 2. Juli 2014 eingebrachten (gemeinsam ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden (ON 62) mit Beschluss vom 16. Juli 2014 in Anwendung des § 285a Z 1 StPO als verspätet zurück (ON 63).

Mit (ebenfalls gemeinsam ausgeführtem) Schriftsatz vom 7. August 2014 (ON 64) beantragten Erwin H***** und Christine H***** die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Wiedereinsetzungsantrag ist verspätet.

Das Vorbringen, dass vor Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses hinsichtlich der Nichtigkeitsbeschwerde (ON 63) „die Versäumung nicht erkannt werden konnte“ (ON 64 S 7), trifft nicht zu: Schon die mit „Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung“ bezeichnete, mit 10. Dezember 2013 (einem Dienstag) datierte Eingabe (ON 60) ließ die Versäumung der dreitägigen Anmeldefrist (§ 284 Abs 1 erster Satz StPO, § 294 Abs 1 erster Satz StPO) klar zu Tage treten. Darin findet sich folgender Text: „In außen bezeichneter Strafsache melden die Angeklagten gegen das Urteil vom 06. 12. 2013 Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen Schuld, Strafe und des Privatbeteiligtenzuspruches an“ (ON 60 S 7). Für den Verteidiger war demnach unmittelbar aus der Lektüre des Schriftsatzes mit der (verspäteten) Rechtsmittelanmeldung deutlich erkennbar, dass die Anmeldungsfrist bereits einen Tag zuvor abgelaufen war. Er hätte daher schon die Rechtsmittelanmeldung mit einem Wiedereinsetzungsantrag zu verbinden gehabt (Lewisch, WK‑StPO § 364 Rz 48 mwN). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war demnach schon infolge Verspätung des darauf gerichteten Antrags zu verweigern (§ 364 Abs 1 Z 2 StPO; 13 Os 128/03, 15 Os 117/08g).

Hinzugefügt sei, dass der Antrag auch inhaltlich fehl geht:

Die Wiedereinsetzungwerber bringen im Wesentlichen vor, dass ihr Verteidiger am Tag der Hauptverhandlung (Freitag, 6. Dezember 2013) eine Kanzleimitarbeiterin angewiesen habe, die „dreitägige Rechtsmittelanmeldungsfrist im Fristenkalender einzutragen“. Diese Angestellte habe sodann die „dreitägige Frist am 6. 12. 2013 unrichtig mit 10. 12. und nicht richtig mit 9. 12. eingetragen, wobei sie sich retrospektiv gesehen diesen Fehler nur so erklären kann, als sie allfällig durch den Marienfeiertag am 8. 12., der aber auf einen Sonntag fiel, irrtümlich annahm, dass dieser Feiertag die Frist verlängere“.

Nach § 364 Abs 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie (ua) nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt (§ 364 Abs 1 Z 1 StPO).

Die Wiedereinsetzungswerber weisen zwar zutreffend darauf hin, dass einmalige Fehler ansonst verlässlicher Kanzleimitarbeiter nach der Judikatur die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht hindern.

Dabei ist aber zu beachten, dass dies nur in Bezug auf Fehler gilt, die dem betreffenden Kanzleimitarbeiter im Rahmen solcher Tätigkeiten unterlaufen sind, die ‑ gemessen am Maßstab einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei (12 Os 8/09g, 9/09d, JBl 2010, 329) ‑ in seinen eigenständig zu besorgenden Aufgabenbereich fallen.

Überträgt der Verteidiger einem Kanzleimitarbeiter hingegen Agenden, die dem Aufgabenbereich des Verteidigers zugehören, muss er die Erledigung dieser Agenden kontrollieren, widrigenfalls ihm bei Fehlleistungen des Mitarbeiters ein Organisationsverschulden anzulasten ist. Ein solches Verschulden hindert mit Blick auf den anwaltlichen Sorgfaltsmaßstab die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (RIS‑Justiz RS0101272 [T9], RS0101329 [T15 und T18], RS0101407 und RS0124904).

Da die Berechnung des Endes einer Frist (anders als etwa die bloße Eintragung des entsprechenden ‑ vom Verteidiger vorgegebenen ‑ Datums) Rechtskenntnis voraussetzt, fällt sie in den Aufgabenbereich des Verteidigers, aus welchem Grund im unkontrollierten Überlassen dieser Berechnung an einen (nicht rechtskundigen) Kanzleimitarbeiter nach ständiger Rechtsprechung ein die ‑ mit Blick auf eine diesbezügliche Fehlleistung begehrte ‑ Wiedereinsetzung ausschließendes Organisations- verschulden liegt (15 Os 33/03, SSt 2003/31; 14 Os 76, 77/04; RIS‑Justiz RS0117496; vgl auch 14 Os 62/10i, 66/10b und 13 Os 34/13v, 35/13s).

Aus dem Hinweis auf die Entscheidung 9 Os 83/85 (mit dem im Übrigen die angeführte ständige Judikatur übergangen wird) ist hier schon deswegen nichts zu gewinnen, weil sich diese mit einer Fehlleistung eines Rechtsanwaltsanwärters, also einer rechtskundigen Person, auseinandersetzte.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich auch von dem ‑ im Wiedereinsetzungsantrag erwähnten ‑ in 13 Os 52/80, SSt 51/18, behandelten, wo die Rechtsmittelanmeldung (anders als hier) rechtzeitig abgefasst und dann durch eine Kanzleimitarbeiterin verzögert weitergeleitet wurde.

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