OGH 12Os123/21m

OGH12Os123/21m18.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Gsellmann in der Strafsache gegen ***** T***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Geschworenengericht vom 15. Juli 2021, GZ 26 Hv 3/21t‑112, sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00123.21M.1118.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht Linz als Geschworenengericht zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft ebenso auf die Aufhebung verwiesen wie Letztere mit ihrer Beschwerde.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde ***** T***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB (siehe dazu RIS‑Justiz RS0133600 [T1]) sowie des § 39a Abs 1 Z 4 StGB und unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Linz vom 3. Dezember 2020, AZ 12 Hv 43/20w, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe (§ 31 Abs 1 StGB) von neun Jahren und zwei Monaten verurteilt.

[2] Nach dem Schuldspruch hat er am 18. Juni 2020 in L***** ***** M***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem er diesen mit einem Springklappmesser mit ca 9 cm Klingenlänge im Bereich der linken Brustkorbseite zwischen 9. und 10. Rippe in den Rücken stach, wodurch die Brusthöhle eröffnet und die linke Lunge angestochen wurde und sich eine Einblutung in die Brusthöhle (Hämatothorax) bildete.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, mit der er die Stellung einer Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) fordert.

[4] Die gesetzeskonforme Darstellung des Nichtigkeitsgrundes der Z 6 verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit fallbezogen eines die begehrte Frage – nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0132634) – indizierenden (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) Tatsachensubstrats (RIS‑Justiz RS0119417, RS0100860 [insbesondere T1]). Dabei sind Verfahrensergebnisse, auf die sich die Beschwerde stützt, in ihrem inneren Sinnzusammenhang zu betrachten (RIS‑Justiz RS0100464, RS0120766; Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 8).

[5] Entgegen dem Beschwerdevorbringen indiziert die Aussage des Angeklagten, er sei wegen Suchtgift „beeinträchtigt“ gewesen, unter Berücksichtigung seiner Verantwortung, er habe „noch gewusst, was [er] mache“ (ON 52 S 3 iVm ON 113 S 4) und sich „grundsätzlich schon noch kontrollieren“ können (ON 113 S 12), im Zusammenhang mit seiner sehr detailreichen Aussage zum Vorfall in Verbindung damit, dass er Erinnerungslücken ausschließlich auf das lange Zurückliegen der Tat stützte (vgl ON 113 S 7), Zurechnungsunfähigkeit nach den Kriterien logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen gerade nicht.

[6] Gleiches gilt für den Beschwerdehinweis auf die Angaben des Opfers, (auch) der Angeklagte sei – nachdem er „fünf Benzos eingeworfen“ habe – schon ziemlich bedient und auf Drogen gewesen und habe „nicht mehr sehr viel mitbekommen von der Situation“ (ON 113 S 17). Soweit der Zeuge damit seine subjektive Einschätzung des Zustands des Angeklagten zum Ausdruck brachte, handelt es sich im Übrigen um keine in der Hauptverhandlung vorgekommenen erheblichen Tatsachen (RIS‑Justiz RS0097540; Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 42).

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

[8] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 344 StPO) von dem Angeklagten zum Nachteil gereichender materieller Nichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO.

[9] Denn das angefochtene Urteil enthält, obwohl die erweiterte Strafbefugnis nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB zur Anwendung gelangte, keine Feststellungen zu dessen Vorstrafen und zu deren allfälliger Verbüßung, demnach auch nicht zu den Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB. Solchen Konstatierungen kommt jedoch für die vom Erstgericht in Anspruch genommene Strafbefugnis nach § 39 StGB entscheidende Bedeutung zu, sodass deren Fehlen (im Sinn eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen) Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO begründet (11 Os 74/20x Rz 17 f).

[10] Dieses Feststellungsdefizit erforderte die Urteilsaufhebung in dem im Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e iVm 290 Abs 1 zweiter Satz, 344 StPO).

[11] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft ebenso auf diese Entscheidung zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde.

[12] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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