OGH 12Os156/97

OGH12Os156/974.12.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Dezember 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic, Dr.Holzweber und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Grems als Schriftführer, in der Strafsache gegen Sener S***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 2.September 1997, AZ 23 Bs 340/97, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kirchbacher, und des Verteidigers Dr.Weselik, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 2.September 1997, AZ 23 Bs 340/97 (= GZ 31 Vr 428/97-54 des Landesgerichtes Wiener Neustadt), mit dem der Beschwerde des Sener S***** Folge gegeben, der angefochtene Beschluß der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 18.August 1997 auf Fortsetzung der Untersuchungshaft aufgehoben und die Enthaftung des Beschuldigten angeordnet wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 181 Abs 6 StPO.

Text

Gründe:

Mit Beschluß der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 1.April 1997, GZ 31 Vr 428/97-5, wurde über Sener S***** wegen des Verdachtes des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen aus den Gründen der Flucht-, Verdunkelungs-, Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1, 2, 3 lit b und d StPO) die (in der Folge mehrfach verlängerte) Untersuchungshaft verhängt. Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5.Juni 1997 (ON 38) wurde der Haftbeschwerde des Beschuldigten nicht Folge gegeben und die Dauer der Untersuchungshaft bis längstens 5.August 1997 für wirksam erklärt. Nach Schließung der Voruntersuchung am 3.Juli 1997 gemäß § 112 StPO brachte die Staatsanwaltschaft am 9.Juli 1997 beim Landesgericht Wiener Neustadt einen Strafantrag gegen den Beschuldigten ein. Mit Verfügung vom 11.Juli 1997 beraumte der Einzelrichter die Hauptverhandlung für den 30.Juli 1997 an, in der der Staatsanwalt den Verfolgungsantrag auf das Verbrechen des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall StGB ausdehnte (365 f). Darauf sprach der Einzelrichter seine Unzuständigkeit aus (§ 488 Z 6 StPO); dieses Urteil erwuchs am 5.August 1997 in Rechtskraft. Am selben Tag wurde der Akt der Staatsanwaltschaft zur weiteren Antragstellung übermittelt. Nachdem die Staatsanwaltschaft am 13.August 1997 die Anklageschrift vom 7.August 1997 eingebracht hatte, faßte die Untersuchungsrichterin am 18.August 1997 nach Durchführung einer Haftverhandlung den bis längstens 18.September wirksamen Beschluß auf Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Gründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1, 3 lit b und c StPO - ON 51).

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 2.September 1997, AZ 23 Bs 340/97 (= GZ 31 Vr 428/97-54), Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und verfügte die Enthaftung des Beschuldigten.

Diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien steht nach Ansicht des Generalprokurators aus folgenden Erwägungen mit dem Gesetz nicht in Einklang:

Erachtet sich der Einzelrichter für unzuständig, weil die dem Strafantrag zugrundeliegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen die Zuständigkeit des Geschworenen- oder Schöffengerichtes begründen, so spricht er mit Urteil seine Unzuständigkeit aus. Sobald dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, hat der Ankläger binnen 14 Tagen die zur Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens erforderlichen Anträge zu stellen (§ 488 Z 6 StPO). Im Fall einer in der Hauptverhandlung erfolgten Ausdehnung des Strafantrages auf Sachverhalte, welche im Zusammenhang mit den bislang inkriminierten strafbaren Handlungen die Zuständigkeit des Schöffengerichts bedingen, hat der Ankläger in einer iSd § 488 Z 6 StPO zweckentsprechenden Strafverfolgung - allenfalls nach zusätzlichen von ihm zu beantragenden Vorerhebungen oder einer Voruntersuchung - eine Anklageschrift einzubringen. Mit dieser (neuen) Anklageschrift ist sodann in sinngemäßer Anwendung des § 227 Abs 2 StPO nach Vorschrift des XVI.Hauptstücks vorzugehen. Befindet sich der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Fällung des Unzuständigkeitsurteils in Untersuchungshaft, so wirkt sich diese geänderte Verfahrenssituation allerdings auch auf das Haftfristensystem des § 181 StPO aus:

Nach § 181 Abs 6 StPO ist zwar die Wirksamkeit des zuletzt ergangenen Beschlusses auf Fortsetzung der Untersuchungshaft ab Beginn der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht mehr begrenzt. Dessen ungeachtet beendet die Fällung eines Unzuständigkeitsurteils (hier des Einzelrichters) die Hauptverhandlung ohne Fortsetzungsmöglichkeit, liegt es doch nach Rechtskraft dieser Entscheidung beim Ankläger, entweder den Strafantrag gegen eine Anklageschrift auszutauschen oder zugleich mit der Wiedereröffnung der Voruntersuchung zusätzliche Erhebungen zu begehren (§§ 261 Abs 2 StPO; 488 Z 6 StPO iVm § 180 Abs 1 StPO. Da sich somit das künftige Verfahrensgeschehen nach der Fällung des Unzuständig- keitsurteils zeitlich (anders als bei der Vertagung der Hauptverhandlung und Fortsetzung innerhalb der Zweimonatefrist des § 276 a StPO) nicht eingrenzen läßt, wird die Strafsache in jenes Stadium der Ermittlungen zurückversetzt, welches zumindest bezüglich der Haftbefristung dem der Voruntersuchung gleichzuhalten ist. Denn selbst im Fall einer ohne weitere Erhebungen unverzüglich eingebrachten Anklageschrift besteht die Möglichkeit, daß der Gerichtshof II.Instanz nach einem Einspruch die Anklageschrift zur besseren Aufklärung des Sachverhaltes vorläufig zurückweist (§ 211 Abs 1 StPO). In dieser prozessualen Phase lebt somit die zeitliche Beschränkung der Untersuchungshaft trotz einer vorangegangenen Hauptverhandlung wieder auf, weshalb - entgegen der auf einen neu beginnenden Fristenlauf abstellenden Rechtsansicht der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wiener Neustadt (AS 3 h) - die Begrenzung der Wirksamkeit des zuletzt ergangenen Haftbeschlusses zu beachten ist (15 Os 202/96 = ÖJZ-LSK 1997/95). Wäre diese zuletzt gesetzte Frist (etwa bei der Fortsetzung einer vertagten Hauptverhandlung) im Zeitpunkt der Fällung des Unzuständigkeitsurteiles bereits abgelaufen (oder stünde der Ablauf in Kürze bevor), so müßte das bis zum Ende des Tages der Rechtskraft des Unzuständigkeitsurteils auch für die Haftfrage zuständige (und über eine entsprechende Aktenkenntnis verfügende) erkennende Gericht unverzüglich nach Durchführung einer Haftverhandlung (falls nicht die Voraussetzungen des § 181 Abs 5 StPO vorliegen) über die Fortsetzung der Untersuchungshaft entscheiden; mit Ablauf dieses Tages (§ 6 Abs 1 1. Halbsatz StPO per analogiam) hätte sodann der Untersuchungsrichter in der Haftfrage zu entscheiden, bei dem auch die vom Ankläger sonst zu stellenden Anträge einzubringen sind (§§ 261 Abs 2, 488 Z 6 StPO iVm §§ 88 f, 91 ff, 208 Abs 1 und 484 Abs 3 2.Fall StPO).

Im vorliegenden Fall wurde die mit der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 5.Juni 1997 (ON 38), mit 5.August 1997 limitierte Haftfrist durch die am 11.Juli 1997 vom Einzelrichter verfügte Anordnung der Hauptverhandlung gemäß § 181 Abs 3 1.Satz StPO bis 11.September 1997 verlängert. Die im Zeitpunkt der Fällung des Unzuständigkeitsurteils (30.Juli 1997) aktuelle Haftfrist endete daher entgegen der Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes Wien nicht schon am 5.August 1997, sondern erst am 11.September 1997, weshalb der von der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Wiener Neustadt am 18.August 1997 gefaßte Beschluß auf Verlängerung der Untersuchungshaft rechtzeitig erfolgte. Die Aufhebung der Untersuchungshaft durch das Oberlandesgericht wegen verspäteter Entscheidung über deren Fortsetzung verletzt daher das Gesetz im § 181 Abs 3 1.Satz StPO.

Die zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtig- keitsbeschwerde ist nur im Ergebnis berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof vermag der Generalprokuratur allerdings nicht beizutreten, wenn sie darauf abstellt, daß das Verfahrensstadium nach Rechtskraft eines Unzuständigkeitsurteils durch die mangelnde Eingrenzbarkeit der weiteren Verfahrensentwicklung in zeitlicher Hinsicht (anders als bei Vertagung der Hauptverhandlung und deren Fortsetzung innerhalb der Zweimonatefrist des § 276 a StPO) determiniert und die Strafsache - wie im Fall der sogenannten Rückleitung der Akten an den Untersuchungsrichter nach § 276 StPO (vgl das Zitat des dazu ergangenen Erkenntnisses des Obersten Gerichtshofes vom 27.Dezember 1996, 15 Os 202/96) - aus diesem Grund in jenes Stadium der Ermittlungen zurückversetzt werde, das zumindest, was die Haftfristen anbelange, der Voruntersuchung gleichzuhalten sei.

Denn abgesehen davon, daß eine Begrenzung der Untersuchungshaft durch Haftfristen mit dem Beginn der Hauptverhandlung endgültig auch dann entfällt, wenn etwa die Hauptverhandlung gemäß § 276 a StPO neu durchzuführen ist oder wenn die Sache durch das Rechtsmittelgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wird (SSt 55/39), sind die von der Generalprokuratur in ihren verfahrensrechtlichen Konsequenzen für die Wirksamkeit der gesetzlich normierten Haftfristen ident beurteilten in Rede stehenden Verfahrensstadien nicht vergleichbar: Nach der zu § 193 Abs 5 StPO aF entwickelten, gefestigten und auf die geltende Rechtslage anwendbaren (Foregger/Kodek StPO7 Erl V zu § 181, Mayrhofer/Steininger GRBG 1992 § 2 Rz 129) Judikatur dient die Rückleitung der Akten an den Untersuchungsrichter (SSt 34/66) der (besseren) Aufklärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, also der gebotenen Vervollständigung jener Ergebnisse des Vorverfahrens, die die Grundlage des nunmehr - gleichgültig in welchem Ausmaß - in Zweifel gezogenen Verdachtssubstrates des der Hauptverhandlung zugrundeliegenden Verfolgungsantrages bilden. Damit tritt aber der Sache nach der gesamte Verfahrensgegenstand wieder in die Phase des - allenfalls auch eine Rückziehung des Verfolgungsantrages eröffnenden - Ermittlungsverfahrens zurück, was die Eliminierung des Beginns der Hauptverhandlung (§ 181 Abs 6 StPO) als Grundlage für den Wegfall der Begrenzung der Untersuchungshaft durch Haftfristen zur Folge hat.

Demgegenüber läßt ein Unzuständigkeitsurteil die bis dahin bestehende Verdachtsgrundlage unberührt, weil nach tatrichterlicher Überzeugung konkret in Betracht kommt, daß die Anklagetat als Delikt zu beurteilen ist, dessen Aburteilung einem Gericht höherer Ordnung zukommt. Das nach Rechtskraft dieses Urteils allenfalls eingeleitete Ermittlungsverfahren bezieht sich daher (anders als bei Rückleitung der Akten an den Untersuchungsrichter) begriffs- notwendig nicht auf den gesamten Verfahrensgegenstand, sondern läuft lediglich auf eine nähere Abklärung des die Nichtzuständigkeitserklärung auslösenden Teils des verdachtsbegründenden Tatsachensubstrates hinaus. Damit bleibt aber die schon bis dahin haftkausale qualifizierte, überdies vom zunächst erkennenden Gericht bereits geprüfte Verdachtslage und damit der Sache nach die Prämisse für den Entfall der Wirksamkeit des zuletzt ergangenen Haftbeschlusses nach § 181 Abs 6 StPO bestehen (vgl EB zur RV zum StRÄG 1970 39 BlgNR XII.GP 29 zu dem in dieser Fassung erst mit dem StVerfÄG 1983, BGBl 168, am 1.Juli 1983 in Kraft getretenen § 193 StPO, wonach es in der Regel keiner Beschränkung der Untersuchungshaft bedarf, wenn die Hauptverhandlung bereits begonnen hat, weil zu diesem Zeitpunkt bereits eine in Rechtskraft erwachsene Anklageschrift vorliegt, was bedeutet, daß der Tatverdacht ein Ausmaß erreicht hat, das eine Haft über die vorgesehenen Grenzen hinaus vertretbar erscheinen läßt).

Fallbezogen perpetuiert somit das (sachlich die Verdachtslage regelmäßig qualifizierende) Unzuständigkeitsurteil (hier:) des Einzelrichters trotz allfälliger Einleitung eines - wie bereits ausgeführt - auf über den bisherigen Anklagevorwurf hinausgehende Umstände beschränkten Ermittlungsverfahrens, in dem die Interessen des Beschuldigten (Angeklagten) - weiterhin - durch dessen jederzeit mögliche, jeweils eine Haftverhandlung auslösende Enthaftungsanträge und durch das Regulativ der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (§ 193 Abs 2 StPO) gewahrt werden, den Wegfall der Wirksamkeit der Befristung des zuletzt ergangenen Beschlusses auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft ab Beginn der Hauptverhandlung und den Entfall der Haftverhandlungen von Amts wegen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

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