Spruch:
In beim Jugendgerichtshof Wien gegen Siegfried H***** anhängig gewesenen Strafverfahren verletzen das Gesetz:
1. der Beschluß vom 6. März 1989, GZ 17 a U 61/89-26, mit welchem die Siegfried H***** im Verfahren AZ 20 a U 616/86 gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen wurde, in der Bestimmung des § 494a Abs 2 letzter Satz und Abs 3 StPO;
2. das Urteil vom 17. April 1997, GZ 2 E Vr 190/97-54, in der Bestimmung des § 198 Abs 2 StGB.
Der erstbezeichnete Beschluß wird ebenso aufgehoben wie das Urteil laut Pkt 2, das im übrigen unberührt bleibt, in der Unterstellung der Tat (auch) unter § 198 Abs 2 StGB und im Strafausspruch.
Der Antrag des Bezirksanwalts vom 6. März 1989 auf Widerruf der im Verfahren 20 a U 616/86 dieses Gerichtes gewährten bedingten Strafnachsicht (S 87 verso in AZ 17 a U 61/89 des Jugendgerichtshofes Wien) wird abgewiesen.
Dem Jugendgerichtshof Wien wird im Verfahren AZ 2 E Vr 190/97 die neuerliche Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit Abwesenheitsurteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 29. Dezember 1986, GZ 20 a U 616/86-4, wurde über Siegfried H***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB eine gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt.
Der Genannte wurde mit Abwesenheitsurteil desselben Gerichtes vom 6. März 1989, GZ 17 a U 61/89-25, neuerlich des Vergehens nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem (§ 494a Abs 4 StPO) faßte der Jugendgerichtshof Wien (noch) in Abwesenheit des (erst knapp nach Schluß der Verhandlung erschienenen) Siegfried H***** über Antrag des Bezirksanwaltes (S 87 verso) den - in Rechtskraft erwachsenen - Beschluß auf Widerruf der mit dem erstgenannten Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht (ON 26).
Gemäß Entschließung des Bundespräsidenten (Erlaß des BMfJ Zl. 4718/100-IV 5/90; "Weihnachtsbegnadigung 1990") wurde Siegfried H***** per 18. Dezember 1990 aus der erst an diesem Tage (im Anschluß an den Vollzug der erwähnten zweimonatigen Strafe) angetretenen dreimonatigen Freiheitsstrafe zu AZ 20 a U 616/86 des Jugendgerichtshofes Wien mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht (§ 43 StGB) unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit bedingt entlassen (S 67; letzte - nicht journalisierte - Seite in AZ 20 a U 616/86 des Jugendgerichtshofes Wien).
Aus Anlaß einer weiteren Verurteilung des Siegfried H***** wegen des zum Teil während dieser zweijährigen Probezeit begangenen Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 und Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten wurde durch den Jugendgerichtshof Wien am 17. April 1997, GZ 2 E Vr 190/97-54, gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die mit Wirkung vom 18. Dezember 1990 gewährte bedingte Begnadigung widerrufen.
Mit Beschluß vom 14. April 1998 (ON 74) wurden die neunmonatige Freiheitsstrafe und der Rest der mit Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 29. Dezember 1986, GZ 20 a U 616/86-4, ausgesprochenen dreimonatigen Freiheitsstrafe im Wege nachträglicher Strafmilderung (§ 31a StGB) gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 6. März 1989, GZ 17 a U 61/89-26, auf Widerruf der im Verfahren AZ 20 a U 616/86 gewährten bedingten Strafnachsicht und das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 17. April 1997, GZ 2 E Vr 190/97-54, stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 494a Abs 3 StPO hat das Gericht vor der Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) den Angeklagten zu hören.
Infolge Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in Abwesenheit des (nach der Aktenlage nie zur Äußerung zum Widerruf aufgeforderten) Beschuldigten (§ 459 StPO) ist dessen Anhörung unterblieben, sodaß das Erstgericht eine Entscheidung nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO nicht treffen durfte. Es hätte vielmehr in analoger Anwendung des § 494a Abs 2 letzter Satz StPO aussprechen müssen, daß die Entscheidung über den Widerruf dem Gericht vorbehalten bleibt, welchem sonst die Entscheidung zukäme (Foregger/Kodek StPO7 Erl IV zu § 494a; für Unterbleiben des Widerrufs ohne förmlichen Vorbehaltsbeschluß: SSt 60/17).
Die gemäß § 292 letzter Satz StPO vorzunehmende Aufhebung des Widerrufsbeschlusses bewirkt auch die Gegenstandslosigkeit aller darauf beruhenden weiteren Beschlüsse, Anordnungen und Verfügungen, insbesondere des Widerrufsbeschlusses des Jugendgerichtshofes Wien vom 17. April 1997, GZ 2 E Vr 190/97-54.
Eine Entscheidung nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO durch den Jugendgerichtshof im Verfahren AZ 20 a U 616/86 kommt nicht mehr in Betracht (§ 56 StGB); dieses Gericht wird sohin über die endgültige Nachsicht der dreimonatigen Freiheitsstrafe zu entscheiden haben (§ 43 Abs 2 StGB).
Die im Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 17. April 1997, GZ 2 E Vr 190/97-54, angenommenen - nach § 198 Abs 2 StGB qualifikationsbegründenden - Voraussetzungen des § 39 StGB lagen darüber hinaus schon deshalb nicht vor, weil der bis dahin erst zweimal wegen einschlägiger Delikte zu Freiheitsstrafen verurteilte Siegfried H***** infolge bedingter Begnadigung am Tage des Antritts der mit dem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 29. Dezember 1996, GZ 20 a U 616/86-4, ausgesprochenen dreimonatigen Freiheitsstrafe nur einen die gesetzliche Mindestdauer (§ 18 Abs 2 StGB) nicht erreichenden Teil verbüßte (S 67 in AZ 20 a U 616/86). Dieser teilweise Vollzug konnte daher nicht als - im Sinne einer Freiheitsstrafe erlittenes - Strafübel empfunden werden und demnach einen Rückfall nicht begründen (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 39 E 9; Leukauf/Steininger Komm3 § 39 RN 5).
Die gesetzwidrige Annahme der (laut Aktenlage allein in Betracht kommenden) Qualifikation nach dem ersten Fall des § 198 Abs 2 StGB wirkte sich gleichfalls zum Nachteil des Verurteilten aus.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO war demnach spruchgemäß mit (Teil-)Kassierung der bekämpften erstinstanzlichen Entscheidungen vorzugehen und dem Erstgericht zu AZ 2 E Vr 190/97 die partielle Erneuerung des Verfahrens aufzutragen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).
Der Jugendgerichtshof Wien wird dabei zu beachten haben, daß Siegfried H***** im erneuerten Verfahren im Vergleich zur Ausgangslage vor dieser Entscheidung nicht schlechter gestellt werden darf (wegen zuletzt umfassender bedingter Strafnachsicht scheidet unbedingte Freiheitsstrafe im neuen Rechtsgang aus). Im übrigen wird das Strafregisteramt von den gegenständlichen Maßnahmen und deren Auswirkungen (unter anderem auf den zitierten Beschluß auf nachträgliche Strafmilderung) zu verständigen sein.
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