OGH 12Os61/06x

OGH12Os61/06x22.6.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alen A***** und andere Angeklagte wegen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Milan S***** sowie über die Berufungen der Angeklagten Alen A*****, Almir C*****, Mirsad Al*****, Josip St***** und Ibrahim Ö***** gegen das Urteil des Jugendgeschworenengerichtes beim Landesgericht Wiener Neustadt vom 22. März 2006, GZ 46 Hv 4/06w-92, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden der Wahrspruch der Geschworenen zu den Hauptfragen XIV, XV, XVI, XVII, XXI, XXII und XXIII sowie zur Zusatzfrage XXX, demgemäß das Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, hinsichtlich der Angeklagten Alen A*****, Almir C***** und Miljan S***** in den Schuldsprüchen I/B/1/b) und 2/ sowie die diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüche aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Jugendgeschworenengericht beim Landesgericht Wiener Neustadt zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten Alen A*****, Almir C***** und Miljan S***** auf diese Entscheidung verwiesen. Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Mirsad Al*****, Josip St***** und Ibrahim Ö***** werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Alen A***** der teils vollendeten, teils versuchten Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall und 15 StGB, teilweise als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB (I/A, B/1/b), c), 2/, II/A/2/) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (III/A/), Almir C***** der teils vollendeten, teils versuchten Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (I/A/1/a), b), 2/ und B) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG, Mirsad Al***** der Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (I/A/1/b), B/1/a) und c)), Josip St***** der teils vollendeten, teils versuchten Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142, 143 zweiter Fall und 15 StGB, teilweise als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB (I/A/1/c), II/A/1/), Ibrahim Ö***** des Verbrechens des schweren Raubes als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (II/B/) und Miljan S***** des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (I/B/2/) sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (III/C/) schuldig erkannt.

Danach haben mit Gewalt gegen Personen und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung von Waffen anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern

A. abgenötigt, und zwar

1. in Wien

a) Alen A***** und Almir C***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

aa) am 9. November 2005

dem Zlatko G*****

Bargeld in der Höhe von 4.775 Euro,

indem sie maskiert in die Filiale des A*****-Wettbüros in *****, eindrangen, Almir C***** eine Gaspistole gegen den Genannten in Anschlag brachte, Alen A***** mit einem Gummiknüppel drohte und beide die Ausfolgung von Geld forderten,

bb) am 21. November 2005

dem Recai U*****

Bargeld in der Höhe von 450 Euro,

indem sie maskiert in die Filiale des A*****-Wettbüros in *****, eindrangen, Alen A***** gegen den Genannten und gegen Gäste des Lokals eine Gaspistole in Anschlag brachte, Almir C***** mit einem Gummiknüppel drohte und beide die Ausfolgung von Geld forderten,

b) am 26. November 2005

Alen A*****, Almir C***** und Mirsad Al***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

dem Samir V*****

Bargeld in der Höhe von 1.280 Euro,

indem sie maskiert in die Filiale des „I*****"-Wettbüros in *****, eindrangen, Almir C***** eine Gaspistole gegen den Genannten und gegen Gäste des Lokals in Anschlag brachte, Mirsad Al***** mit einer Machete drohte und sie die Ausfolgung von Geld forderten,

c) Alen A***** und Josip St***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

am 20. Dezember 2005

der Hannelore K*****

rund 200 Euro Bargeld,

indem sie maskiert in deren Geschäftslokal eindrangen, Josip St***** gegen sie eine Gaspistole in Anschlag brachte, Alen A***** einen Kunden in die Ecke des Geschäftslokals drängte und die Genannte sodann zur Ausfolgung von Geld aufforderten,

2. am 21. Dezember in Oeynhausen

Alen A***** und Almir C***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

dem Roman F*****

Bargeld von 1.305,87 Euro,

indem sie maskiert in die A*****-Tankstelle A***** eindrangen, Alen A***** den scharf geladenen Revolver Marke Smith & Wesson Kal 357 Magnum und Almir C***** die scharf geladene Pistole Marke Smith & Wesson Kal 22 long rifle gegen den Genannten in Anschlag brachte und beide die Ausfolgung von Geld forderten;

B. wegzunehmen oder abzunötigen versucht, und zwar

1. in Wien

a) am 30. November 2005

Almir C***** und Mirsad Al*****

im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter der Ljuba R***** Bargeld, indem sie maskiert in die Filiale des „I*****"-Wettbüros in *****, eindrangen und Almir C***** eine Gaspistole in Anschlag brachte,

b) Anfang Dezember 2005

Alen A***** und Almir C*****

im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Verfügungsberechtigte der Filiale des „I*****"-Wettbüros in *****, indem sie mit dem Ziel, von den Angestellten unter Vorhalt einer Gaspistole Bargeld zu fordern, jeweils maskiert in das Lokal einzudringen trachteten, und zwar

  1. aa) Anfang Dezember 2005
  2. bb) zwei Tage nach der unter Pkt aa) beschriebenen Tatzeit im Dezember 2005.

    c) am 7. Dezember 2005

    Alen A*****, Almir C***** und Mirsad Al***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter der Ljupka D***** Bargeld, indem sie maskiert in die Filiale des A*****-Wettbüros in *****, eindrangen, Almir C***** eine Gaspistole gegen die Genannte in Anschlag brachte, Mirsad Al***** mit einer Machete drohte und beide die Ausfolgung von Geld forderten,

    2. am 20. Dezember 2005

    in Möllersdorf

    Alen A*****, Almir C***** und Miljan S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Verfügungsberechtigten der O*****-Tankstelle K***** Bargeld, indem sie mit dem Ziel, von den Angestellten unter Vorhalt der von Almir C***** bereitgehaltenen scharf geladenen Pistole Marke Smith & Wesson Kal 22 long rifle und des von Miljan S***** bereitgehaltenen scharf geladenen Revolver Marke Smith & Wesson Kal 357 Magnum Geld zu fordern, maskiert in die Tankstelle einzudringen trachteten;

    II. zur Ausführung strafbarer Handlungen beigetragen, und zwar

    A. der unter Punkt I/B/1/a) beschriebene Tat

    1. Josip St*****

    indem er Ljuba R***** unter dem Vorwand, ihre Hilfe zu benötigen, aus dem versperrten Büroraum lockte und

    2. Alen A*****

    indem er Almir C***** und Mirsad Al***** durch ein verabredetes Zeichen verständigte, dass Ljuba R***** den Büroraum verlassen hatte, B. Ibrahim Ö*****

    zu der unter Punkt I/A/1/a/aa) beschriebenen Tat, indem er Zlatko G***** unter dem Vorwand, seine Hilfe zu benötigen, aus dem Büroraum lockte;

    III. unbefugt genehmigungspflichtige Schusswaffen besessen, und zwar

    A. Alen A*****

    am 21. Dezember 2005 in Oeynhausen und an anderen Orten einen Revolver Marke Smith & Wesson Kal 357 Magnum,

    B. Almir C*****

    1. 1. am 20. Dezember 2005 in Möllersdorf und
    2. 2. am 21. Dezember 2005 in Oeynhausen und an anderen Orten, jeweils die Pistole Marke Smith Wesson Kal 22 long rifle;

      C. Miljan S*****

      am 20. Mai 2005 in Möllersdorf und an anderen Orten den Revolver Marke Smith & Wesson Kal 357 Magnum.

      Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellten Hauptfragen bejaht und die beim Angeklagten Miljan S***** für den Fall der Bejahung der Hauptfrage XXIII gestellte Zusatzfrage XXX nach freiwilligem Rücktritt vom Versuch verneint. Weitere Fragen wurden nicht gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die nur gegen den Schuldspruch I/B/2/ gerichtete, auf § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 11 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Miljan S***** ist im Recht.

Bei Stellung einer Schuldfrage verlangt das Gesetz die Individualisierung der Tat (nach Ort, Zeit, Gegenstand udgl) zum Zwecke der Ausschaltung der Gefahr der neuerlichen Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat und deren Konkretisierung durch Aufnahme der den einzelnen Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten, die die Subsumtion des von den Geschworenen ihrem Wahrspruch zugrundegelegten Sachverhalts überhaupt erst ermöglicht und andererseits die Überprüfung der Subsumtion durch den Obersten Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren gewährleistet (Schindler, WK-StPO § 312 Rz 24).

Zutreffend macht die Fragenrüge (Z 6) unter anderem geltend, dass es der Schwurgerichtshof jedoch unterlassen hat, die Tat in der Hauptfrage XXIII den Begehungsmodalitäten entsprechend zu konkretisieren, welche eine Beurteilung der Rechtsfrage ermöglicht hätten, ob eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung (§ 15 Abs 2 StGB) vorlag. Weder die sich aus den Verantwortungen der Angeklagten Alen A*****, Almir C***** und Miljan S***** ergebende Zufahrt mit einem Auto zum Tankstellengelände, noch das Verlassen des Fahrzeuges, ihre Maskierung, das Bereithalten der Waffen noch schließlich ihre Annäherung an das Tankstellengebäude fand Eingang in die Fragestellung.

Die Unterlassung des Schwurgerichtshofes, im Rahmen der Schuldfragen nach einem konkreten historischen Geschehen zu fragen, macht das Urteil prinzipiell aus der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO nichtig (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 40 f), doch werden Rechtsfehler unter dem Gesichtspunkt fehlender Feststellungen von der Z 11 lit a leg cit erfasst (12 Os 7/05d).

Da sich der zur Hauptfrage XXIII vom Angeklagten Miljan S***** geltend gemachte Nichtigkeitsgrund auch zugunsten der Angeklagten Alen A***** und Almir C*****, welche keine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben haben, auswirkt, war der Wahrspruch der Geschworenen zu den Hauptfragen XXI, XXII und XXIII sowie der Zusatzfrage XXX und demgemäß der darauf beruhende Schuldspruch I/B/2/ aufzuheben. Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war gemäß § 290 Abs 1 StPO hinsichtlich der Angeklagten Alen A***** und Almir C***** auch der von ihnen nicht geltend gemachte, sich jedoch zu ihrem Nachteil auswirkende Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO hinsichtlich der Hauptfragen XIV, XV, XVI und XVII von Amts wegen wahrzunehmen, weil auch in diesen keine Konkretisierung durch Aufnahme der tatsächlichen Gegebenheiten erfolgte, sodass eine Überprüfung der rechtlichen Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof nicht möglich ist.

Da sich eine neue Hauptverhandlung vor einem anderen Jugendgeschworenengericht des Landesgerichtes Wiener Neustadt nicht vermeiden lässt, war der Wahrspruch der Geschworenen und das angefochtene Urteil im angeführten Umfang bereits bei nichtöffentlicher Sitzung sofort aufzuheben.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten Alen A*****, Almir C***** und Miljan S***** auf die Kassation des Strafausspruches zu verweisen.

Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Mirsad Al*****, Josip St***** und Ibrahim Ö***** ist das Oberlandesgericht Wien zuständig (§§ 344, 285i StPO).

Im neu durchzuführenden Verfahren wird der Schwurgerichtshof die aufgehobenen Schuldfragen durch Aufnahme der den einzelnen Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten zu konkretisieren haben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte