OGH 12Os134/10p

OGH12Os134/10p11.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen R***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 7. April 2010, GZ 35 Hv 31/09s-50, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, im zweiten Rechtsgang gefällten Urteil wurde R***** des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 10. Oktober 2008 in D***** den J***** dadurch, dass er ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte, ihn zu Boden stieß und auf ihn mit den Füßen eintrat, wodurch dieser einen Nasenbeinbruch verbunden mit einer Bewusstlosigkeit erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat den Tod des J***** zur Folge hatte, weil dieser Blut und Erbrochenes einatmete, sodass es zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns kam, was in weiterer Folge zu einem durch eine Lungenentzündung hervorgerufenen Herzkreislaufversagen führte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1, 5, 5a, 9 lit a und lit b sowie 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keiner Berechtigung zukommt.

Die Besetzungsrüge (Z 1), wonach eine Befangenheit der erkennenden Richter vorliegt, weil sie Entlastungsgründe nicht in Rechnung stellten und überdies - trotz fehlender Berücksichtigung eines im ersten Rechtsgang angenommenen Erschwerungsumstands - das gleiche Strafausmaß wie im aufgehobenen Urteil verhängten, geht fehl. Aus der gesetzeskonformen Erfüllung von Dienstpflichten kann eine Befangenheit iSd § 43 Abs 1 Z 3 StPO nicht abgeleitet werden (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 12). Eine dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Beweiswürdigung und die konkrete Strafzumessung können daher keine Ausgeschlossenheit bewirken.

In der Mängelrüge (Z 5) behauptet der Rechtsmittelwerber zunächst undifferenziert eine Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit und Aktenwidrigkeit, weil die Angaben des Zeugen F*****, wonach er die Annäherung des J*****, also einen Teil des den inkriminierten Tätlichkeiten vorangehenden Geschehens nicht beobachtet habe (S 49, S 57 und S 59 in ON 49), ungewürdigt geblieben seien. Der Nichtigkeitswerber verantwortet sich in diesem Zusammenhang damit, dass in dieser Phase eine (Notwehrsituation begründende) Angriffshandlung des J***** stattgefunden hätte, welche der Zeuge F***** nicht mitbekommen habe. Dieser als übergangen kritisierte (Z 5 zweiter Fall) Aussageteil bedurfte der Beschwerde zuwider keiner Erörterung, weil diese fehlende Beobachtung des Zeugen für sich allein keine entscheidungswesentliche Tatsache betrifft und auch nicht im Widerspruch zu den Angaben des Angeklagten steht. Die Tatrichter schenkten der Verantwortung des Beschwerdeführers keinen Glauben, weil sie aus der Schilderung des Zeugen, wonach er den Sachverhaltsablauf unmittelbar vor Beginn der Tätlichkeiten durch R***** mitbekam, es dabei aber seitens des (späteren) Opfers zu keinerlei Angriffshandlungen kam, dieses vielmehr die Hände „hinunterhängend“ hatte (US 8), konträr zur Position des Rechtsmittelwerbers auf das Fehlen eines von J***** gesetzten Aggressionsaktes schlossen (US 7 ff, insbesondere US 10). Dass die Begründung in diesem Punkt den Denkgesetzen oder allgemeiner Lebenserfahrung widerstreitet (Z 5 vierter Fall), wird vom Nichtigkeitswerber gar nicht behauptet.

Die Ausführungen im Urteil über eine „direkte“ Nachbarschaft zwischen dem Angeklagten und F***** betreffen keinen entscheidungswesentlichen Umstand. Die darauf abzielende Kritik einer mangelnden Begründung (mit der darauf hingewiesen wird, dass J***** auch ohne Betreten des Grundstücks des Angeklagten nach Hause gehen hätte können) geht daher ins Leere. Dass es zwischen J***** und dem Beschwerdeführer wegen des Betretens und Querens des vom Rechtsmittelwerber gepachteten Grundstücks bereits wiederholt zu Auseinandersetzungen gekommen war, stellte hingegen das Erstgericht ohnedies fest (US 4).

Die behauptete Unvollständigkeit im Bezug auf die ungewürdigt gebliebenen Angaben der Zeugin H***** liegt nicht vor, weil entgegen dem Beschwerdevorbringen zwischen deren Angaben und jenen des F***** kein erörterungsbedürftiger Widerspruch auszumachen ist. Die Zeugin deponierte, dass sie gehört habe, wie der Angeklagte seinem Kontrahenten gegenüber äußerte „über meinen Grund und Boden gehst du nicht“. Daraufhin sei sie in ihr Haus zurückgekehrt, um der Involvierung in eine Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Daher habe sie die Tätlichkeiten nicht mitbekommen (S 61 ff in ON 49). Zwar konnte sich der Zeuge F***** demgegenüber an die Aufforderung des Nichtigkeitswerbers an das spätere Opfer, seinen Grund und Boden nicht zu betreten, in der Hauptverhandlung vorerst nicht erinnern, korrigierte dies aber nach Vorhalt seiner diesbezüglichen Angaben vor der Polizei (S 49 in ON 49 iVm S 33 in ON 3; vgl die darauf abstellende Feststellung in US 8).

Der vorgebrachte Widerspruch zwischen dem Urteilstenor, wonach R***** auf J***** mit den Füßen eintrat (US 2) und der Feststellung, wonach der Beschwerdeführer auf den bereits am Boden liegenden noch mit dem Fuß trat (US 5; vgl aber demgegenüber US 8: „Fußtritte“), betrifft neuerlich keinen entscheidungswesentlichen Umstand. Maßgeblich ist allein, dass der Nichtigkeitswerber den J***** sowohl mit der Faust als auch mit dem Fuß attackierte und solcherart am Körper verletzte. Weshalb die Anzahl der Fußtritte von Bedeutung sein sollte, wird in der Beschwerde nicht dargetan.

Der Einwand einer offenbar unzureichenden Begründung der Urteilsannahme, wonach R***** seinem Opfer mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte, ist schon vom Ansatz her verfehlt, weil der Rechtsmittelwerber selbst einräumt, seinem Kontrahenten zwei Schläge ins Gesicht versetzt zu haben (vgl im Übrigen die in diesem Zusammenhang erfolgte Klarstellung in US 12: zwei Faustschläge).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) versucht lediglich der eine Notwehrsituation vorbringenden Einlassung des Angeklagten, welcher die Tatrichter mit eingehender Begründung keinen Glauben schenkten (US 8 ff), zum Durchbruch zu verhelfen und die belastenden Angaben des F***** in Zweifel zu ziehen. Die Beschwerde wiederholt dabei im Wesentlichen bloß die bereits zur Mängelrüge erhobenen Einwände. Damit vermag der Beschwerdeführer allerdings keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a - inhaltlich Z 9 lit b) behauptet einen Feststellungsmangel zu einer Notwehrsituation des Angeklagten bzw zu einer von ihm irrtümlich angenommenen Rechtsfertigungssituation, übergeht aber diesbezüglich die negativen Konstatierungen des Schöffengerichts, welches der darauf abstellenden Einlassung des Nichtigkeitswerbers keinen Glauben schenkte und sowohl eine tatsächliche Notwehrsituation als auch deren irrtümliche Annahme ausschloss (US 11 und US 13).

Soweit unter Verweis auf die gegenteilige Verantwortung des Angeklagten ein nicht weiter substantiierter Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO vorgebracht wird, bekämpft der Beschwerdeführer nur die Beweiswürdigung der Tatrichter in Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet mangelnde Feststellungen zur objektiven Vorhersehbarkeit des Todeseintritts. Dabei geht der Rechtsmittelwerber zunächst von einer „atypischen Ungefährlichkeit der Begehungsweise“ aus, ohne entsprechende Bezugspunkte zum angenommenen Sachverhalt herzustellen. Ergänzend dazu verweist der Nichtigkeitswerber auf den vom medizinischen Sachverständigen Ass.-Prof. Dr. N***** dargestellten Umstand, dass im Fall sofort eingeleiteter zielführender Rettungsmaßnahmen eine massive Aspiration von Blut und Erbrochenem mit größter Wahrscheinlichkeit unterblieben und damit die Todesfolge ausgeblieben wäre (S 71 ff in ON 49). Damit rekurriert der Beschwerdeführer auf einen beim erfolgsqualifzierten Delikt der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB zu prüfenden Ausschluss der objektiven Zurechnung. Der Tod kann dem Täter demnach nur dann angelastet werden, wenn diese Folge sowohl innerhalb des Adäquanz- als auch des Risikozusammenhangs liegt (vgl Kienapfel/Höpfel AT13 Z 25 Rz 28; Burgstaller in WK2 § 6 Rz 63; Kienapfel/Schroll StudB BT I2 § 86 Rz 10; Burgstaller/Fabrizy in WK2 § 86 Rz 5; Leukauf/Steininger Komm3 § 86 Rz 3; SSt 2006/79). Der Adäquanzzusammenhang setzt wiederum voraus, dass der konkrete Kausalverlauf (samt eingetretenem Erfolg) nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt (vgl Kienapfel/Höpfel AT13 Z 25 Rz 29; Kienapfel/Schroll StudB BT I2 § 86 Rz 11; Burgstaller in WK2 § 6 Rz 63; SSt 57/49). Bezugspunkt und Inhalt der dazu notwendigen wertenden Gesamtschau ist der konkrete Geschehnisablauf in all seinen Details (vgl Kienapfel/Höpfel AT13 Z 25 Rz 28; Burgstaller, Pallin-FS, 41; SSt 61/112). Indem die Beschwerde allerdings nur auf eine isolierte Bewertung der Verletzungsfolgen und den Krankheitsverlauf nach Abschluss des Angriffs durch R*****, nicht aber auf die konkreten Aggressionsakte (nämlich zwei Faustschläge und ein Fußtritt, welche eine Wucht hatten, dass J***** mit einer gebrochenen Nase und stärkerem Blutaustritt am Boden liegen blieb; vgl US 5 f) und die vom Nichtigkeitswerber unterlassene Hilfeleistung (US 5: der Angeklagte kümmerte sich nicht um das am Boden liegende Opfer, sondern fuhr mit seinem Traktor davon), welche für den letalen Verlauf des Verletzungsgeschehens mitursächlich war (vgl US 5), abstellt, geht sie nicht von allen für die Beurteilung des reklamierten Ausnahmesatzes (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602) im Sinne der gebotenen Gesamtschau gleichfalls heranzuziehenden Urteilsannahmen aus und verfehlt damit die Anfechtungskriterien des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes. Von einem haftungsbefreienden atypischen Kausalverlauf kann mit Blick auf diese vom Rechtsmittelwerber übergangenen Konstatierungen im Übrigen keine Rede sein (vgl Burgstaller/Fabrizy in WK2 § 86 Rz 5; 13 Os 102/06h; SSt 2006/79).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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