OGH 12Os84/12p

OGH12Os84/12p10.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Besiana G***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB, AZ 25 Hv 82/11t des Landesgerichts Wels, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 27. Februar 2012, AZ 9 Bs 26/12f (ON 17), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0120OS00084.12P.1010.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

Mit Strafantrag vom 9. August 2011 legte die Staatsanwaltschaft Wels der zum Tatzeitpunkt jugendlichen und bisher unbescholtenen Besiana G***** ein als Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB qualifiziertes Verhalten zur Last (ON 4).

Sämtliche Geschädigten erklärten schriftlich, die Angelegenheit als erledigt zu betrachten, wenn die Angeklagte ein Schuldeingeständnis ablegt und 150 Euro bezahlt (Beilage zu ON 12).

Aufgrund des Nachweises der Schadensgutmachung und aus Anlass eines Antrags der Verteidigung, deshalb nach § 12 JGG bzw nach § 13 JGG vorzugehen, holte die Vorsitzende vor der Hauptverhandlung eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zu einem Vorgehen nach §§ 198 ff, 204 StPO ein (ON 1 S 6).

In der Hauptverhandlung verantwortete sich die Angeklagte Besiana G***** sodann vollinhaltlich geständig und zeigte sich bereit, sich mit den Ursachen der Tat auseinander zu setzen (ON 13 S 4).

Mit in der Hauptverhandlung gefasstem Beschluss vom 10. Jänner 2012, GZ 25 Hv 82/11t‑14, stellte die Einzelrichterin des Landesgerichts Wels das gegen Besiana G***** geführte Verfahren nach Durchführung eines Tatausgleichs und der Bezahlung der Pauschalkosten gemäß §§ 198 f, 204 StPO iVm § 7 JGG ein (vgl ON 13 S 4).

Soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Bedeutung, brachte die Staatsanwaltschaft in ihrer dagegen erhobenen Beschwerde im Wesentlichen vor, dass zwar die allgemeinen Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen vorliegen würden und der angeklagte Sachverhalt auch für eine diversionelle Vorgangsweise, insbesondere nach §§ 200 und 201 StPO, grundsätzlich geeignet sei, aber gerade die Durchführung eines Tatausgleichs mangels Vorliegens einer durch einen Konfliktregler zu lösenden sozialen Konfliktsituation nicht indiziert gewesen sei (ON 15).

Mit Beschluss vom 27. Februar 2012, AZ 9 Bs 26/12f (ON 17), wies das Oberlandesgericht Linz ‑ auch unter Bezugnahme auf die in der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft beantragte Kassation der Entscheidung zur Wahl einer anderen Diversionsform (vgl ON 17 S 1) ‑ die Beschwerde der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die Staatsanwaltschaft lediglich das Fehlen der in § 198 StPO genannten Voraussetzungen einwenden, die gewählte Diversionsart als solche aber nicht bekämpfen könne, weil ein Rechtsmittelerfolg die Durchführung einer Hauptverhandlung notwendig machen würde, in der bei unveränderter Sachlage wegen der Bindewirkung der Beschwerdeentscheidung eine neue Diversionsentscheidung unzulässig sei (Schroll, WK‑StPO § 209 Rz 12).

In ihrer dagegen zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde (§ 23 StPO) erachtet die Generalprokuratur die Bestimmung des § 87 Abs 1 iVm § 209 Abs 2 dritter Satz StPO aufgrund folgender Argumentation für verletzt:

„Gemäß § 89 Abs 2 StPO hat das Rechtsmittelgericht Beschwerden als unzulässig zurückzuweisen, die verspätet oder von einer Person eingebracht wurden, der ein Rechtsmittel nicht zusteht (§ 87 Abs 1 StPO).

§ 198 Abs 1 StPO verpflichtet die Staatsanwaltschaft zu einem Vorgehen nach dem 11. Hauptstück und einem Rücktritt von der Verfolgung, wenn auf Grund hinreichend geklärten Sachverhalts feststeht, dass eine Einstellung des Verfahrens nach den §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt, eine Bestrafung jedoch im Hinblick auf

1./ die Zahlung eines Geldbetrages (§ 200 StPO) oder

2./ die Erbringung gemeinnütziger Leistungen (§ 201 StPO) oder

3./ die Bestimmung einer Probezeit, in Verbindung mit Bewährungshilfe und der Erfüllung von Pflichten (§ 203 StPO), oder

4./ einen Tatausgleich (§ 204 StPO)

nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Eine Kombination dieser taxativ aufgezählten Diversionsarten ist nicht zulässig (Fabrizy, StPO 11 § 198 Rz 10).

Nach Einbringen der Anklage wegen der Begehung einer strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist, hat gemäß § 199 StPO das Gericht die für die Staatsanwaltschaft geltenden Bestimmungen der §§ 198, 200 bis 209 StPO sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

Soweit das Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt, steht der Staatsanwaltschaft gemäß § 87 Abs 1 StPO das Recht auf Beschwerde gegen jeden gerichtlichen Beschluss zu.

Demnach ist die Anklagebehörde, und zwar unter analoger Anwendung des an sich nur für das Verfahren vor der Hauptverhandlung geltenden § 209 Abs 2 dritter Satz StPO (vgl Schroll, WK-StPO § 209 Rz 1, 16) nur sie, berechtigt, ‑  uneingeschränkt  ‑ Beschwerde gegen einen in der Hauptverhandlung verkündeten gerichtlichen Beschluss auf Einstellung des Verfahrens nach dem 11. Hauptstück der StPO zu erheben (15 Os 126/02, 15 Os 48/08k).

Es mangelt der Staatsanwaltschaft aber auch nicht an der ‑ stets erforderlichen ‑ Beschwer, wenn sie sich ‑ wie hier ‑ (nur) gegen die vom Gericht gewählte Diversionsart wendet.

Im Hinblick auf die unterschiedliche Eingriffsintensität der nach § 198 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO vorgesehenen Maßnahmen ist bei einer Diversionsentscheidung jene zu wählen, die ausreicht, um den Präventionsinteressen im Sinne des § 198 Abs 1 StPO zu genügen. Darüber hinaus hat auch die konkret angebotene Diversionsform diesen Kriterien zu entsprechen. Dem Gericht kommt bei der Auswahl der Diversionsmaßnahme und deren Ausgestaltung ein weiter Ermessensspielraum zu. Das eingeräumte Ermessen bedarf aber im Sinne der oben dargelegten Präventionsbezogenheit einer Kontrolle, will man den Anwendungsparametern der §§ 198 ff StPO einen Sinn verleihen. Der Staatsanwaltschaft muss daher ‑ entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ‑ ebenso wie dem Beschuldigten (Angeklagten) das Recht zustehen, eine angemessene Diversionserledigung sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Beschuldigten (Angeklagten) zu begehren und diese im Wege der Beschwerde (§§ 87 Abs 1, 209 Abs 2 StPO) auch im Rechtsmittelweg durchzusetzen (vgl Schroll, WK-StPO § 198 Rz 34, 199 Rz 4, 209 Rz 7 bis 12; 15 Os 126/02).

Die Staatsanwaltschaft war daher auch im vorliegenden Fall zur Beschwerde gegen den gegenständlichen Beschluss des Landesgerichts Wels legitimiert; die Zurückweisung derselben erfolgte demnach rechtsfehlerhaft.

Da der Beschluss des Oberlandesgerichts der Angeklagten fallbezogen aber nicht zum Nachteil gereicht, wäre die aufgezeigte Gesetzesverletzung lediglich festzustellen.

Bleibt anzumerken, dass die nach Kassation eines Beschlusses wie des gegenständlich von der Einzelrichterin gefassten eintretende Bindewirkung der Beschwerdeent-scheidung nur bei unveränderter Sachlage einer neuen Diversionsentscheidung ‑ in der Hauptverhandlung ‑ entgegenstünde (Schroll, WK-StPO § 209 Rz 12). Unter der Voraussetzung, dass (auch) das Beschwerdegericht ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück grundsätzlich bejaht, die Voraussetzungen gemäß § 198 iVm § 204 StPO aber ‑ zB zufolge unterbliebener Einbeziehung des Opfers oder (berechtigter) Verweigerung dessen Zustimmung zu diesem Ausgleich ‑ für nicht erfüllt angesehen hätte, wäre im Zuge der neuen Hauptverhandlung die abermalige Einstellung des Verfahrens nach einer ‑ nunmehr ‑ dem Programm des § 204 StPO entsprechenden Herbeiführung eines außergerichtlichen Tatausgleichs oder nach einem Vorgehen gemäß den §§ 200, 201 oder 203 StPO keineswegs von vornherein ausgeschlossen gewesen.“

 

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Jugendstrafrecht die Spezialbestimmungen der §§ 7 f JGG iVm §§ 198 ff StPO zur Anwendung gelangen, wonach etwa generalpräventive Belange (vgl § 7 Abs 1 JGG) einer diversionellen Vorgangsweise nicht entgegenstehen und das Zustandekommen eines Tatausgleichs die Zustimmung des Opfers nicht voraussetzt (§ 8 Abs 3 JGG).

Gemäß § 89 Abs 2 StPO hat das Rechtsmittelgericht Beschwerden als unzulässig zurückzuweisen, die verspätet oder von einer Person eingebracht wurden, der ein Rechtsmittel nicht zusteht (§ 87 Abs 1 StPO).

Gegen einen nach § 204 Abs 1 StPO iVm § 199 StPO gefassten Beschluss auf Verfahrenseinstellung kann nur die Staatsanwaltschaft Beschwerde erheben (§ 209 Abs 2 dritter Satz StPO). Der Angeklagte ist auf die Anfechtung der Ablehnung der Diversion beschränkt ( Schroll , WK-StPO § 209 Rz 7).

Dass dem Angeklagten ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück, nicht aber auf Anordnung einer bestimmten Art der diversionellen Erledigung zukommt, zeigt bereits ein Blick auf das Rechtsmittelverfahren (§§ 281 Abs 1 Z 10a; 345 Abs 1 Z 12a; 468 Abs 1 Z 4 [§ 489 Abs 1 zweiter Satz] StPO). Die den Prozessgegenstand determinierenden §§ 288 Abs 2 Z 2a, 470 Z 3, 475 Abs 4 StPO ordnen im Fall der erfolgreichen Diversionsrüge nämlich ganz allgemein an, dem Erstgericht ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück aufzutragen.

Für die Erledigung einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen nach § 209 Abs 2 StPO ergangenen Beschluss kann nichts anderes gelten. Mit Einbringen der Anklage beschränkt sich die Befugnis der Staatsanwaltschaft gleich dem Angeklagten darauf, die Fortsetzung des Verfahrens zu begehren. Dass der Staatsanwaltschaft ein über die Erzwingung des Verfahrensfortgangs hinausgehendes Beschwerderecht eingeräumt werden sollte, während der Angeklagte die Bedingungen für die Einstellung in keinem Verfahrensabschnitt bekämpfen kann, darf dem Gesetz nicht unterstellt werden. Demnach kommt der Staatsanwaltschaft gegen diversionelle Erledigungen ein Beschwerderecht (bloß) zu dem Zweck zu, im Fall des Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen (beispielsweise wegen dem Vorliegen von spezialpräventiven Bedenken) eine Überprüfung der Verfahrenseinstellung durch das Rechtsmittelgericht und die Fortführung des Verfahrens zu erwirken.

Da die Staatsanwaltschaft aber hier der Sache nach bloß die Anwendung einer anderen, aus ihrer Sicht zweckmäßigeren Diversionsform (vgl demgegenüber die rechtlich eigenständige, aber gleichwertige Ausgestaltung der Diversionsarten) anstrebte, verfehlte sie, wie das Oberlandesgericht zutreffend erkannte, den dargelegten Anfechtungsrahmen.

Mit Blick auf die bereits durchgeführte diversionelle Maßnahme würde die angestrebte Durchführung einer weiteren aber anderen Diversionsform im Ergebnis zu einer Kumulierung der alternativ vorgesehenen Diversionserledigungen führen, die bereits wegen der damit bewirkten überproportionalen und solcherart selbst die herkömmlichen Sanktionen der Geld- und Freiheitsstrafe übertreffende Belastung von Angeklagten unzulässig ist (vgl Schroll, WK-StPO § 198 Rz 50; Fabrizy, StPO11 § 198 Rz 10; RIS‑Justiz RS0118704).

Hinsichtlich der einen Tatausgleich in Zweifel ziehenden Anmerkung der Vertreterin der Generalprokuratur am Gerichtstag, die auf die in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gestellten Anträge Bezug nahm, sei der Vollständigkeit halber folgendes klargestellt:

§§ 7 ff JGG iVm § 204 Abs 1 StPO ordnet unter anderem einen nach den Umständen geeigneten Ausgleich der Folgen der Tat an. Eine dabei zwingend einzuhaltende Vorgangsweise sieht das Gesetz nicht vor. Die nach § 204 Abs 3 StPO grundsätzlich mögliche, gegenständlich aber unterlassene Beiziehung eines Konfliktreglers sowie der Umstand, dass die Täter‑Opfer‑Gespräche über den Verteidiger der Angeklagten geführt wurden, steht dem Gelingen eines Ausgleichs demzufolge nicht entgegen. Die Bereitschaft der Besiana G***** für die Tat einzustehen, wurde bereits durch die Erfüllung der Forderungen der Geschädigten unter Beweis gestellt. Eine Auseinandersetzung der Angeklagten mit den Ursachen der Tat lässt sich dem Bericht der Bewährungshilfe ebenso entnehmen wie die Beteuerung derselben, künftig ein geändertes konfliktvermeidendes Verhalten zu setzen (ON 7). Sogar die bei Jugendstraftaten gar nicht erforderliche Zustimmung (§ 8 Abs 3 JGG) der (die Angelegenheit als erledigt betrachtenden) Tatopfer lässt sich aus dem Schreiben an den Verteidiger zwanglos ableiten (ON 129). Demnach wäre ein das Zustandekommen eines Tatausgleichs mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen bestreitendes Beschwerdevorbringen zwar meritorisch zu behandeln, dem Rechtsmittel aber im Ergebnis auch kein Erfolg beschieden gewesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte