OGH 12Os8/09g (12Os9/09d)

OGH12Os8/09g (12Os9/09d)23.4.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab und Dr. T. Solé sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dominik T***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Dominik T***** und Markus F***** gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Jugendschöffengericht vom 6. Juni 2008, GZ 33 Hv 204/07h-26, sowie über den Antrag des Dominik T***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Dominik T***** und Markus F***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 (Dominik T***** nach § 12 dritte Alternative) StGB, schuldig erkannt.

Danach haben sie am 24. Februar 2007 in S*****

1. Markus F***** dem Thomas L***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz mit Gewalt fremde bewegliche Sachen weggenommen, indem er ihn zu Boden stieß, ihm Fußtritte versetzte und sodann dessen Handy und Halskette im Gesamtwert von 500 Euro an sich nahm;

2. Dominik T***** zu diesem Raub beigetragen, indem er sich vor Thomas L***** stellte, ihm dadurch den Weg versperrte und ihn dadurch ablenkte, dass er ihm seine Kappe vom Kopf riss.

Dagegen haben beide Angeklagte unmittelbar nach Urteilsverkündung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet.

Die - den Beginn des Laufs der vierwöchigen Frist des § 285 Abs 1 StPO unabhängig von der Zustellung des (am 11. Juni 2008 fertig gestellten [S 162]) Hauptverhandlungsprotokolls auslösende (vgl dazu unten) - Urteilszustellung an den Verteidiger des Dominik T***** erfolgte am 2. Oktober 2008 (RS zu ON 26).

Mit am 19. November 2008 beim Erstgericht überreichten Schriftsatz begehrte dieser - unter gleichzeitiger Rechtsmittelausführung - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (§ 364 Abs 1 StPO, ON 31).

Dazu brachte er im Wesentlichen vor, in seiner nahezu ausschließlich mit Zivilsachen betrauten Kanzlei erfolge die Anmeldung von Rechtsmitteln in den vereinzelt anfallenden Strafsachen „in der Regel" mittels Schriftsatz und nicht - wie hier - mündlich in der Hauptverhandlung. Deshalb sei seine bis dahin stets zuverlässige „Chefsekretärin" fälschlich - aber in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Handaktes (BS 3) - davon ausgegangen, dass ein Rechtsmittel gegen das Urteil gar nicht angemeldet wurde, habe nach Einlangen der Urteilsausfertigung den Vermerk: „keine Frist eingetragen, da kein Rechtsmittel angemeldet!" darauf angebracht und den Handakt (bis zum Einlangen einer Abschrift des Protokolls über die fortgesetzte Hauptverhandlung vom 6. Juni 2008 am 14. November 2008) auf ihrem Schreibtisch belassen, anstatt - wie sonst üblich - einen Fristvormerk in der Kanzlei-EDV und auf dem Poststück anzubringen und den Handakt der zweiten Sekretärin und in weiterer Folge dem Rechtsanwalt zur Kontrolle der Frist vorzulegen.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist dieWiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Angeklagten - neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen - gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Damit hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt (RIS-Justiz RS0101272). Organisationsverschulden, für dessen Beurteilung der Standard einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei gilt, schließt die Wiedereinsetzung in aller Regel aus (Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 35 mwN). Gerade solches, über ein Versehen bloß minderen Grades hinausgehendes Organisationsverschulden des Verteidigers des Erstangeklagten ist aber aus dem Antragsvorbringen abzuleiten:

Denn dieser hätte - gerade wegen der in der nur fallweise mit Strafsachen betrauten Kanzlei unüblichen (nach den Angaben der mit der Eintragung von Fristen primär befassten Kanzleiangestellten bisher noch nie vorgekommenen [Beilage zu ON 31]) Vorgangsweise - die mündliche Rechtsmittelanmeldung jedenfalls im Handakt ersichtlich machen, seine Sekretärin, die über die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit einer solchen Prozesshandlung gar nicht informiert war (Beilage zu ON 31), über diese und deren Folgen in Kenntnis setzen und ihr für diesen im ordentlichen Kanzleibetrieb nach dem Antragsvorbringen nicht geregelten Fall konkrete Anweisungen erteilen müssen, um die korrekte Eintragung des Ablaufs der Ausführungsfrist und deren Einhaltung sicher zu stellen. Sich darauf zu verlassen, dass ihm der Handakt von seiner Kanzleiangestellten unverzüglich nach Einlangen des Urteils ohnehin vorgelegt werde, obwohl sie nach der Aktenlage davon ausgehen musste, dass eine Rechtsmittelanmeldung nicht erfolgte und damit die Dringlichkeit gar nicht erkennen konnte, ist mit den Maßstäben eines gewissenhaften und umsichtigen Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren.

Dass dem Verteidiger die Rechtsmittelausführung ohne Vorliegen des Hauptverhandlungsprotokolls iSd § 364 Abs 1 StPO unmöglich gewesen wäre, wird im Antrag ebenso wenig behauptet, wie, dass dessen verspätete Zustellung ein für ihn unabwendbares Ereignis war. Für den Beginn der Ausführungsfrist sieht das Gesetz aber nicht mehr als die Urteilszustellung vor, auf die von § 271 Abs 6 StPO verlangte Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls kommt es nicht an (vgl zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 285 Rz 2 und 4; 11 Os 19/09t, 20/09i, 21/09m; aM Danek, WK-StPO § 271 Rz 40).

Da die Nichtigkeitsbeschwerde somit verspätet ausgeführt wurde und bei ihrer Anmeldung Nichtigkeitsgründe nicht deutlich und bestimmt bezeichnet wurden, war sie bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Der rechtzeitig ausgeführten, auf die Gründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Markus F***** kommt keine Berechtigung zu.

Mit der Kritik an den Feststellungen zum Motiv des Angeklagten spricht die Mängelrüge keine schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsache an (RIS-Justiz RS0088761). Dem - Feststellungs- und Begründungsebene betreffende - Undeutlichkeit behauptenden weiteren Beschwerdevorbringen (Z 5 erster Fall) zuwider haben die Tatrichter unmissverständlich sowohl eine der Tatausführung unmittelbar vorangehende - angesichts festgestellter unmittelbarer Täterschaft des Beschwerdeführers indes ebenfalls nicht entscheidungswesentliche - Verabredung der Angeklagten konstatiert, als auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Vorsatz des Beschwerdeführers sowohl auf den Einsatz von Gewalt als Nötigungsmittel als auch auf die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache und auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtet war (US 4 f). Diese Feststellungen leiteten sie aus der objektiven, als zielgerichtet angesehenen Vorgangsweise beider Angeklagter ab, die Thomas L***** zuvor dabei beobachtet hatten, wie er eine Textnachricht in sein Handy tippte, worauf Markus F***** sich ihm in den Weg stellte und ihn ablenkte und Dominik T***** ihn unmittelbar darauf tätlich angriff und die - im Zuge des Angriffs zu Boden gefallenen - verfahrensgegenständlichen Wertgegenstände an sich nahm (US 10 f), was an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt und im Übrigen auch aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich mit ihrem Einwand fehlender Feststellungen zur Kausalität der Gewaltanwendung für die Sachwegnahme sowie zur subjektiven Tatseite und ihrer Behauptung insoweit substratloser Verwendung der verba legalia nicht an den - insgesamt eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage darstellenden (vgl dazu oben) - Urteilsannahmen, womit sie den gesetzlichen Bezugspunkt verfehlt (RIS-Justiz RS0099810), und verkennt zudem, dass selbst die Wiedergabe der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale die Wirksamkeit der Konstatierungen zur inneren Tatseite nicht beeinträchtigen würde, wenn - wie hier etwa - zufolge präziser Schilderung des äußeren Geschehens ein ausreichender Sachverhaltsbezug gegeben ist (RIS-Justiz RS0119090).

Auch die Nichtigkeitsbeschwerde des Markus F***** war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über beide Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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