OGH 12Os46/05i

OGH12Os46/05i8.9.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. September 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lang als Schriftführer, in der Strafsache gegen Hanspeter P***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. Jänner 2005, GZ 024 Hv 160/04d-59, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Angeklagten sowie seines Verteidigers Mag. Dr. Harrich zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hanspeter P***** (richtig:) der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./1., 2./a und b und 3.) und (richtig:) der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./) schuldig erkannt.

Darnach hat er zwischen Februar und April 2004 in Wien

I. außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an nachgenannten unmündigen Personen vorgenommen, indem er

1. die am 17. Mai 1994 geborene Alexandra D***** auf die Brüste küsste;

2. bei der am 29. September 1992 geborenen Tamara S*****

  1. a) im Februar 2004 die Brust des Kindes entblößte, und betastete;
  2. b) im März (richtig:) 2004 (US 6) ihre Brust entblößte, betastete und sie in die Scheide zwickte und dort auch außerhalb und innerhalb der Unterhose betastete;

    3. die am 2. Oktober 1992 geborene Andrea C***** auf seinen Schoß setzte, sie im Bereich der bereits entwickelten Brüste festhielt und sie an der Innenseite ihrer Oberschenkel betastete;

    II. durch die unter Punkt I. genannten Handlungen mit unmündigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, indem sie sich im Einverständnis mit den Erziehungsberechtigten in seinem Haus aufhielten, jeweils unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Der eine Nichterörterung selektiv herausgegriffener Passagen des psychologischen Sachverständigengutachtens monierenden Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) ist vorweg zu erwidern, dass das Gericht gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO zwar verpflichtet ist, im Urteil in gedrängter Form die als erwiesen angenommenen entscheidenden Tatsachen zu begründen, daraus aber keine Verpflichtung dazu resultiert, sämtliche Verfahrensergebnisse schlechthin und ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung für die zu fällende Entscheidung einer besonderen Erörterung zu unterziehen (vgl Mayerhofer StPO5 § 270 E 78, § 281 Z 5 E 7 f). Demgemäß bedurfte es keiner gesonderten Auseinandersetzung des Schöffengerichtes mit jenen vom Beschwerdeführer relevierten Ausführungen der Sachverständigen Dr. G*****, wonach im Hinblick auf Gespräche der Zeuginnen Alexandra D*****, Tamara S***** und Andrea C***** untereinander über die Tatvorfälle im Nachhinein Wahrnehmungsaspekte verändert worden sein könnten und eine Fehlinterpretation „harmloser" Ereignisse nicht völlig auszuschließen sei (ON 36 S 241f, ON 46 S 303 f); dies zumal die dargelegte bloß hypothetisch-abstrakte Möglichkeit einer unrichtigen Deutung von Wahrnehmungsinhalten - vom Nichtigkeitswerber vernachlässigt - das abschließende gutachterliche Kalkül einer generell unbeeinträchtigten Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit der Zeuginnen unberührt ließ (ON 36 S 241 ff, ON 46 S 303 f) und im Übrigen die Tatrichter mängelfrei begründeten, weshalb sie die - auch Schilderungen einer gesprächsweisen Erzählung der Tatvorfälle untereinander beinhaltenden - Angaben der Zeuginnen Alexandra D*****, Tamara S***** und Andrea C***** für glaubwürdig erachteten (US 7 f).

Der Rechtsrüge (Z 9 lit a), das Betasten einer noch unentwickelten Brust einer Unmündigen sei nur im Falle der bereits beginnenden Pubertät des Tatopfers tatbildlich, die sich ersichtlich gegen die Schuldspruchfakten I./1., 2.a) und einen Teil des Punktes 2.b) richtet, worin dem Angeklagten das Küssen der Brüste der ca 10-jährigen Alexandra D***** und das Entblößen und Betasten der Brust der ca 11½-jährigen Tamara S***** angelastet wird, ist Folgendes zu entgegnen:

Opfer der bezeichneten inkriminierten Taten kann nur eine unmündige Person sein; dabei ist es nicht entscheidend, ob das Opfer den Sexualbezug der Handlung erkennen kann. Auch Säuglinge und Schlafende kommen als Opfer in Betracht (Schick in WK2 § 207 Rz 5). Der Begriff der geschlechtlichen Handlung umfasst jede nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogene Handlung, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist und damit eine unzumutbare, sozialstörende Rechtsgutbeeinträchtigung im Intimbereich darstellt. Dieser Begriff schließt im gegebenen Zusammenhang vorweg jedenfalls jene Handlungen ein, bei denen zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien des Opfers oder Täters mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührung gebracht werden (15 Os 21/00).

Besteht die Tathandlung (wie hier) im Betasten (in einem Fall Zwicken) der Geschlechtsteile der unmündigen Person, liegt somit eine geschlechtliche Handlung im Sinn des § 207 Abs 1 StGB unabhängig vom Entwicklungsgrad des Opfers vor.

Ob die Brustgegend eines unmündigen Mädchens bereits zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehört, deren Berührung auch nach außen hin sexuell sinnbezogen erscheinen kann, hängt nicht generell und ausschließlich davon ab, ob die physische Entwicklung des Mädchens gerade in dieser Körperregion so weit fortgeschritten ist, dass seine Brüste als Sekundärmerkmale weiblichen Körpers bereits (deutlich) ausgeprägt sind. Vielmehr kommt es für die Bejahung sexuellen Missbrauchs eines - diesem Angriff in seiner gesamten Persönlichkeit und nicht bloß mit einzelnen Körperteilen unterliegenden - unmündigen Mädchens in der Bedeutung des § 207 Abs 1 StGB einerseits darauf an, ob das betreffende Mädchen insgesamt eine solche Reife erreicht hat, dass damit das - nicht bloß flüchtige - Berühren im Brustbereich, welcher diesfalls, ebenso wie bei reifen Frauen, ohne Rücksicht auf die Ausbildung der Brustdrüsen schon biologisch der Geschlechtsregion zuzurechnen ist, sich auch objektiv als Handlung darstellt, deren Beziehung zum Sexualleben nicht nur gedacht, sondern ihrer Art nach gegeben ist; darüber hinaus muss sie als solche - insbesondere im Hinblick auf die abstrakte Eignung zur Gefährdung des Schutzzweckes des §§ 206 f StGB, nämlich der sittlichen und sexuellen Entwicklung der Unmündigen - nach der Auffassung von mit rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen gemeiniglich als grob sozialstörend empfunden werden (14 Os 109/99, ein 9-jähriges Opfer betreffend; EvBl 1982/20).

Nach den bei gebotener Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe vom Erstgericht unmissverständlich getroffenen Urteilsannahmen haben die vom Beschwerdeeinwand betroffenen, zum Tatzeitpunkt ca 10-jährigen bzw 11½-jährigen, in einem entwicklungssensiblen Wachstumsstadium befindlichen (US 9) Mädchen Alexandra D***** und Tamara S***** das tatgegenständliche Küssen ihrer nackten (wenngleich noch nicht entwickelten) Brüste, welches sie nach den Ausführungen des - insgesamt der Entscheidung zu Grunde gelegten (US 5) - Gerichtssachverständigengutachtens sofort als auffällig und als Grenzüberschreitung interpretierten (S 257 f), als sexuell motiviert (US 8) und demgemäß als spezifisch sexuell sinnbezogen wahrgenommen, sodass die inkriminierten Aktivitäten zutreffend als geschlechtliche Handlungen beurteilt wurden.

Mit dem weiteren Einwand fehlender Feststellungen zu einer auf geschlechtliche Erregung oder Befriedigung des Angeklagten gerichteten Absicht unterlässt der Nichtigkeitswerber eine methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz, weshalb der vorliegend allein aktuelle Tatbestand des § 207 Abs 1 StGB eine solche - nur im Fall des § 207 Abs 2 zweiter Fall StGB vorausgesetzte (vgl 12 Os 65/98 sowie zuletzt 13 Os 149/99) - subjektive Tendenz erfordern soll.

Auf erst im Gerichtstag gegen die Annahme des Autoritätsverhältnisses im Sinn des § 212 Abs 1 Z 2 StGB vorgebrachten Einwände war keine Rücksicht zu nehmen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte Hanspeter P***** nach §§ 28 Abs 1, 207 Abs 1 StGB zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Dabei wertete es die Tatwiederholung an mehreren Opfern und das Zusammentreffen „eines" Verbrechens mit „einem" Vergehen erschwerend; mildernd berücksichtigte es hingegen „die zu einem sehr geringen Teil tatsachengeständige Verantwortung" und „die aus formalen Gründen gegebene Unbescholtenheit".

Gegen diesen Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten mit dem Ziel der Herabsetzung und zumindest teilbedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe; sie teilt das Schicksal der Nichtigkeitsbeschwerde.

Soweit der nunmehr 63jährige Berufungswerber zu diesem Antrag ausführt, infolge seiner altersbedingten „Strafempfindlichkeit" treffe ihn der Strafvollzug weitaus härter als einen jüngeren Angeklagten, sowie als mildernd sei ferner seine Unbescholtenheit und eine günstige Zukunftsprognose zu werten, vermag er damit im Einzelnen keine überzeugenden Aspekte für die angestrebte Strafkorrektur aufzuzeigen.

Die thematisierte gesteigerte Strafempfindlichkeit blieb unbegründet, die Unbescholtenheit stellt für sich allein keinen Milderungsgrund dar (Fabrizy StGB8 § 34 Rz 4) und die „günstige Zukunftsprognose" liegt schon im Hinblick auf den mangelnden kritischen Zugang des Angeklagten zu seinem inkriminierten Verhalten nicht vor. Da das Erstgericht - den Berufungswerber insoweit zu Unrecht favorisierend - dessen „zu einem sehr geringen Teil tatsachengeständige Verantwortung" die somit weder reumütig war noch wesentlich zur Wahrheitsfindung beitrug (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB), aber auch das Zusammentreffen von „einem" Verbrechen mit „einem" Vergehen (statt jeweils vier) als mildernd wertete, erweist sich die verhängte Freiheitsstrafe keinesfalls als überhöht.

Der Missbrauch von drei Mädchen in Verbindung mit mangelnder Schuldeinsicht erfordern darüber hinaus - dem akzentuierten gesellschaftlichen Störwert entsprechend - aus general- und spezialpräventiver Sicht den Vollzug der gesamten Freiheitsstrafe. Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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