OGH 11Os90/10k

OGH11Os90/10k17.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dieter H***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 29. April 2010, GZ 35 Hv 38/10y-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dieter H***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen 23. Juni und 7. Juli 2009 in I***** als vom Bezirksgericht I***** im Schuldenregulierungsverfahren AZ ***** gemäß § 96 KO mit der Inventarisierung der Masse beauftragter Gerichtsvollzieher, sohin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch den Staat und die Gläubiger des Gemeinschuldners Markus P***** an ihren Rechten auf Errichtung eines aktuellen Inventars über das Vermögen des Gemeinschuldners und auf inhaltliche Richtigkeit von gerichtlichen Protokollen zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er trotz gerichtlicher Anordnung der Inventarisierung nach Öffnung der Wohnung des Gemeinschuldners im Gerichtsgebäude ein Protokoll verfasste, welches die Vornahme der Inventarisierung an der Wohnanschrift des Gemeinschuldners, die Ausscheidung lediglich des notwendigen Hausrats, das Vorfinden bloß zweier elektronischer Geräte und deren Wertlosigkeit bescheinigte, ohne die Wohnung in den Monaten zuvor je betreten, das Vorhandensein von Wertgegenständen geprüft und die geschätzten Geräte in Augenschein genommen zu haben, und das Protokoll dem Gericht vorlegte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die fehlschlägt.

Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet, die Laienrichter wären nicht entsprechend der Reihenfolge der Dienstliste herangezogen worden. Dies sei dem Angeklagten erst nach der Hauptverhandlung und Urteilsverkündung zur Kenntnis gelangt. Erhebungen des Verteidigers am 22. und 23. Juni 2010 wären entsprechend dem angeschlossenen Aktenvermerk vom 23. Juni 2010 erfolglos geblieben. Nach diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer seiner Rügeobliegenheit nicht rechtzeitig nachgekommen. Bei Beurteilung, ob dem Beschwerdeführer der die Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO begründende Tatumstand schon vor (oder spätestens bis zum Ende) der Hauptverhandlung bekannt geworden ist, ist auf objektive Kriterien, nämlich die Zugänglichkeit des Tatsachensubstrats abzustellen. Da in die von den Präsidenten der Landesgerichte zu führenden Dienstlisten für Geschworene und Schöffen (§ 13 Abs 1 GSchG) grundsätzlich von jedermann Einsicht genommen werden kann (§ 170 Geo), sind darauf bezogene Fehler spätestens am Beginn der Hauptverhandlung zugänglich; dass dem Beschwerdeführer vor der Hauptverhandlung das Einsichtsrecht verwehrt worden wäre, wurde nicht behauptet, im Besonderen ist dem Hauptverhandlungsprotokoll eine dann notwendige entsprechende Antragstellung, die der Kontrolle nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO unterläge, nicht zu entnehmen (RIS-Justiz RS0106091).

Im Übrigen liegt Nichtigkeit iSd Z 1 des § 281 Abs 1 StPO nur bei willkürlichem, mithin sachlich ungerechtfertigtem Austausch der Laienrichter vor (RIS-Justiz RS0119769, RS0121700); ein solcher ist angesichts der vom Landesgericht Innsbruck angeforderten (§ 285f StPO) Stellungnahmen (ON 33, 34) nicht erkennbar.

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5) bezogen die Tatrichter alle wesentlichen Verfahrensergebnisse, im Besonderen die Verantwortung des Angeklagten, er habe infolge stressbedingter Überforderung weder bewusst seine Befugnisse als Gerichtsvollzieher missbraucht noch vorsätzlich den Staat bzw die Gläubiger in ihren Rechten auf Errichtung eines inhaltlich richtigen und aktuellen Inventars über das Vermögen des Gemeinschuldners und auf inhaltliche Richtigkeit von gerichtlichen Protokollen geschädigt, in ihre Erwägungen mit ein (US 3, 5 letzter Absatz, 6 erster Absatz). Sie folgten dieser jedoch unter Hinweis auf seine langjährige Erfahrung als Gerichtsvollzieher nicht und leiteten entsprechend den Gesetzen folgerichtigen Denkens aus dem objektiven Vorgehen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite ab (RIS-Justiz RS0098671).

Soweit der Beschwerdeführer ein Eingehen einerseits auf Details seiner Verantwortung (etwa das Vergessen des Termins am 30. Juni 2009 und sein regelmäßiges Vorgehen, bei Zuweisung eines Inventarisierungsakts das Protokoll in den Akt zu legen) und andererseits auf sonstige Ergebnisse des Beweisverfahrens (wie die fehlende Eintragung des „Endes der Amtshandlung“ im Inventarisierungsprotokoll und seinen einwöchigen Urlaub um den Termin am 30. Juni 2009, die nicht erfolgte Enderledigung des Akts und die Nichtaufnahme in die Monatsabrechnung ebenso wie die Ablage in der Mappe offener Vollzüge) vermisst, verkennt er, dass es sich dabei durchwegs um nicht entscheidungswesentliche Tatsachen handelt. Der Versuch, daraus für sich günstigere Feststellungen abzuleiten, bekämpft - im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässig - die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer Berufung wegen Schuld.

Der Einwand nichtigkeitsbegründender Undeutlichkeit entzieht sich mangels Substantiierung einer inhaltlichen Erwiderung.

Die Tatsachenrüge (Z 5a), die es entgegen der gesetzlichen Anordnung bestimmter Bezeichnung der Nichtigkeitsgründe (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) unterlässt, die Fundstellen „aus den Akten“ zu nennen (RIS-Justiz RS0124172), vermag mit dem neuerlichen Hinweis auf die Verantwortung des Beschwerdeführers (zur stressbedingten Überforderung) beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen im Sinn einer qualifiziert naheliegenden Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung, die somit geradezu unerträglich wäre, zu erwecken (RIS-Justiz RS0119583).

Die Feststellungen zum Befugnismissbrauch und zur vom Vorsatz umfassten Schädigung vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a) übergeht die Konstatierungen zu den Befugnissen des Rechtsmittelwerbers als im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts I***** tätiger Gerichtsvollzieher, der die ihm aufgetragene unverzügliche Inventarisierung gemäß § 96 KO (mit Ausnahme eines Pkw) nicht in der Wohnung des Gemeinschuldners und nicht unter selbst vorgenommener Beurteilung, welche Gegenstände als unentbehrlich oder als Hausrat auszuscheiden wären, sowie ohne Schätzung des Werts der inventarisierten Gegenstände aufgrund eigener Wahrnehmung durchführte, wobei die Anfertigung des Protokolls über die Inventarisierung, das den Anschein erweckt, am Vollzugsort im Beisein des Gemeinschuldners errichtet worden zu sein, im Büro des Angeklagten nach den Angaben des Gemeinschuldners erfolgte (US 3 ff).

Ausführungen zum Recht des Staats und der Gläubiger des Gemeinschuldners auf inhaltliche Richtigkeit gerichtlicher Protokolle sowie auf Errichtung eines aktuellen Inventars über das Vermögen des Gemeinschuldners und zum diesbezüglich zumindest bedingten Schädigungsvorsatz finden sich auf US 5 zweiter Absatz.

Der Einwand, „die auf ausdrücklichen Auftrag (des Rechtspflegers) hin erfolgte Vorlage kann denkunmöglich tatbestandsmäßig sein, weil der Gerichtsvollzieher verpflichtet ist, den Anweisungen des zuständigen Rechtspflegers Folge zu leisten“ und es wäre „möglicherweise strafbar“, „wenn nicht der gesamte Akt vorgelegt würde (wenn Aktenstücke vor der Vorlage beseitigt würden)“, verkennt, dass die Anfertigung des inhaltlich unrichtigen Protokolls inkriminiert ist.

Weswegen dessen Vorlage nach der Prüfungstagsatzung vom 30. Juni 2009 (GZ ***** des Bezirksgerichts I*****) - bei nach wie vor anhängigem Schuldenregulierungsverfahren - gegen die Tatbestandsmäßigkeit spräche oder einen absolut untauglichen Versuch darstelle, leitet der Beschwerdeführer nicht aus einem Vergleich mit dem Gesetz ab.

Der Angeklagte legt weiters nicht dar, welche rechtliche Bedeutung der vermissten Feststellung zukäme, wonach im Rahmen der allgemeinen Prüfungstagsatzung vom 30. Juni 2009 über einen vom Schuldner unterbreiteten Zahlungsplanvorschlag abgestimmt worden ist und diesem Zahlungsplan seitens der erforderlichen Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger zugestimmt wurde.

Im Übrigen wurde dem am 30. Juni 2009 vorgelegten Zahlungsplan mit Beschluss des Bezirksgerichts I***** vom 7. Juli 2009, GZ *****, die Bestätigung konkursgerichtlich versagt und in der Begründung unter anderem darauf verwiesen, dass hinsichtlich der zwingend vorzunehmenden Inventarisierung noch kein Bericht vorliege. Weiters wurde am 11. August 2009 eine umgehende Inventarisierung verfügt (GZ ***** des Bezirksgerichts I*****).

Letztlich versagt auch der Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach unzulängliche Amtsführung oder bloße Verletzung von Dienstvorschriften keinen Amtsmissbrauch darstellen, gingen die Tatrichter doch explizit nicht von einer stressbedingten unzulänglichen Amtsführung oder von - zur bloßen Verletzung von Dienstvorschriften führenden - Schlampereien (US 6 erster Absatz) aus.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur (§ 24 StPO), jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers - gemäß § 285d Abs 1 StPO bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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