European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00145.23Z.1215.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
* N* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Wien die vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 19. Oktober 2023 über den Beschwerdeführer verhängte (ON 307.3; ON 308) Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO fort (ON 403.3).
[2] Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts ist * N* dringend verdächtig, er habe
A. im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) in einem noch näher festzustellenden arbeitsteiligen Zusammenwirken mit * B*, * G*, * P* (vormals Z*) und * O*, wobei der Zusammenschluss der Beschuldigten auf mehrere Wochen (insbesondere BS 16) angelegt und darauf ausgerichtet war, dass von einem oder mehreren Mitgliedern schwere Betrügereien ausgeführt werden, im Zeitraum von Dezember 2017 bis 11. Februar 2018 in L* mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder Dritte unrechtmäßig zu bereichern, andere durch Täuschung über Tatsachen, nämlich darüber, dass die von den Geschädigten einbezahlten Beträge in Kryptowährungen (Bitcoin und Ethereum) dem Ankauf von werthaltigen Token dienen, in zahlreichen Angriffen zu einer Handlung, und zwar zum Erwerb von wertlosen (BS 6) L* auf der Ethereum Blockchain, verleitet, wodurch mehrere hundert noch auszuforschende Opfer in dem 300.000 Euro übersteigenden Betrag von insgesamt 5.751.504 Euro am Vermögen geschädigt wurden, und zwar unter anderem
1. * F* mit rund 24.000 CHF,
2. S* D* mit rund 10.280 CHF,
3. P* D* mit rund 16.000 CHF;
B. die unter Punkt A. dargelegte kriminelle Vereinigung gegründet oder sich an ihr als Mitglied beteiligt.
[3] Diese Handlungen subsumierte das Beschwerdegericht dem Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (A.) und dem Vergehen der kriminiellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB (B.; BS 4).
Rechtliche Beurteilung
[4] Mit seiner fristgerechten Grundrechtsbeschwerde bekämpft der Beschwerdeführer allein die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO.
[5] Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerde-verfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme von Haftgründen nach § 173 Abs 2 StPO nur dahin, ob sie aus den im angefochtenen Beschluss angeführten bestimmten Tatsachen (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO) abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich, demnach als nicht oder als offenbar unzureichend begründet, angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806, RS0118185; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 49).
[6] „Bestimmt“ sind die Tatsachen, wenn sie sich aus dem konkreten Einzelfall ergeben; es darf sich nicht bloß um allgemeine Erfahrungssätze handeln (RIS-Justiz RS0118185 [T3]; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 28).
[7] Vorliegend hat das Beschwerdegericht die Annahme von Tatbegehungsgefahr auf das professionelle Agieren und den hohen „unternehmerischen Planungsgrad“ der Tätergruppe rund um den Beschwerdeführer, dessen „technische Kenntnisse“, „strategisches Geschick“ und langjährige Erfahrung mit Kryptowährungen und „Blockchain Technologie“, die aus der Anzahl der Opfer und dem binnen weniger Wochen herbeigeführten Schaden von über 5 Mio Euro abgeleitete hohe kriminelle Energie (vgl zu Berücksichtigung von Charaktereigenschaften und Wesenszügen des Beschuldigten 11 Os 31/08f, EvBl 2008/90, 455; 12 Os 7/10m; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 28) und die Gründung der auf „ICO [initial coin offering] Investment Reviews“ spezialisierten Bl* gemeinsam mit einem weiteren („soweit feststellbar“) im August 2021 nach Bali verzogenen Beschuldigten unmittelbar nach Ende des Tatzeitraums im Februar 2018 gestützt (BS 15 bis 17). Aufgrund letzteren Umstands und der in Relation zum Einkommen aus der Tat geringen (legalen) Einkünfte aus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit verneinte das Oberlandesgericht trotz des mehr als fünf Jahre zurückliegenden Tatzeitraums eine Verminderung der Tatbegehungsgefahr aufgrund geänderter Verhältnisse (§ 173 Abs 3 letzter Satz StPO; BS 16 f).
[8] Willkür bei der (rechtlichen) Annahme des herangezogenen Haftgrundes zeigt die Grundrechtsbeschwerde, die den Erwägungen des Beschwerdegerichts bloß eigene Schlüsse aus dem längeren Zurückliegen des Tatzeitraums und der aktuellen Lebenssituation des Beschwerdeführers entgegenstellt und behauptet, der Haftgrund könnte allein derch – dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmende (weitere) – Straftaten des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Bl* „ausreichende Gewichtung erhalten“, nicht auf. Im Übrigen geht aus dem bekämpften Beschluss – dem weiteren Vorbringen zuwider – nicht hervor, dass das Oberlandesgericht dem Beschwerdeführer „strafrechtlich relevantes Tun seit Februar 2018“ anlastet.
[9] Das Unterbleiben der Erwägung einzelner aus Sicht des Beschwerdeführers allenfalls erörterungsbedürftiger Umstände, konkret des Bestehens einer mehrjährigen Lebensgemeinschaft und einer dadurch gefestigten Lebenssituation und der viele Jahre zurückliegenden „Aktivität“ der Bl*, kann nicht als Grundrechtsverletzung vorgeworfen werden (RIS-Justiz RS0117806 [T28]).
[10] Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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