OGH 12Os116/04

OGH12Os116/044.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. November 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Matschegg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dragan T***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7. Juli 2004, GZ 052 Hv 16/04h-51, sowie dessen Beschwerde gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese kassatorische Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dragan T***** des Verbrechens des schweren Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I) sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) erster und zweiter Fall SMG (II) schuldig erkannt, weil er

I. am 23. Dezember 2003 dem Christian H***** durch Versetzen von Schlägen und Tritten 13 EUR Bargeld mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gewaltsam wegnahm und II. in der Zeit vom 13. Mai 2003 bis zum 23. Dezember 2003 wiederholt Heroin sowie Kokain erwarb und besaß.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 3, 5, 5a und 9 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist im Recht. Wie die Verfahrensrüge (Z 3) zutreffend festhält, hat das Gericht eine Person, die nach § 152 Abs 1 oder Abs 2 StPO von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses befreit ist, gemäß § 248 Abs 1 iVm § 152 Abs 5 StPO vor ihrer Vernehmung (oder sobald der Grund für die Zeugnisbefreiung bekannt wird) über ihr Entschlagungsrecht zu belehren. Hat der Zeuge auf sein Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet, darf er bei sonstiger Nichtigkeit nicht vernommen werden (§ 248 Abs 1 iVm § 152 Abs 5 letzter StPO).

Gegenständlich verantwortete sich der Angeklagte (in Bestreitung des Raubvorwurfs) dahin, Christian H***** (auf dessen Depositionen sich der Schuldspruch I im Wesentlichen stützt) habe ihm Suchtmittel verkauft; nach diesem Geschäft sei es zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, weil er (der Angeklagte) - erfolgreich - auf die Rückabwicklung des Suchtmittelkaufs bestanden habe (AS 189, 195 bis 207). Auch die Zeuginnen Snezana D***** (AS 213 ff) und Sandra S***** (AS 253 ff) gaben an, ein Suchtmittelverkauf von Christian H***** an den Angeklagten sei der Grund für die Tätlichkeiten zwischen diesen gewesen. Da all diese Aussagen (im Rahmen der Hauptverhandlung und solcherart unmittelbar gegenüber dem erkennenden Gericht) vor der Einvernahme des Christian H***** abgelegt wurden, war dieser somit vor seiner Vernehmung über die Befreiung von der Zeugnispflicht nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO zu belehren und ihm eine Erklärung hiezu abzuverlangen. Die ohne Verzicht auf das Entschlagungsrecht erfolgte Befragung des Genannten (AS 351 bis 363) hat die Nichtigkeit seiner Aussage zur Folge (§ 152 Abs 5 StPO). Vollständigkeitshalber sei ferner festgehalten, dass die Vorsitzende des Schöffengerichts den Zeugen H***** wiederholt mit dem Vorwurf, Suchtmittel verkauft zu haben, konfrontiert hat, ohne die entsprechende Belehrung vorzunehmen (AS 357, 363).

Diese Nichtigkeit vermag auch eine nachträgliche Verzichtserklärung nicht zu sanieren, wobei es unerheblich ist, ob der verspätete Verzicht außerhalb (SSt 62/119) oder - wie hier (AS 363) - im Rahmen der Hauptverhandlung geäußert wurde. § 281 Abs 1 Z 3 StPO statuiert nämlich nicht bloß ein Beweisverwertungsverbot, vielmehr macht eine Zeugenaussage ohne ausdrücklichen Verzicht auf ein bereits bestehendes Entschlagungsrecht - losgelöst von der nur für die Abwägung nach Abs 3 des § 281 StPO relevanten Verwertung im Urteil - schon das zum Urteil führende Verfahren fehlerhaft (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 224).

Aufgrund der Relativität des Nichtigkeitsgrundes der Z 3 (§ 281 Abs 3 StPO) kann ein solcher Verfahrensmangel aber dann nicht erfolgreich geltend gemacht werden, wenn der Zeuge die gemäß § 152 Abs 5 StPO nichtigen Depositionen im Anschluss an die nachgetragene Verzichtserklärung wiederholt oder aufrecht hält, was nach der Aktenlage hier aber nicht erfolgt ist. Das Hv-Protokoll gibt nämlich als Antwort des Christian H***** auf die (verspätete) Belehrung nur die - keine Bezugsnahme auf dessen bis dahin getätigte Angaben aufweisende - Passage "Ich will aussagen" wieder. Sodann schließt die Vernehmung mit der Beantwortung des die Belehrung auslösende Vorhalts der Aussage der Zeugin Snezana D*****, wonach (nicht der Angeklagte, sondern) eine Person namens Ivan ihn (Christian H*****) tätlich angegriffen habe (AS 363). Auf die Frage der Wirksamkeit der - nach dem Protokollinhalt (AS 363) - verfehlten (nachträglichen) Belehrung iSd Bestimmungen der Z 2 des § 152 Abs 1 StPO ist somit nicht weiter einzugehen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) weist zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte nach der Aktenlage (s insbesonders ON 32) wiederholt geringe Mengen Heroin und Kokain zum eigenen Gebrauch erworben und besessen hat. Gemäß § 37 SMG hätte daher das Gericht das indizierte temporäre Verfolgungshindernis (zuletzt 15 Os 85/04) des § 35 Abs 1 SMG beachten müssen, zumal diesbezüglich eine Zusammenrechnung der zu verschiedenen Zeiten erworbenen und besessenen Suchtmittelmengen nicht stattfindet (15 Os 128/02) und nach dem Gesetz weder der Umstand, dass auch wegen allgemein strafbarer Handlungen Anzeige erstattet worden ist (Foregger/Litzka/Matzka SMG § 35 Anm IV.3.), noch (einschlägige) Vorstrafen (15 Os 85/04) die Verfahrenseinstellung ausschließen.

Es war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung der Nichtigkeitsbeschwerde sofort Folge zu geben, das angefochtene Urteil zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung sowie Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 285e StPO). Im Hinblick darauf erübrigt sich das Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht zunächst die Auskünfte und Stellungnahmen nach § 35 Abs 3 SMG einzuholen und auf der hiedurch geschaffenen Basis das Vorliegen der Voraussetzungen für die vorläufige Verfahrenseinstellung (§ 37 iVm § 35 Abs 1 SMG) zu prüfen haben.

Im Rahmen der Hauptverhandlung wird Christian H***** vor seiner Vernehmung über die Befreiung von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO zu belehren und die hierüber abgegebene Erklärung zu protokollieren sein. Eine Befragung zur Sache hat sodann nur im Fall des Verzichts auf das Entschlagungsrecht zu erfolgen.

Mit seiner Berufung, die gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO auch als Beschwerde gemäß Abs 1 leg cit gilt, war der Angeklagte auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

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