OGH 12Os190/10y

OGH12Os190/10y25.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Jänner 2011 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten U***** und K***** sowie der Staatsanwaltschaft und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 18. Februar 2010, GZ 16 Hv 49/09p-75, sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den unter einem gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, der Angeklagten A*****, U***** und K***** sowie ihrer Verteidiger Mag. Zwanzger, Dr. P. Gradischnig und Dr. H. Gradischnig

I./ zu Recht erkannt:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem den Angeklagten A***** betreffenden Strafausspruch ebenso wie demzufolge auch der Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

A***** wird für die ihm zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und die Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, unter Anwendung des § 28 StGB und des § 5 Z 4 JGG sowie der §§ 31 und 40 StGB durch Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 6. Mai 2010, AZ 5 U 49/10f, zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt.

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten U***** und K***** werden verworfen.

Mit ihrer Berufung und der Beschwerde betreffend A***** wird die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

In Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft wird U***** zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten und K***** zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

Gemäß § 43 Abs 1 StGB werden die über U***** und K***** verhängten Freiheitsstrafen jeweils unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II./ den Beschluss gefasst:

 

Spruch:

Die bedingte Nachsicht der über A***** mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. April 2008, AZ 16 Hv 65/07p, verhängten Freiheitsstrafe wird widerrufen.

Mit ihrer Beschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten jeweils des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I./), A***** darüber hinaus der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./1./ und 2./a./ bis c./) schuldig erkannt.

Danach haben

I./ A*****, U***** und K***** am 23. Juni 2006 in Villach im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter J***** durch Versetzen von wuchtigen Faustschlägen und Fußtritten gegen den Kopf und den Oberkörper absichtlich eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zugefügt, nämlich ein Schädel-Hirn-Trauma mit Bruch des linken Schläfenbeins, mehrfache Kontusionsblutungen im Bereich des rechten Schläfenlappens mit zusätzlicher Einblutung zwischen harter Hirnhaut und Spinnewebenhaut beidseitig temporal und im Bereich des Kleinhirnzeltes und einen verschobenen Nasenbeinbruch;

II./ A***** in Klagenfurt andere Personen vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1./ am 2. Mai 2008 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem namentlich unbekannten Komplizen N***** durch Versetzen von Schlägen und durch Zubodenstoßen (Prellungen im Bereich des Schädels und des Brustkorbs, Hautabschürfungen, Verletzung eines Zahns);

2./ am 12. April 2008 als Alleintäter

a./ A***** durch mehrere Faustschläge gegen das Gesicht sowie durch einen Fußtritt (Prellungen im Kopf- und im Fußbereich);

b./ A***** durch einen Schlag gegen das Gesicht (Prellung der Nase);

c./ E***** durch einen Schlag mit einem Gürtel gegen das Gesicht (Schwellung am Auge).

A***** wurde nach § 87 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. April 2008, AZ 16 Hv 65/07p, zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a und Z 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten U***** und K***** und die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gegründete Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft in ihrer den Angeklagten A***** betreffenden Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) auf, dass bei der Strafbemessung zu Unrecht auf das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. April 2008, AZ 16 Hv 65/07p, Bedacht genommen wurde. Denn die dem Schuldspruch II./1./ zugrunde liegende, nach diesem Urteil begangene Tat vom 2. Mai 2008 steht einer solchen Vorgangsweise entgegen. Ist nämlich im neuen Urteil über Taten zu entscheiden, die teils vor Fällung des früheren Urteils, teils danach begangen wurden, so entfällt eine Bedachtnahme auf das erste Urteil (vgl Ratz in WK² § 31 Rz 2; Fabrizy, StGB10 § 31 Rz 10a).

Den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten U***** und K***** kommt hingegen keine Berechtigung zu:

Das Vorbringen der Tatsachenrügen (Z 5a) ignoriert den Anfechtungsrahmen dieses Nichtigkeitsgrundes, dessen Wesen und Ziel es ist, anhand aktenkundiger Umstände unter Beachtung sämtlicher Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen. Eine den Anspruch auf Urteilswahrheit im Tatsachenbereich garantierende Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im Einzelrichterverfahren vorgesehenen Schuldberufung lässt dieser formelle Nichtigkeitsgrund nicht zu. Indem bloß eigene Beweiswerterwägungen jenen der Tatrichter entgegengesetzt werden, beziehen sich die Rechtsmittelwerber nicht auf die Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5a StPO. Gerade dies unternehmen die Beschwerdeführer jedoch, wenn sie die den Schuldspruch tragenden (disloziert) getroffenen und mit den Angaben der vernommenen Zeugen und Angeklagten begründeten Urteilsfeststellungen, wonach sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter gehandelt haben, mit der Behauptung mangelnder Kausalität der jeweiligen eigenen Handlung für den eingetretenen Erfolg bekämpfen. Angesichts der unbedenklichen Annahme der unmittelbare Täterschaft begründenden, vom gemeinsamen Vorsatz getragenen Ausführungshandlungen (US 6, US 14 und US 17) stellt die konkrete zeitliche Abfolge der Einwirkungen auf das Tatopfer keine schuld- oder subsumtionsrelevante Tatsache dar (vgl Kienapfel/Höpfel AT13 E 3 Rz 13; Fabrizy in WK² § 12 Rz 26).

Die Subsumtionsrügen (Z 10) orientieren sich nicht an den Urteilsannahmen zu einem mittäterschaftlichen Vorgehen und zur Absicht, das Tatopfer dadurch schwer zu verletzen (vgl wiederum US 6, 14 und 17) und verfehlen damit die Kriterien des jeweils geltend gemachten materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 593).

Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten U***** und K***** waren somit zu verwerfen.

Demnach waren das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im den Angeklagten A***** betreffenden Strafausspruch und demzufolge auch der Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO aufzuheben und insoweit gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst zu erkennen.

Bei der erforderlichen Neubemessung der Strafe bei A***** waren als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit mehreren Vergehen, die einschlägige Vorverurteilung, der überaus rasche Rückfall nur 13 Tage nach einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzungen, die Tatbegehung während zweier anhängiger Strafverfahren (AZ 16 Hv 49/09p des Landesgerichts Klagenfurt hinsichtlich der Schuldsprüche II./1./ und 2./ sowie der dem Bedachtnahmeurteil des Bezirksgerichts Villach vom 6. Mai 2010, AZ 5 U 49/10f, zugrunde liegende Körperverletzung vom 20. Dezember 2009; AZ 16 Hv 65/07p des Landesgerichts Klagenfurt hinsichtlich der Schuldsprüche II./2./) und die besonders brutale Vorgangsweise gegenüber dem bereits hilflos am Boden liegenden J***** (Schuldspruch I./), als mildernd hingegen das umfassende und reumütige Geständnis zu werten.

In Anbetracht dieser Strafzumessungsgründe war nach § 87 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 28 StGB und § 5 Z 4 JGG sowie unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 6. Mai 2010, AZ 5 U 49/10f (Verurteilung wegen § 83 Abs 1 StGB - Tatzeit 20. Dezember 2009 - zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen á 4 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe), gemäß §§ 31 und 40 StGB mit Blick auf das Unrecht der Taten, vor allem die gravierenden - vom Erstgericht obgleich festgestellter Mitkausalität (vgl trotz der Einschränkung in US 6 dazu die Konstatierungen zu einer [mit-]ursächlichen Verbindung in US 15 iVm US 12, 13; siehe dazu grundlegend Kienapfel/Höpfel AT13 Z 10 Rz 5; Sst 61/1) nicht § 87 Abs 2 erster Fall StGB unterstellten (was wiederum von der Staatsanwaltschaft unbekämpft blieb) - Dauerfolgen der Tat (Hirnleistungsstörungen im Sinne eines hirnorganischen Psychosyndroms mit 50 % Invalidität; posttraumatische Epilepsie; vgl S 235 ff in ON 51 und S 216 in ON 74), und die durch eine bis Mitte 2008 besonders ausgeprägte Aggressionstendenz gekennzeichnete Schuld des Angeklagten A***** eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten auszumessen. Dabei wurde die nicht vom Angeklagten oder seinem Verteidiger zu vertretende überlange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) berücksichtigt und an Stelle der um sich zu verhängenden schuldangemessenen Strafe von zwei Jahren zum Ausgleich der Konventionswidrigkeit (Art 6 Abs 1 MRK) eine um drei Monate geringer bemessene Sanktion festgesetzt (vgl 14 Os 15/09a).

A***** wurde mit dem am 25. April 2008 zu AZ 16 Hv 65/07p verkündeten Urteil des Landesgerichts Klagenfurt wegen des (fünf Aggressionstaten im Zeitraum 1. Oktober 2006 bis 8. September 2007 umfassenden) Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 3 StGB schuldig erkannt und zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Bereits am 2. Mai 2008 wurde er neuerlich einschlägig straffällig (Punkt II./1./ des Schuldspruchs), sodass ein überaus rascher Rückfall vorliegt. Im Zusammenhalt mit dem Umstand, dass der Angeklagte darüber hinaus nicht einmal zwei Wochen vor der anstehenden Verhandlung im Verfahren AZ 16 Hv 65/07p des Landesgerichts Klagenfurt wiederum mehrfach Körperverletzungen (Schuldsprüche II./2./) verübte, war es trotz des Zeitablaufs spezialpräventiv geboten, zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe auch mit dem Widerruf der im Vorurteil gewährten bedingten Strafnachsicht vorzugehen, um der ausgeprägten Aggressionstendenz dieses Angeklagten deutlich entgegenzuwirken.

Mit der diesen Angeklagten betreffenden Berufung und ihrer Beschwerde war die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung und die Widerrufsentscheidung zu verweisen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft betreffend die Angeklagten U***** und K***** kommt ebenfalls Berechtigung zu.

Das Erstgericht verhängte über U***** und über K***** jeweils eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, welche gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Sowohl bei U***** als auch bei K***** wertete das Schöffengericht als erschwerend keinen Umstand, als mildernd hingegen das teilweise Geständnis und den bisher ordentlichen Lebenswandel.

Zutreffend zeigt die Anklagebehörde auf, dass hinsichtlich U***** und K***** die besondere Brutalität der Vorgangsweise, insbesondere das Eintreten auf den bereits hilflos am Boden liegenden J***** zusätzlich als erschwerend zu werten war. Mit Blick auf das bereits dargestellte besonders hohe Erfolgsunrecht der von den beiden Angeklagten verwirklichten Tat war daher eine Anhebung der Freiheitsstrafe auf jeweils 15 Monate geboten. Auch bei diesen beiden Angeklagten war die nicht von ihnen oder ihren Verteidigern zu vertretende überlange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) zu berücksichtigen und an Stelle der an sich zu verhängenden schuldangemessenen Strafe von jweils 18 Monaten zum Ausgleich der Konventionswidrigkeit (Art 6 Abs 1 MRK) eine um je drei Monate geringer bemessene Freiheitsstrafe festzusetzen.

Die von der Staatsanwaltschaft nicht angefochtene bedingte Strafnachsicht war schon mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus dem Ersturteil zu übernehmen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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