OGH 12Os128/07a

OGH12Os128/07a15.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sven M***** wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 4. Juli 2007, GZ 20 Hv 64/07m-36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sven M***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er in Traismauer mit Gewalt sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben andere zur Vornahme bzw Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, und zwar

A) seine Lebensgefährtin Nicole W*****

a) am 6. Juni 2006, indem er unter Drohungen mit dem Umbringen, wenn sie schreien würde, ihren Kopf an den Haaren packte und zu seinem Penis führte, sodass sie gezwungen war, diesen in den Mund zu nehmen,

b) am 30. September 2006, indem er sie an den Haaren in das Kinderzimmer schleppte und dort auf das Bett warf, ihr eine Stoffwindel in den Mund stopfte und um ihren Hals legte, mit dem Kabel einer Lampe ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammenband und sie mit dem Umbringen bedrohte, sollte sie schreien, seine Finger in ihre Vagina einführte und anschließend mit seinem Geschlechtsteil in ihre Vagina und in ihren Anus eindrang,

B) am 8. Jänner 2007 die ihm körperlich unterlegene Martina Z*****,

indem er sich auf sie setzte und gegen eine Bank drückte, ihr die Brüste massierte, seinen Zeige- und Mittelfinger in ihre Scheide einführte, sie auszog, an beiden Handgelenken festhielt und mit seinem Geschlechtsteil in ihre Vagina eindrang, ihre Scheide abschleckte, sie bei der Hüfte packte und auf sich setzte und neuerlich mit seinem Geschlechtsteil in ihre Vagina eindrang, sie mit einer Hand am Nacken packte und ihren Kopf gewaltsam an seinen Penis führte, sodass sie gezwungen war, diesen in den Mund zu nehmen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die vom Angeklagten erhobene und auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Unter Berufung auf § 281 Abs 1 Z 3 StPO behauptet der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO, weil die Aussage der Zeugin Nicole W***** aus dem Vorverfahren verlesen wurde, obgleich diese in der Hauptverhandlung vom 4. Juli 2007 die Aussage berechtigt verweigert hatte. Der Rechtsmittelwerber übergeht insoweit, dass diese als Mutter eines gemeinsamen Kindes mit dem Angeklagten iSd § 152 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 72 Abs 1 StGB von der Pflicht zur Ablegung einer Aussage befreite Zeugin vor der Untersuchungsrichterin kontradiktorisch iSd § 162a StPO, also in Anwesenheit des Sven M***** und seines Verteidigers, vernommen wurde (ON 17). Dabei erklärte sie nach ausdrücklicher Belehrung über das ihr gemäß § 152 StPO zustehende Entschlagungsrecht und über die Möglichkeit der Verlesung einer unter diesen Umständen abgelegten Aussage in einer Hauptverhandlung, dass sie aussagen wolle (S 156). Damit brachte die Zeugin entgegen dem Beschwerdestandpunkt (insoweit der Sache nach Z 2) unmissverständlich einen Verzicht auf das ihr zustehende und ausdrücklich dargelegte Zeugnisverweigerungsrecht zum Ausdruck (vgl Fabrizy StPO9 § 152 Rz 26; RIS-Justiz RS0097873). Sowohl in Anbetracht eines erst nach der kontradiktorischen Zeugenvernehmung entstehenden Rechtes auf Zeugnisverweigerung (§ 152 Abs 1 Z 2a und Z 3 StPO) als auch mit Blick auf ungeachtet dieser besonderen Vernehmung (weiter-)bestehende Zeugnisentschlagungsrechte (hier nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO) sieht § 252 Abs 1 Z 2a StPO der Rüge zuwider vor, dass solche in Anwesenheit der Parteien zu Protokoll gegebene Angaben in der Hauptverhandlung verlesen werden dürfen, wenn die Zeugin nunmehr die Aussage berechtigt verweigert. Der in der Mängelrüge (Z 5) erhobene Vorwurf einer unzureichenden Begründung zu gewalttätigen, vom Angeklagten ausgehenden Sexualpraktiken übergeht, dass sich die Tatrichter insoweit nicht nur auf die Angaben der Zeugin Susanne B***** über ihre zurückliegende Beziehung zum Nichtigkeitswerber stützten. Vielmehr bezog sich das erkennende Gericht dazu auch auf die Aussagen der beiden Tatopfer sowie auf die Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen zur Persönlichkeitsstruktur des Rechtsmittelwerbers (US 21 ff). Soweit der Nichtigkeitswerber aus diesen Zeugenaussagen und auch aus nicht gefallenen Äußerungen andere, für ihn günstigere Rückschlüsse zieht als das Schöffengericht, vermag er ebenso wenig einen Begründungsmangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO darzutun, wie mit dem Vorbringen einer Aktenwidrigkeit. Letzterer Einwand zeigt im Übrigen nicht auf, welche Passagen von Aussagen der Zeugen im Urteil unrichtig zitiert worden sein sollen, sondern bekämpft nur die vom Kollegialgericht aus den Zeugenangaben gezogenen Schlussfolgerungen. Soweit die Rüge unter Bezug auf einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Passagen verschiedener Einvernahmen eine Unvollständigkeit behauptet, lässt sie die Angaben der Zeugen jeweils in ihrer Gesamtheit unberücksichtigt, die vom erkennenden Gericht eingehend analysiert wurden. Darüber hinaus unterstellt der Beschwerdeführer sowohl Martina Z***** als auch Patrick I***** Aussagen, die sie so nie getätigt haben (vgl insbesondere S 335 und 380). Der eine unvollständige und unzureichende Begründung zur subjektiven Tatseite des Schuldspruchs B vorbringenden Mängelrüge zuwider wurden die isoliert hervorgehobenen Angaben von Martina Z*****, wonach sie der Angeklagte „nicht hörte" (im Sinne von: auf sie nicht reagiert habe; vgl US 16), ausdrücklich dem Urteil zugrunde gelegt. Diese bedurften auch keiner weiteren Erörterung, ging doch das erkennende Gericht - gestützt auf die Aussage dieses Opfers - weiters davon aus, dass Sven M***** auf die nachfolgende ausdrückliche Verweigerung jeglicher Kontakte mit den Worten reagierte: „Gusch, das willst du ja" (US 16).

Aus diesem Grund geht auch der auf diesen Aussagenteil gestützte und eine fehlende Wahrnehmungsfähigkeit behauptende Einwand einer Unvollständigkeit in Bezug auf die festgestellte Zurechnungsfähigkeit (US 18) ins Leere. Diese Konstatierung untermauerte das Schöffengericht indes mit dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen. Auch hier versucht der Rechtsmittelwerber lediglich die Beweisergebnisse zu seinen Gunsten zu interpretieren, ohne einen Begründungsmangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzeigen zu können. Die Tatsachenrüge (Z 5a) bemängelt, dass die von Nicole W***** an Sven M***** während dessen Untersuchungshaft gerichteten und ihn „vollständig" entlastenden Briefe zu wenig beachtet worden seien. Demgegenüber setzte sich das erkennende Gericht mit diesen nicht nur von Nicole W***** an den Angeklagten gerichteten Schreiben eingehend auseinander, wobei die Tatrichter unter Berücksichtigung anderer Beweisergebnisse zum Schluss gelangten, dass diese Schriftstücke in erster Linie aus Angst vor dem irgendwann aus der Haft zu entlassenden Angeklagten verfasst wurden (US 26; US 27 f) und die Zeugin Nicole W***** überdies mehrfach trotz der ihr zugefügten Gewalt die abgebrochenen Beziehungen zum Beschwerdeführer wieder aufgenommen hatte (US 8 ff; US 11; US 13; US 23 f; US 27 f). Diese Briefe vermögen daher keine erheblichen, sich gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen richtenden Bedenken hervorzurufen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) argumentiert mit unzureichenden Urteilsannahmen zur Gewaltausübung und zu den ausgestoßenen gefährlichen Drohungen, lässt aber die zu allen drei inkriminierten Verbrechen insgesamt getroffenen Feststellungen außer Acht, die unmissverständlich Gewalt im Zusammenhang mit den zu erzwingenden Sexualakten sowie entsprechend nötigungsbezogene, begründete Besorgnis hervorrufende gefährliche Drohungen umfassen (US 10 f; US 11 ff; US 15 ff sowie US 25; US 27; US 28).

Soweit der Nichtigkeitswerber ausreichende Feststellungen zur subjektiven Tatseite bei allen drei vorgeworfenen Vergewaltigungen vermisst, legt er nicht dar, welche über die von ihm zitierten Urteilsannahmen hinausgehenden Konstatierungen notwendig gewesen wären, um ein iSd § 201 Abs 1 StGB vorsätzliches Verhalten zum Ausdruck zu bringen. Der Einwand einer bloßen Verwendung der verba legalia übergeht indes die in den Urteilsfeststellungen zu findende Verknüpfung mit den konkreten Tathandlungen, welche den gebotenen Sachbezug herstellen (vgl RIS-Justiz RS0119090).

Die Kritik in Richtung fehlender Feststellungen, dass Martina Z***** in Furcht und Unruhe versetzt worden sei, lässt zum einen die genau darauf abstellenden Urteilsannahmen (US 16) außer Acht. Zum anderen leitet der Rechtsmittelwerber nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, weshalb eine über die nach einem gemischt objektiv-individuellen Maßstab zu beurteilende Besorgniseignung (vgl Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 42 ff; Schwaighofer in WK2 § 105 Rz 61 ff) hinausgehende konkrete Furchterregung beim Opfer tatbestandsessentiell sein soll. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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