European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0130OS00111.24H.1218.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
* G* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
[1] Das Landesgericht für Strafsachen Graz verhängte (auf Antrag der Staatsanwaltschaft [ON 1 S 24]) mit Beschluss vom 22. Mai 2021 über * G* die Untersuchungshaft aus den Gründen der Flucht-, der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a und b StPO (ON 93).
[2] Nach zwischenzeitiger mehrmaliger Fortsetzung setzte die Vorsitzende des Schöffengerichts die Untersuchungshaft mit Beschluss vom 10. Oktober 2024 aus den Haftgründen der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO fort (ON 301).
[3] Der dagegen gerichteten Beschwerde des Angeklagten (ON 303) gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss (ON 306) teilweise Folge und stellte fest, dass * G* „durch die Durchführung einer weiteren Verhandlung erst am 24. Oktober 2023 und durch die Nichtdurchführung einer Verhandlung nach dem 12. Dezember 2023“ in seinem Recht auf besonders beschleunigte Verfahrensführung in Haftsachen (§ 9 Abs 2 StPO) verletzt worden war. Die Untersuchungshaft setzte es aus den Haftgründen der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO fort. Dem Landesgericht wurde aufgetragen, die Hauptverhandlung ehestens durchzuführen.
[4] In der Sache erachtete das Beschwerdegericht * G* – ebenso wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift vom 10. März 2023 (ON 240) – in objektiver und subjektiver Hinsicht dringend verdächtig, er habe in W* und G*
I) als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung von Suchtgifthandel im Sinn des § 28a Abs 1 SMG vorschriftswidrig Suchtgift
1) in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen und verschafft, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung über Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Überschreitung des 25-Fachen der Grenzmenge des § 28b SMG umfasste, und zwar
a) am 16. und am 17. Dezember 2020, indem er die Übergabe von 2.000 Gramm Heroin (mit einer Reinsubstanz von 860 Gramm Heroin-Base [286,67 Grenzmengen]) im Auftrag des * R* durch einen Depothalter alias „Teddy“ an * U* organisierte, der das Suchtgift in weiterer Folge von W* nach G* verbrachte und gemeinsam mit * F* am 18. Dezember 2020 in G* an einen verdeckten Ermittler verkaufte, und
b) am 10. Februar 2021, indem er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten * U* und * F* zwei Proben von Heroin-Sorten von insgesamt 18,12 Gramm Heroin (mit einer Reinsubstanz von 7,32 Gramm Heroin-Base [2,44 Grenzmengen]) an verdeckte Ermittler übergab, sowie
2) in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen angeboten, indem er am 19. März 2021 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten * U* und * F* zumindest 117 Kilogramm Heroin (mit einer Reinsubstanz von 45.630 Gramm Heroin-Base [15.210 Grenzmengen]) verdeckten Ermittlern zum Preis von 19.000 Euro pro Kilogramm zum Kauf offerierte, weiters
II) als Mitglied einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er im Zeitraum um den 10. Februar 2021 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren Mitgliedern der Organisation zumindest 100 Kilogramm Heroin (mit einer Reinsubstanz von 39.000 Gramm Heroin-Base [13.000 Grenzmengen]) in einem Lager im Großraum G* zur Übergabe an ihre Abnehmer gebunkert hatte.
[5] Dieses als sehr wahrscheinlich angenommene Verhalten subsumierte das Beschwerdegericht jeweils einem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG (I 1) und nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG (I 2) sowie einem Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall, 2 und 3 SMG (II).
Rechtliche Beurteilung
[6] Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, die sich gegen die Annahme der bezeichneten Haftgründe wendet sowie Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft und deren Substituierbarkeit durch die Anwendung gelinderer Mittel behauptet und vorbringt, dass der Beschwerdeführer aufgrund der als massiv erachteten Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) und der langen Verfahrensdauer zum Ausgleich der aus Sicht der Beschwerde gegebenen Grundrechtsverletzung (Art 5 Abs 3 und 6 Abs 1 MRK) zu enthaften gewesen wäre.
[7] Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sie sich angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806).
[8] Das Beschwerdegericht erschloss den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO) aus der dringenden Verdachtslage, wonach der (laut eigenen Angaben) einkommens- und beschäftigungslose Beschwerdeführer (mit Aussicht auf Arbeit bei einem Bekannten in einem Restaurant) trotz einer (zum Teil verbüßten) Verurteilung in (damals) Serbien und Montenegro zu zehn Jahren Freiheitsstrafe wegen krimineller Vereinigung, Geldfälschung sowie unbefugter Herstellung und Inverkehrsetzung von Suchtmitteln als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung von Suchtgiftstraftaten unter anderem 117 Kilogramm Heroin mit einer Reinsubstanz von 45.630 Gramm Heroin-Base anderen um 19.000 Euro pro Kilogramm angeboten (I 2) und 100 Kilogramm Heroin mit einer Reinsubstanz von 39.000 Gramm Heroin-Base mit dem Vorsatz besessen habe, dieses durch Verkauf in Verkehr zu setzen (II).
[9] Diese Ableitung (BS 5) entspricht den Gesetzen folgerichtigen Denkens ebenso wie grundlegenden Erfahrungssätzen und ist solcherart unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116732).
[10] Der Vorwurf, einzelne Umstände, etwa die – vom Beschwerdegericht übrigens sehr wohl berücksichtigte (BS 5) – Aussicht des Beschwerdeführers auf Arbeit bei einem Bekannten in einem Restaurant in Wien, die aus Beschwerdesicht gegen das Vorliegen des herangezogenen Haftgrundes sprächen, seien nicht hinreichend gewichtet worden, stellt die Prognoseentscheidung nicht prozessförmig in Frage (RIS‑Justiz RS0117806 [T1 und T11] sowie Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 49 mwN).
[11] Soweit die Beschwerde mangelnde Begründetheit nicht der rechtlichen Annahme der in § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO genannten Gefahr, sondern der dieser zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen einwendet, verlässt sie erneut den Anfechtungsrahmen (RIS-Justiz RS0117806 [insbesondere T17], jüngst 13 Os 121/23b).
[12] Da die Beschwerde hinsichtlich des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr erfolglos bleibt und (bei Vorliegen der übrigen Haftvoraussetzungen) bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen zum Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO (RIS-Justiz RS0061196).
[13] Was die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft anlangt, prüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in zwei Schritten, ob angesichts der qualifizierten Verdachtslage (§§ 173 Abs 1 erster Satz, 174 Abs 1 erster und vierter Satz, Abs 3 Z 2 und 4, 177 Abs 2 StPO) der vom Oberlandesgericht gezogene Schluss auf ein ausgewogenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe vertretbar war (§ 173 Abs 1 zweiter Satz StPO) und – zusätzlich nach Maßgabe eigener Beweiswürdigung – ob die Gerichte alles ihnen Mögliche zur Abkürzung der Haft unternommen haben (§ 177 Abs 1 StPO, RIS-Justiz RS0120790).
[14] Beschwerdegegenstand im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS-Justiz RS0112012 [T5] und RS0121605 [T3]).
[15] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt der Beschwerdeführer, soweit er Unverhältnismäßigkeit behauptet, aber nicht auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung eingeht (vgl RIS-Justiz RS0106464).
[16] Ein Anspruch auf sofortige Enthaftung ist auch bei einem Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) sowie unter dem Aspekt des Art 5 Abs 3 MRK nur bei einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer zu bejahen (RIS‑Justiz RS0120790 [insbesondere T13 und T15]; Kier, WK-StPO § 9 Rz 52). Eine solche hat das Beschwerdegericht (BS 6) fallbezogen auf der Basis der Dauer der bisherigen Haft (etwa drei Jahre und fünf Monate), der qualifizierten Verdachtslage, dem außerordentlich hohen sozialen Störwert der inkriminierten Handlungen und der für den Fall verdachtskonformer Verurteilung bei einer Strafdrohung von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 28a Abs 4 SMG) prognostizierbaren Sanktion zu Recht verneint.
[17] Mit bloßem Bestreiten der Einschätzung des Oberlandesgerichts, die Untersuchungshaft sei durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) nicht substituierbar (BS 5 f), sowie der Bekundung seiner Bereitschaft, mit sämtlichen gelinderen Mitteln einverstanden zu sein, zeigt der Beschwerdeführer keinen konkreten Beurteilungsfehler auf (siehe aber RIS-Justiz RS0116422 [T1]).
[18] Die Grundrechtsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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