OGH 11Os82/02

OGH11Os82/0222.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Oktober 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Siegfried V***** wegen der Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 (aF), 15 StGB und weiterer Straftaten über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 20. März 2002, GZ 11 Hv 6/02s-23, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten Siegfried V***** und seines Verteidigers Mag. Moser zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in diesem Umfang gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO selbst zu Recht erkannt:

Siegfried V***** wird für die ihm zur Last liegenden Schuldsprüche nach dem ersten Strafsatz des § 207 Abs 2 (alte Fassung) StGB zu einer Freiheitsstrafe von

3 ½ (dreieinhalb) Jahren

verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte, dem auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last fallen, auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen Teilfreispruch enthaltenden - Urteil wurde Siegfried V***** (richtig: jeweils tatmehrheitlich) der Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 (alte Fassung), 15 StGB (I/1), der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall (alte Fassung), 15 StGB (I/2), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 (alte Fassung) StGB (I/3), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall (neue Fassung) StGB (II) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 (neue Fassung) StGB (III) sowie der Vergehen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB (IV) und des teils vollendeten, teils versuchten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 und 15 StGB (V) schuldig erkannt und hiefür (unter Anwendung des § 28 StGB) nach § 206 Abs 3 (neue Fassung) StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 Jahren verurteilt. Danach hat er

zu I: unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, und zwar

1.: von ca Anfang 1991 bis ca Ende 1994 in Steyr, Losenstein und Tschechien in einer Mehrzahl von Angriffen den am 24. Februar 1981 geborenen Richard F*****, indem er an diesem wiederholt Hand- und Mundverkehr bis zum Samenerguss durchführte, einen Analverkehr durchzuführen versuchte und dieser über seine Aufforderung an ihm wiederholt Hand- und Mundverkehr bis zum Samenerguss durchführte; 2.: zumindest ab 1995 bis etwa Frühjahr 1998 in Steyr, Losenstein, Tschechien und Krk in einer Mehrzahl von Angriffen den am 29. Dezember 1984 geborenen Wolfgang F*****, indem er an diesem wiederholt Hand- und Mundverkehr bis zum Samenerguss durchführte, einen Analverkehr durchzuführen versuchte und dieser über seine Aufforderung an ihm wiederholt Hand- und Mundverkehr bis zum Samenerguss durchführte, wobei die Taten bei Wolfgang F***** eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik und Störung des Sozialverhaltens, demnach eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsstörung zur Folge hatten;

3.: ab Frühjahr/Sommer 1998 bis 30. September 1998 in Steyr, Losenstein und Tschechien in einer Mehrzahl von Angriffen den am 8. März 1986 geborenen Christian F*****r, indem er an diesem wiederholt Hand- und Mundverkehr bis zum Samenerguss durchführte:

zu II: vom 1. Oktober 1998 bis 8. März 2000 in Steyr, Losenstein und Kroatien mit dem am 8. März 1986 geborenen Christian F*****, sohin einer unmündigen Person, dadurch, dass er an diesem wiederholt einen Oralverkehr ausübte und dieser über seine Aufforderung an ihm einen Oralverkehr durchführte, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen;

zu III: vom 1. Oktober 1998 bis 8. März 2000 in Steyr, Losenstein, Tschechien und Kroatien außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen oder von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, indem er mit dem am 8. März 1986 geborenen Christian F***** wiederholt gegenseitigen Handverkehr bis zum Samenerguss durchführte; zu IV: vom 9. März 2000 bis etwa Sommer 2000 in Steyr und Losenstein als Person männlichen Geschlechts nach Vollendung des 19. Lebensjahres mit einer Person, die das 14., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, nämlich mit dem am 8. März 1986 geborenen Christian F***** gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, indem der an diesem wiederholt Handverkehr bis zum Samenerguss durchführte; zu V: unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber seiner Aufsicht unterstehenden minderjährigen Personen diese zur Unzucht missbraucht bzw zu missbrauchen versucht, und zwar

1.: von Anfang 1991 bis ca Ende 1994 in Steyr, Losenstein und Tschechien den am 24. Februar 1981 geborenen Richard F***** in einer Mehrzahl von Angriffen durch die zu I/1 geschilderten Tathandlungen;

2.: zumindestens ab 1995 bis etwa Frühjahr 1998 in Steyr, Losenstein, Going, Krk und Tschechien den am 29. Dezember 1984 geborenen Wolfgang F***** durch die zu I/2 geschilderten Tathandlungen;

3.: von Frühjahr/Sommer 1998 bis etwa Sommer 2000 in Steyr, Losenstein, Tschechien und Kroatien den am 8. März 1986 geborenen Christian F***** durch die zu II, III und IV geschilderten Tathandlungen.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit auf Z 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde; sie ist nur teilweise im Recht.

Entgegen den Einwänden der Mängelrüge (Z 5) einer Undeutlichkeit des Ausspruches über die Kausalität der Unzuchtshandlungen für die eingetretene länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung des Wolfgang F***** (Schuldspruch I/2) bzw einer unzureichenden Begründung dieser Konstatierung stellt die - auf dem verlesenen (S 258) Gutachten des Sachverständigen Prim. Dr. Kurt S***** (ON 17) basierende - Feststellung, wonach beim Verletzten "im Zusammenhang mit dem stattgefundenen sexuellen Missbrauch eine 24 Tage übersteigende Gesundheitsschädigung eingetreten" ist (US 7, 8), eine (knappe, aber) ausreichende Erklärung der Ursächlichkeit der Missbrauchshandlungen für die Tatfolgen dar. Der bloße Hinweis auf das die Grundlage der erwähnten Konstatierung bildende psychiatrisch-neurologische Sachverständigengutachen (US 9) erfüllt - ungeachtet der im Rechtsmittel relevierten Ungenauigkeiten hinsichtlich des Zeitpunkts des Eintritts der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Tatopfers - schon deshalb die dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) entsprechenden Erfordernisse einer formal unbedenklichen, vertretbaren Urteilsbegründung, weil die vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen mit den notorischen Erfahrungen über die (Spät-)Folgen sexuellen Missbrauchs Unmündiger übereinstimmen. Der Kritik fehlender Erörterungsmöglichkeiten dieser (verlesenen) Expertise mit deren Verfasser ist zu erwidern, dass es dem - anwaltlich vertretenen - Angeklagten unbenommen war, die Ladung des Sachverständigen und dessen Befragung in der Hauptverhandlung zu beantragen und sich damit bei Abweisung eines solchen Antrages die Beschwerdelegitimation im Sinn der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO zu sichern. Die im Fehlen der Voraussetzungen einer Verlesung des Sachverständigengutachtens begründete, von Amts wegen nicht aufzugreifende Nichtigkeit (§§ 281 Abs 1 Z 3 iVm 252 Abs 1 StPO) wurde jedoch nicht geltend gemacht.

Bereits aus den zur Mängelrüge dargelegten Erwägungen versagt auch die - eventualiter erhobene - Subsumtionsrüge (Z 10), die explizite Feststellungen über die Zurückführbarkeit der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Wolfgang F***** auf die zwischen 1995 und Frühjahr 1998 begangenen Tathandlungen sowie über die objektive Vorhersehbarkeit des Taterfolges vermisst und die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter § 207 Abs 2 StGB als rechtlich verfehlt kritisiert, jedoch die diesbezüglichen obzitierten (ausreichenden) Konstatierungen (US 7, 8) übergeht.

Hiezu ist festzuhalten, dass ein qualifizierender Taterfolg (hier § 84 Abs 1 StGB) dem Täter grundsätzlich dann als fahrlässig (§ 7 Abs 2 StGB) herbeigeführt zuzurechnen ist, wenn er für ihn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens vorhersehbar, also der Tathandlung adäquat war und dementsprechend im Rahmen des von ihm eingegangenen Gefahrenrisikos lag. Bei der gegebenen Fallkonstellation bedarf es keiner besonderen Erwähnung, dass es für den Angeklagten durchaus einsichtig war, dass der jahrelange sexuelle Missbrauch des unmündigen Wolfgang F***** zu einer Gesundheitsschädigung des Tatopfers in der im Ersturteil festgestellten Art führen kann. Im Recht ist der Beschwerdeführer hingegen mit seiner Strafzumessungsrüge (Z 11). Denn der Schöffensenat hat den Angeklagten wegen der diesem (ua) angelasteten Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach §§ 207 Abs 1 und 2 erster Fall (alte Fassung), 15 StGB (I/2) - unter Anwendung des § 28 StGB - "nach dem § 206 Abs 3 (neue Fassung) StGB" (US 4) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Auch in den Urteilsgründen hielt das Erstgericht unmissverständlich fest, dass "die Strafe (...) nach dem § 206 Abs 3 StGB zu finden (war)" (US 9). Zutreffend weist der Beschwerdeführer nicht nur darauf hin, dass die Anwendung der im § 206 Abs 3 erster Fall (neue Fassung) StGB vorgesehenen Strafdrohung von fünf bis 15 Jahren dem den Schöffengerichten zugewiesenen Aufgabenbereich entzogen ist (§ 14 Abs 1 Z 11 StPO), sondern der Sache nach auch auf den Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 1 Abs 2 und 61 StGB, wonach eine schwerere als die zur Tatbegehung (durch § 207 Abs 2 [alte Fassung] StGB) angedrohte Strafe von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe nicht verhängt werden darf bzw dass neue Strafgesetze auf früher begangene Taten nur dann anzuwenden sind, wenn sie - anders als hier - für den Täter in ihrer Gesamtheit günstiger waren.

An der Nichtigkeit ändert nichts, dass das Gericht auch bei Anwendung des richtigen Strafrahmens zu eben derselben Strafe hätte gelangen können (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 11 E 28, 14 a).

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - nur in diesem Umfang Folge zu geben.

Bei der nunmehr notwendig gewordenen Strafneubemessung war die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen derselben und verschiedener Art während eines langen Zeitraumes und das Missbrauchen von drei Personen als erschwerend zu werten, hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel und das umfassende Geständnis des Angeklagten diesem als mildernd zugute zu halten. Bei Berücksichtigung aller Strafbemessungskriterien erachtet der Oberste Gerichtshof die verhängte Freiheitsstrafe als tatschuldangemessen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Verpflichtung zum Kostenersatz beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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