OGH 12Os130/23v

OGH12Os130/23v29.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Februar 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. De Rijk in der Strafsache gegen * S* und andere Beschuldigte wegen des Vergehens der Bestechlichkeit nach § 304 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 316 HR 191/20p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Mag. * F* auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00130.23V.0229.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) führt zu AZ 17 St 5/19d (ua) gegen Mag. * F* ein Ermittlungsverfahren wegen den Verbrechen der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und der Bestechung nach § 307 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB subsumierter Straftaten.

[2] Soweit vorliegend von Bedeutung, wurden in diesem Verfahren am 6. Oktober 2021 ein Dateienordner mit rund 50.000 Dateien sowie das E‑Mail‑Postfach des Betroffenen auf einem USB‑Stick sichergestellt, aufgrund dessen – im Hinblick auf das Redaktionsgeheimnis (§ 31 Abs 2 MedienG) erhobenen – Widerspruchs gesichert und gemäß § 112 Abs 1 StPO beim Landesgericht für Strafsachen Wien hinterlegt.

[3] Am 6. September 2022 legte der Betroffene nach Aufforderung gemäß § 112 Abs 2 erster Satz StPO einen Datenträger mit einer „Bezeichnungsliste“ hinsichtlich der sichergestellten Daten vor, der ebenfalls gesichert bei Gericht hinterlegt wurde (vgl Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 10. Juli 2023, AZ 17 Bs 270/22p, BS 11). Unter einem kritisierte er, dass er diese Liste auf Basis eines ihm übergebenen Datenträgers erstellt habe, der offenbar bereits einer Filterung durch einen vom Gericht beauftragten IT‑Experten unterzogen worden sei (ON 1798).

[4] Mit „Teil-“Beschluss vom 11. November 2022 (ON 3204) ordnete das Landesgericht für Strafsachen Wien an, dass ein (im einzelnen bezeichneter) Teil der sichergestellten elektronischen Unterlagen mangels einer den Anforderungen des § 112 Abs 2 zweiter Satz StPO genügenden „konkreten“ Bezeichnung durch den Betroffenen zum Akt genommen werden dürfe. Zur Frage der „Datenfilterung“ führte es aus, dass die mithilfe eines IT‑Experten erfolgte Datenaufbereitung nur den Zweck gehabt habe, dem Gericht die erforderliche Sichtung und die Aussonderung der von einem Umgehungsverbot geschützten Daten zu ermöglichen.

[5] In Stattgebung der dagegen gerichteten Beschwerde des Betroffenen behob das Oberlandesgericht Wien die erwähnte Entscheidung mit Beschluss vom 10. Juli 2023 (AZ 17 Bs 270/22p) und trug dem Erstgericht ein Vorgehen nach § 112 Abs 2 dritter Satz StPO mit dem Hinweis auf, dass der Betroffene seiner Bezeichnungspflicht hinreichend nachgekommen sei (BS 19–24).

[6] Im Umfang der behaupteten rechtswidrigen Beiziehung eines IT‑Experten bei der Datenaufbereitung blieb das Rechtsmittel des Betroffenen erfolglos. Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts habe der IT‑Experte […] „keine ihm ohnehin nicht zukommende inhaltliche Sichtung der Daten“ durchgeführt und sei seine Beiziehung zur Aufbereitung und Umwandlung der Daten in lesbares Format notwendig. Des Weiteren sei eine oberflächliche, stichprobenartige Kontrolle durch das Erstgericht erfolgt, um feststellen zu können, ob „eine konkrete Bezeichnung der Unterlagen durch den Betroffenen“ vorgenommen wurde (BS 24 f).

Rechtliche Beurteilung

[7] Gegen den zuletzt genannten Ausspruch richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte – Antrag des Mag. F* auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO, in dem er eine Verletzung in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK sowie auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK behauptet. Im Wesentlichen bringt er vor, dass die sichergestellten Daten tatsächlich bereits im Rahmen des Verfahrens über die Aufforderung zur Konkretisierung nach § 112 Abs 2 erster Satz StPO durch einen IT‑Experten „vorab“ gesichtet, bearbeitet, teilweise verändert und kopiert worden seien. Diese Daten seien außerdem durch den Haft- und Rechtsschutzrichter gesichtet worden, wobei dieser Vorgang mangels Beiziehung des Betroffenen gegen § 112 Abs 2 dritter Satz StPO verstoßen habe.

[8] Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, bei dem alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß gelten (RIS‑Justiz RS0122737).

[9] Den Prüfungsmaßstab eines Erneuerungsantrags bilden dabei ausschließlich Rechte der MRK und ihrer Zusatzprotokolle (RIS‑Justiz RS0132365), wobei nur eine Prüfung auf Grundrechtsstufe (Grobprüfung) und keine Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz im Sinn einer Feinprüfung auf Gesetzesstufe stattfindet (RIS‑Justiz RS0129606 [T2, T3]). Eine Prüfung dahin, ob die vom Antragsteller kritisierten Vorgänge im Zusammenhang mit der Datenfilterung mit § 112 Abs 1 StPO im Einklang stehen, kann daher im Erneuerungsverfahren nicht vorgenommen werden.

[10] Auf der Grundrechtsebene fehlt es dem Betroffenen an der Opfereigenschaft im Sinn des Art 34 MRK. Denn der Erneuerungswerber behauptet im Wesentlichen die Verletzung seiner Konventionsrechte im Rahmen des Bezeichnungsverfahrens nach § 112 Abs 2 erster Satz StPO, somit eines Teilabschnitts eines Verfahrens, das per se der Beweisverwendung im Ermittlungsverfahren vorgelagert ist. Davon ausgehend macht er aber nicht deutlich, weshalb die angesprochenen Konventionsgarantien nicht im Hauptverfahren oder bereits sogar schon im weiteren – vom Oberlandesgericht ohnedies angeordneten – Verfahren über die Sichtung des sichergestellten Beweismaterials und die Beschlussfassung über dessen weitere Verwendung nach § 112 Abs 2 dritter Satz StPO wirksam im Sinn des Art 13 MRK (siehe im Übrigen auch § 112 Abs 3 StPO) durchgesetzt werden können (vgl RIS‑Justiz RS0126370).

[11] Der Antrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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