OGH 12Os100/06g

OGH12Os100/06g21.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer, in der Strafsache gegen Stefan Sch***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 444 Hv 2/06k des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. Juli 2006, AZ 21 Bs 259/06a, ON 131 der Hv-Akten, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Stefan Sch***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der am 17. November 1984 geborene Stefan Sch***** ist des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB angeklagt (ON 104, S 355 f/III), weil er verdächtig ist, die am 30. Jänner 2005 geborene Iris Sp***** getötet zu haben, indem er ihr im Zeitraum von ca Ende Februar 2005 bis zuletzt am 25. April 2005 wiederholt zahlreiche Schläge gegen Gesicht und Körper versetzte und sie mit beiden Händen am Oberkörper packte und heftig schüttelte, ihr einen Polster gewaltsam auf das Gesicht presste und sie gegen eine Zimmerwand warf, wodurch der Säugling massive Gehirnverletzungen erlitt, die zu einem zunehmenden Hirnschwund und zu einem irreversiblen Zerebralschaden führten, an deren Folgen Iris Sp***** am 15. Jänner 2006 verstarb. Nach Durchführung des Beweisverfahrens befanden die Geschworenen den Angeklagten einer fahrlässigen Tötung schuldig, worauf der Schwurgerichtshof gemäß § 334 Abs 1 StPO die Entscheidung aussetzte (ON 121).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 131) verfügte das Oberlandesgericht Wien entgegen der Beschwerde des Angeklagten (ON 129) gegen die Entscheidung der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes (ON 127) die Fortsetzung der seit 1. Mai 2005 andauernden Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO iVm § 35 Abs 1 zweiter Satz JGG.

Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den dringenden Tatverdacht wendet der Rechtsmittelwerber ein, dass „man das Ergebnis dieses Beweisverfahrens, welches sich letztlich im ausgesetzten Wahrspruch der Geschworenen wiederfindet, nicht so beurteilen kann, dass - trotz dieses Ergebnisses des Beweisverfahrens - weiterhin von einem dringenden Tatverdacht in Richtung eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes ausgegangen werden kann".

Mit dieser ohne Abstützung auf die Prozessordnung aufgestellten, in eigenständiger Beweiswürdigung gipfelnden Behauptung verfehlt der Beschwerdeführer den Bezugspunkt einer Grundrechtsbeschwerde (vgl 15 Os 43/06x uva). Mit dem Gutachten der (psychiatrischen) Sachverständigen - ON 57 und 101, S 353 f/III - hat sich das Beschwerdegericht ebenso mängelfrei auseinandergesetzt wie mit den Zeugenaussagen der Ärzte der Kinderschutzgruppe des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (S 315 ff/III). Dass sich der Angeklagte der Tragweite seiner Handlung betreffend des von ihm beschriebenen „Hopperns" nicht bewusst geworden wäre, ist den erwähnten Beweisergebnissen - dem Rechtsmittelstandpunkt entgegen - nicht zu entnehmen.

Zur „Auffassung", man könne „den formell richtig zu Stande gekommen Wahrspruch der Geschworenen auch bei der Beurteilung der Haftfrage nicht einfach wegdiskutieren", genügt es zu bemerken, dass dem als auf einem Irrtum in der Hauptsache beruhend erkannten Wahrspruch Bedeutung für das Folgeverfahren lediglich im Umfang des § 334 Abs 4 StPO zukommt (Philipp, WK-StPO § 334 Rz 19 f).

Den Ausführungen des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Tatbegehungsgefahr (Beschluss S 6 f) setzt der Beschwerdeführer lediglich die spekulative Hypothese entgegen, aufgrund seiner - ohnedies unstrittigen (ON 110) - Unbescholtenheit sei jede weitere Delinquenz auszuschließen, vermag damit allerdings die Annahme des Weiterbestehens des Haftgrundes nicht zu erschüttern. Eine Änderung der Verhältnisse bloß als Folge der längeren Inhaftierung ist nach ständiger Judikatur irrelevant (RIS-Justiz RS0114303); nach § 180 Abs 3 letzter Satz StPO bedeutsame Umstände vermag die Grundrechtsbeschwerde nicht aufzuzeigen (vgl vielmehr ON 83, 84 im Zusammenhang mit den Gutachten ON 57 und 101 in Richtung der Voraussetzungen für § 21 Abs 2 StGB).

Zum nicht zielführenden Anbot einer psychotherapeutischen Behandlung als gelinderes Mittel im Sinne von § 180 Abs 5 StPO ist auf die Vorentscheidung in dieser Sache 12 Os 89/05p - die unverändert Geltung beanspruchen kann - zu verweisen.

Der Verhältnismäßigkeit der Dauer der freiheitsentziehenden Provisorialmaßnahme zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (nach §§ 75, 36 Satz 2StGB: fünf bis zwanzig Jahre Freiheitsstrafe) setzt der Beschwerdeführer inhaltlich - und somit erwiderungsfähig - nichts entgegen.

Er wurde also im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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