OGH 12Os73/09s

OGH12Os73/09s2.7.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juli 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Eberwein als Schriftführer in der Strafsache gegen Florian W***** wegen des Verbrechens des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld und Strafe des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 6. Februar 2009, GZ 39 Hv 116/08w-61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde der Angeklagte des Verbrechens des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB schuldig erkannt.

Demnach hat Florian W***** am 2. Juni 2008 in S***** in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung infolge der von ihm befürchteten Beendigung der Lebensgemeinschaft mit Nicole S***** und einer durch Anfahren mit einem Pkw durch Nicole S***** bewirkten eigenen Verletzung Nicole S***** durch beidhändiges längeres und kräftiges Würgen sowie durch Verdrehen ihres Kopfes um beinahe 180 Grad, bis er ein Knacken vernahm, wodurch sie in akute äußerst konkrete Lebensgefahr geriet, vorsätzlich zu töten versucht. Gemäß § 21 Abs 2 StGB ordnete das Erstgericht die Einweisung des Florian W***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.

Rechtliche Beurteilung

Lediglich diese Unterbringung bekämpft der Angeklagte mit einer - auf die Z 4 und 5 des § 345 Abs 1 StPO gestützten - Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zu kommt. Das Vorbringen aus § 345 Abs 1 Z 4 (der Sache nach iVm Z 13) StPO übersieht zunächst, dass der Nichtigkeitsgrund lediglich auf eine Verletzung von Vorschriften während der Hauptverhandlung Bezug nimmt, die Anordnung der Unterbringung gemäß § 435 Abs 2 StPO einen Teil des Ausspruchs über die Strafe bildet und daher zwingend weder eines gesonderten „Ermittlungsverfahrens" noch eines Antrags der Anklagebehörde bedarf (§ 437 zweiter Satz StPO).

Von den Sonderbestimmungen für das Verfahren zur Verhängung der in Rede stehenden vorbeugenden Maßnahme stehen nur die Vorschriften des § 439 Abs 1 und Abs 2 StPO, somit die Unterlassung der Beiziehung eines Sachverständigen und der Verstoß gegen den in der Hauptverhandlung bestehenden Verteidigerzwang unter Nichtigkeitssanktion, nicht aber eine allfällige Missachtung der Bestimmung des § 437 erster Satz StPO, die lediglich der Vorbereitung der Hauptverhandlung dient (vgl Fabrizy, StPO10 § 437 Rz 1; Medigovic, WK-StPO § 435 Rz 6).

Soweit die erstmalig im Schlussvortrag auf § 21 Abs 2 StGB abzielende Antragstellung durch die Anklagebehörde kritisiert und eine Verletzung von Verteidigungsrechten behauptet wird, erweist sich dies - ungeachtet eines fehlenden, indes für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes vorausgesetzten (und in der hier relevanten Phase der Schlussvorträge noch zulässigen; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 309; Danek, WK-StPO § 238 Rz 4 f) Antrags (oder eines dem gleichkommenden substantiierten Widerspruchs) in der Hauptverhandlung (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302 ff) - auch unter dem Aspekt der Z 5 (der Sache nach iVm Z 13) des § 345 Abs 1 StPO als unbeachtlich. Im Falle einer ohne Antragstellung anzuordnenden Unterbringung hat das Gericht die Verfahrensbeteiligten zeitgerecht auf eine diesbezügliche Erwägung hinzuweisen und eine auf die psychiatrischen Voraussetzungen einer Unterbringung bezogene Begutachtung zu veranlassen, um den Parteien die Möglichkeit einer Stellungnahme zur § 21 Abs 2 StGB betreffenden Expertise vor der Entscheidung zu wahren (vgl RIS-Justiz RS0101757).

Diesem Erfordernis wurde entsprochen, indem die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Dr. Karin T***** vom Vorsitzenden des Geschworenengerichts des Landesgerichts Innsbrucks am 3. Dezember 2008 mit der ergänzenden Begutachtung des Angeklagten in Richtung § 21 Abs 2 StGB beauftragt wurde (ON 50), das darauf gegründete Ergänzungsgutachten dem Verteidiger noch vor der Hauptverhandlung, nämlich am 26. Jänner 2009 zugestellt (vgl Rückschein S 2/ON 57) und sowohl Florian W***** als auch seinem Vertreter am 6. Februar 2009 in der Hauptverhandlung ausreichend Gelegenheit geboten wurde, verteidigungsrelevante Fragen an die Sachverständige zu richten (vgl S 72 ff/ON 60). Auch der Vorwurf der Verletzung des „fair trial" (Art 6 MRK) ist somit unbegründet.

Der weiters reklamierte Verstoß gegen die Bestimmung des § 127 Abs 2 StPO stellt keinen Nichtigkeitsgrund dar (vgl RIS-Justiz RS0123608). Gemäß § 127 Abs 2 letzter Halbsatz StPO kann bei der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens die Befundaufnahme überdies unter Ausschluss der Verfahrensbeteiligten erfolgen (vgl Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 31).

Mit der Forderung nach einem „der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienlichen Anklagepunkt" verkennt der Beschwerdeführer neuerlich die Rechtsnatur der Maßnahme als Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO. Zum Vorwurf des als „eklatant oberflächlich" bezeichneten Gutachtens ist zu bemerken, dass der Rechtsmittelwerber keine Umstände vorbringt, die ihn an einer weiteren Hinterfragung (§ 127 Abs 3 StPO) sowie an Anträgen zur Ergänzung oder Präzisierung des von ihm kritisierten Gutachtens gehindert hätten (vgl RIS-Justiz RS0114036). Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur und entgegen der dazu eingebrachten Äußerung des Angeklagten ebenso wie die in der Strafprozessordnung gegen Urteile von Kollegialgerichten nicht vorgesehene (hier aber angemeldete; S 3/ON 63) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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