OGH 12Os4/04

OGH12Os4/0411.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Helmut S***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, AZ 74 Hv 100/02s des Landesgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 10. Juli 2003, AZ 7 Bs 241/03 (= ON 25), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 74 Hv 100/02s des Landesgerichtes Innsbruck verletzt der im Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 10. Juli 2003, AZ 7 Bs 241/03 (= ON 25), enthaltene Ausspruch, wonach der Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerrufsbeschluss Folge gegeben, dieser Beschluss aufgehoben, vom Widerruf abgesehen und die Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre verlängert werde, das Gesetz in der Bestimmung des § 498 Abs 3 StPO iVm § 489 Abs 1 (§ 467 Abs 3, § 470 Z 1) StPO.

Text

Gründe:

Das Landesgericht Innsbruck verhängte mit Urteil vom 8. Februar 2002, AZ 37 Hv 1069/01t, über Helmut S***** wegen der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen, wobei die Hälfte dieser Strafe gemäß § 43a Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 5. Mai 2003, GZ 74 Hv 100/02s-14, wurde Helmut S***** neuerlich des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe in der Höhe von 240 Tagessätzen verurteilt. Unter einem wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die im vorangeführten Verfahren gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung meldeten der Verteidiger "volle Berufung" und der Staatsanwalt Strafberufung an (AS 97, 99). Die Anklagebehörde zog die angemeldete Berufung am 5. Juni 2003 zurück (ON 16). Der Angeklagte führte die Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld fristgerecht aus (ON 17) und zog in der Berufungsverhandlung vom 10. Juli 2003 die Strafberufung zurück (AS 151), sodass nur mehr über dessen Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über Schuld zu entscheiden war. Eine Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss hatte der Angeklagte weder angemeldet noch ausgeführt. Mit Urteil vom 10. Juli 2003, AZ 7 Bs 241/03 (= ON 25) gab das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht der Berufung keine Folge, hob jedoch gleichzeitig in Stattgebung der "Beschwerde" gegen den Widerrufsbeschluss "den angefochtenen Beschluss auf, sah vom Widerruf ab und verlängerte die Probezeit gemäß § 494a Abs 6 StPO auf fünf Jahre".

Rechtliche Beurteilung

Diese Beschwerdeentscheidung steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die gemäß § 494a StPO gemeinsam mit dem Urteil ergangenen Beschlüsse unterliegen zwar auch ohne förmliche Anfechtung im Wege der sogenannten implizierten Beschwerde der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht. Der durch das StPÄG 1993 (BGBl 1993/526) eingefügten Bestimmung des § 498 Abs 3 dritter Satz StPO zufolge ist nämlich eine zu Gunsten des Angeklagten ergriffene Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe auch als Beschwerde gegen den (damit verbundenen) Beschluss nach §§ 494 und 494a StPO zu betrachten. Das Berufungsgericht kann demzufolge einen unangefochten gebliebenen Beschluss auch dann überprüfen, wenn der gegen den Strafausspruch der Anlassverurteilung eingebrachten Berufung nicht Folge gegeben wird. Unabdingbare Voraussetzung der Entscheidungskompetenz ist allerdings das Vorliegen einer den inhaltlichen Erfordernissen einer Bekämpfung des Strafausspruchs entsprechenden Anfechtungserklärung. Eine unzulässige Berufung, die gemäß § 489 Abs 1, § 470 Z 1 StPO schon in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen werden kann, ist nicht im Sinne des § 498 Abs 3 dritter Satz StPO "ergriffen"; die Beschwerdeimplikation tritt in diesem Fall nicht ein (SSt 62/13). Dies gilt umso mehr für den Fall der Zurückziehung einer Strafberufung, und zwar auch dann, wenn im Verfahren vor den Bezirksgerichten oder dem Einzelrichter die zu Gunsten des Angeklagten ergriffene Berufung wegen Nichtigkeit und/oder Schuld aufrecht bleibt. Der Verzicht auf die Bekämpfung des Sanktionsausspruches bewirkt nämlich auch die Ausschaltung der Fiktion des § 467 Abs 3 StPO, wonach eine zu Gunsten des Angeklagten ergriffene Berufung wegen Nichtigkeit und/oder Schuld auch als Berufung gegen den Strafausspruch zu betrachten ist (Jerabek, WK-StPO § 498 Rz 6 mwN). Da der Angeklagte eine Beschwerde nicht erhoben und die angemeldete Strafberufung zurückgezogen hat, war das Berufungsgericht zur Überprüfung des Widerrufsbeschlusses nicht befugt.

Da die Beschwerdeentscheidung dem Angeklagten jedoch nicht zum Nachteil gereicht, war die Gesetzesverletzung lediglich festzustellen (§ 292 vorl. Satz StPO).

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