OGH 12Os99/05h

OGH12Os99/05h6.10.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wagner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Hayri S***** wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB, AZ 37 U 15/05d des Bezirksgerichtes Favoriten, über die vom Generalprokurator gegen die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten (ON 10) sowie das (Abwesenheits-)Urteil vom 26. Jänner 2005 (ON 11) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Solé, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Hayri S*****, AZ 37 U 15/05d des Bezirksgerichtes Favoriten, verletzen das Gesetz

1. die Durchführung der Hauptverhandlung (ON 10) sowie die Fällung des Urteils (S 83, ON 11) am 26. Jänner 2005 in Abwesenheit des Beschuldigten in der Bestimmung des § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG und

2. das zu Punkt 1 bezeichnete Urteil, soweit Hayri S***** auch wegen der am 2. November 2004 begangenen Betrugshandlung verurteilt wurde, überdies in dem in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO verankerten Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art 6 EMRK. Das Urteil vom 26. Jänner 2005 (ON 11) und demzufolge auch der unter einem gefasste Beschluss, die Entscheidung über den Widerruf der zu AZ 15 U 261/01v des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt gewährten bedingten Strafnachsicht gemäß § 494a Abs 2 StPO dem erkennenden Gericht vorzubehalten, werden aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Favoriten zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Der am 17. März 1984 geborene (S 9) Hayri S***** erschien am 26. Jänner 2005 nicht zur Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Favoriten (S 77), worauf in seiner Abwesenheit die Verhandlung durchgeführt (S 79) und das Urteil gefällt (S 83, ON 11) wurden. Der Schuldspruch umfasste je eine Betrugshandlung vom 8. April 2004 und vom 2. November 2004 (US 2), wobei letztere erst durch eine in der Hauptverhandlung vorgenommene mündliche Anklageausdehnung (S 81) Verfahrensgegenstand geworden war. Unter einem fasste die Bezirksrichterin den Beschluss, die Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht „gemäß § 494a Abs 2 StPO" dem erkennenden Gericht vorzubehalten (S 83, US 3).

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokuratur in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit des Beschuldigten mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach der Bestimmung des § 32 Abs 1 JGG - die gemäß § 46a Abs 2 JGG auch in Strafverfahren gegen junge Erwachsene Anwendung zu finden hat - ist nämlich die Norm des § 459 zweiter und dritter Satz StPO in Prozessen gegen jugendliche Beschuldigte nicht anzuwenden, aus welchem Grund die Durchführung der Hauptverhandlung sowie die Fällung des Urteils in Abwesenheit des im Zeitpunkt dieser Verfahrenshandlungen (erst) zwanzigjährigen Beschuldigten unzulässig war (vgl auch § 32 Abs 1 zweiter Halbsatz JGG).

Hinzu kommt, dass die Ausdehnung der in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführten Verhandlung und des Abwesenheitsurteils auf die von der in dieser Verhandlung vorgenommenen mündlichen Anklageausdehnung umfasste Betrugshandlung unzulässig war, weil der Beschuldigte hiedurch keine Gelegenheit hatte, zum erweiterten Prozessgegenstand Stellung zu nehmen, und solcherart in seinem (hinsichtlich des bezirksgerichtlichen Verfahrens) in §§ 451 Abs 1 letzter Satzteil, 454 und 459 StPO verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art 6 EMRK verletzt wurde (15 Os 103/00, 14 Os 90/04, Rainer, WK-StPO § 459 Rz 15).

Da nicht auszuschließen ist, dass die Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten wirken, war deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen. Zum Beschluss, mit dem die Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht dem erkennenden Gericht vorbehalten bleibt, ist festzuhalten, dass es eines solchen Ausspruches nicht bedurft hätte, weil der letzte Satz des § 494a Abs 2 StPO ausdrücklich auf die Fälle der ersten beiden Sätze dieser Gesetzesstelle beschränkt ist, woraus folgt, dass außerhalb dieses Regelungsbereichs die Entscheidungskompetenz ex lege auf das in § 495 Abs 1 StPO bezeichnete Gericht übergeht (SSt 60/17, zuletzt 12 Os 126/03; s auch Jerabek, WK-StPO § 494a Rz 10).

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