OGH 12Os44/23x

OGH12Os44/23x22.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Mair in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 28. Februar 2023, GZ 71 Hv 139/22p‑86.3, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00044.23X.0622.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiete: Suchtgiftdelikte, Unionsrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Über die Berufung hat das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 28. Dezember 2019 in W* in einverständlichem Zusammenwirken mit * T* vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) um das Fünfundzwanzigfache übersteigenden Menge, nämlich 13 Kilogramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinsubstanzgehalt von zumindest 67,63 % Cocain (8.791,9 Gramm Cocain), an im Ersturteil genannte Personen zu überlassen versucht.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 3, 5, 5a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.

[4] Der Erledigung der Verfahrensrüge (Z 3) ist voranzustellen, dass das Erstgericht seine Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (ausschließlich) auf den Inhalt von Chatprotokollen (Text- und Sprachnachrichten sowie Lichtbilder) stützte. Diese wurden von einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe, bestehend aus französischen, belgischen und niederländischen Behörden, vom Server des Krypto‑Messengerdienstes „S*“ sichergestellt. Die Daten wurden der Staatsanwaltschaft Wien in Entsprechung einer Europäischen Ermittlungsanordnung (ON 4) zugänglich gemacht (US 6 f).

[5] Wie der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit Krypto‑Messengerdiensten bereits ausgesprochen hat, fällt eine Ermittlungsmaßnahme ausländischer Behörden, die innerstaatlich nach dem fünften Abschnitt des achten Hauptstücks der StPO zu beurteilen wäre, nicht unter das – vom taxativen Nichtigkeitsgrund der Z 3 abgesicherte – Beweisverwendungsverbot nach § 140 Abs 1 StPO. Denn die inländischen Verfahrensgesetze beziehen sich nicht auf – wie hier – ohne Veranlassung durch österreichische Strafverfolgungsorgane entfaltete Tätigkeiten ausländischer Behörden (vgl RIS‑Justiz RS0119110; jüngst 14 Os 106/22b mwN, 15 Os 11/22i).

[6] Der Einwand, die Kommunikationsdaten hätten wegen Verletzung des § 56b EU‑JZG nicht verlesen werden dürfen, kann schon deshalb auf sich beruhen, weil die genannte Bestimmung keine ausdrückliche – für die Anwendung des § 281 Abs 1 Z 3 StPO aber erforderliche (vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.80 mwN) – Nichtigkeitssanktion vorsieht. Insoweit schlägt auch die Berufung auf die (im Übrigen nicht unmittelbar anwendbare) Vorschrift des Art 4 lit a der Richtlinie zur Europäischen Ermittlungsanordnung (2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates) fehl.

[7] Bleibt anzumerken, dass eine gegen die in Rede stehende Beweisverwendung gerichtete, zur Anfechtung aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO legitimierende (dem Obersten Gerichtshof eine Prüfung in Richtung Art 6 MRK ermöglichende) Antragstellung nicht erfolgt ist. Der Akteninhalt wurde im Übrigen einverständlich (§ 252 Abs 2a StPO) vorgetragen (ON 86.2 S 10).

[8] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) spielt es für die Tatbeurteilung keine Rolle, ob der Angeklagte einen gemeinsamen Tatentschluss mit seinem Mittäter fasste. Das Erstgericht musste sich daher nicht mit den behaupteten, diesen Annahmen angeblich entgegenstehenden Beweisergebnissen befassen.

[9] Die weitere Beschwerde (Z 5 vierter Fall) übersieht, dass der Schluss aus dem äußeren Geschehen auf die innere Ausrichtung des Angeklagten unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist (vgl RIS‑Justiz RS0098671).

[10] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) die Mittäterschaft mit * T* in Abrede stellt und die vorliegenden Chatprotokolle eigenständig dahin würdigt, dass der Angeklagte in eine Falle gelockt worden sei, weckt sie keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.

[11] Die pauschale Behauptung der Subsumtionsrüge (Z 10), das konstatierte (US 4) Treffen mit den Suchtgiftabnehmern am vereinbarten Übergabeort (wobei der Angeklagte und sein Mittäter bereits aus dem Pkw stiegen, um die Übergabe durchzuführen), stelle noch keine ausführungsnahe Handlung im Sinn des § 15 Abs 2 StGB dar (vgl aber RIS‑Justiz RS0119084 [T3]: zeitlich und örtlich sofort realisierbare Einräumung von Verfügungsmacht), bleibt ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz (vgl RIS‑Justiz RS0128393).

[12] Der Einwand der Sanktionsrüge (Z 11), das Erstgericht hätte den Erschwerungsgrund des raschen Rückfalls in Bezug auf das Vor-Urteil (§ 31 StGB) des Grundgerichts Belgrad vom 28. Oktober 2020, Zahl CPK‑90/20, angenommen, trifft angesichts der weiteren – vor dem gegenständlichen Tatzeitpunkt – liegenden Vorverurteilungen des Angeklagten (vgl US 4) nicht zu.

[13] Soweit der Beschwerdeführer die Berücksichtigung von Milderungsgründen der erwähnten Vorverurteilung für sich reklamiert, erstattet er bloß ein Berufungsvorbringen.

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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