OGH 11Os75/11f

OGH11Os75/11f30.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Sadoghi als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ridha B***** J***** wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. März 2011, GZ 064 Hv 7/11h-55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ridha B***** J***** „des Verbrechens“ (richtig: zweier Verbrechen) des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, (zu ergänzen: Abs 2 Z 1) SMG (A I) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (A II) sowie der Weitergabe und des Besitzes nachgemachten oder verfälschten Geldes nach § 233 Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: sechster Fall) StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

(A) vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Marihuana,

(I) gewerbsmäßig in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, wobei er schon einmal wegen einer solchen Straftat (zu AZ 4a Vr 1479/94, Hv 952/94 des Landesgerichts für Strafsachen Wien) verurteilt worden ist, er jedoch an Suchtmittel, nämlich Marihuana, gewöhnt ist und die Straftaten vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, und zwar:

(a) von September 2009 bis Ende September 2010 Andreas S***** zumindest 500 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von 25 Gramm THC,

(b) von März 2009 bis 17. September 2010 Michael K***** zumindest 250 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von 12,5 Gramm THC,

(c) von Juli 2009 bis 23. September 2010 Günter P***** zumindest 450 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von 22,5 Gramm THC;

(II) von Herbst 2008 bis 4. Oktober 2010 in mehrfachen Angriffen zum Eigenkonsum erworben und besessen;

(B) am 4. Oktober 2010 nachgemachtes Geld, nämlich eine falsche 20 Euro Banknote mit dem Vorsatz besessen, dass sie als echt und unverfälscht ausgegeben werde.

Gegen den Schuldspruch A I richten sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus Z 10 sowie jene der Staatsanwaltschaft aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO. Beide Rechtsmittel schlagen fehl.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Der Erledigung der Subsumtionsrüge (Z 10) ist vorauszuschicken, dass eine die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG allenfalls begründende, zum Geltungszeitpunkt einer früheren Strafnorm (hier: § 12 Abs 1 SGG) erfolgte Verurteilung dahingehend zu überprüfen ist, ob sie sich auf eine Tat bezieht, die auch alle Merkmale des geltenden § 28a Abs 1 SMG aufweist (Litzka/Matzka/Zeder, SMG2 § 28a Rz 18; vgl RIS-Justiz RS0088000), sohin (neben den sonstigen Tatmodalitäten) inbesondere eine tatgegenständliche Suchtgiftmenge festgestellt wurde, die die (aktuelle) Grenzmenge übersteigt (14 Os 155/08p; Schwaighofer in WK2 SMG § 28a Rz 31). Im Gegensatz zur nunmehrigen Rechtslage stellte bei Heroin, auf das sich das gegenständliche Vor-Urteil (GZ 4a Vr 1479/94, Hv 952/94-54 des Landesgerichts für Strafsachen Wien) bezieht, bereits eine Reinsubstanz von 1,5 Gramm (derzeit aber 3,0 Gramm) eine große Menge dar (RIS-Justiz RS0087973, RS0088548). Genaue Feststellungen über den Reinheitsgrad des Suchtgiftes waren nach früherer Rechtsprechung nicht in jedem Fall zu treffen, sondern nur bei einer Aktenlage, welche vor allem angesichts der Größe der tatverfangenen Menge realistische Zweifel an der Überschreitung des maßgeblichen Quantums an Reinsubstanz zuließ. Nicht indiziert waren derartige Konstatierungen in Ansehung solcher Suchtgiftmengen, bei welchen ‑ insbesondere unter Berücksichtigung der Gerichtserfahrung hinsichtlich des im illegalen Suchtgifthandel noch akzeptierten Verdünnungsverhältnisses ‑ von vornherein derartige Zweifel auszuschließen waren (RIS-Justiz RS0087925). Enthält demnach ein nach § 12 Abs 1 SGG ergangenes Urteil keine Feststellungen zum Reinheitsgrad der seinerzeit manipulierten Suchtgiftmenge, bedarf es in einem solchen Fall zur abschließenden Beurteilung der Qualifikation des § 28a Abs 2 Z 1 SMG originärer, die damalige Aktenlage würdigender Tatsachenfeststellungen, die allenfalls mit Mängel- (Z 5) oder Tatsachenrüge (Z 5a) bekämpft werden können.

Soweit der Beschwerdeführer in der Subsumtionsrüge (Z 10) mit der bloßen Behauptung des Nichtvorliegens einer qualifikationsbegründenden Vorverurteilung die ‑ genau im dargelegten Sinn getroffenen ‑ Urteilsannahmen des Erstgerichts, wonach der Angeklagte im Zeitraum Juli bis August 1993 in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider insgesamt zumindest 13,3 Gramm sowie eine nicht mehr näher feststellbare Menge an Heroin mit einer Reinsubstanz von mehr als drei Gramm Heroin in Verkehr setzte und zu setzen versuchte (US 6), mit eigenständiger Beweiswürdigung und der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung bekämpft, verlässt er prozessordnungswidrig den Anfechtungsrahmen des geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrundes.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) musste sich das Erstgericht nicht mit der Aussage des Zeugen Roland M***** zum angeblichen Verkauf von 500 Gramm Marihuana an den Angeklagten auseinandersetzen, ist doch der Erhalt weiteren Suchtgiftes für die Frage, ob der Angeklagte Suchtgift nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG anderen vorwiegend deshalb überließ, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, nicht entscheidend. Die Spekulation, dass der Angeklagte mit dem Weiterverkauf der vom Zeugen M***** erhaltenen verbotenen Substanzen einen Nettogewinn von 5.000 Euro „zu realisieren vermochte“, richtet sich unzulässig gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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