OGH 11Os67/96

OGH11Os67/964.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Juni 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Waldner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karlheinz H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 17.Oktober 1995, GZ 4 U 398/92-18, und davorgelegene Vorgänge im Verfahren zum AZ 4 U 270/95 des genannten Bezirksgerichtes, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Zehetner, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz wurde verletzt

1. durch den Vorgang, daß das Bezirksgericht Bruck an der Mur

a) von dem gemeinsam mit dem Urteil vom 4.Oktober 1995, GZ 4 U 270/95-7, gefaßten Beschluß (ON 8) auf Absehen vom Widerruf und Verlängerung der Probezeit für die mit Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 12.August 1992, GZ 4 U 398/92-9, dem Karlheinz H***** in Ansehung der über ihn verhängten Geldstrafe gemäß § 43 Abs 1 StGB gewährte bedingte Strafnachsicht nicht unverzüglich eine Verständigung zum Verfahren AZ 4 U 398/92 veranlaßte, in der Bestimmung des § 494 a Abs 7 StPO;

b) vor der oben (zu a) bezeichneten Beschlußfassung die Einsichtnahme in den Akt über die frühere Verurteilung unterließ, in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO;

2. durch den Beschluß des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 17. Oktober 1995, GZ 4 U 398/92-18, in dem sich aus § 43 Abs 2 StGB iVm §§ 53 und 56 StGB ergebenden Gebot, die endgültige Strafnachsicht erst nach Ablauf der Probezeit auszusprechen.

Der gemeinsam mit dem Urteil vom 4.Oktober 1995, GZ 4 U 270/95-7, gefaßte - gesondert unter ON 8 ausgefertigte - Beschluß des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur wird aufgehoben.

Dem Bezirksgericht Bruck an der Mur wird aufgetragen, hievon die Bundespolizeidirektion Wien, Strafregisteramt, zu verständigen.

Text

Gründe:

Karlheinz H***** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 12.August 1992, GZ 4 U 398/92-9, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 2 (richtig: Abs 1) und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 300 S verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Urteil ist am 21.September 1992 in Rechtskraft erwachsen.

Mit dem Urteil desselben Bezirksgerichtes vom 4.Oktober 1995, GZ 4 U 270/95-7, wurde Karlheinz H***** wegen des (am 14.Juni 1995, sohin während der Probezeit begangenen) Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 150 S verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde. Zugleich faßte das Bezirksgericht - ersichtlich ohne in die Akten über die frühere Verurteilung Einsicht zu nehmen (§ 494 Abs 3 StGB) - den Beschluß auf Absehen vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 12.August 1992, GZ 4 U 398/92-9, gewährten bedingten Strafnachsicht und verlängerte die Probezeit auf 5 Jahre (§§ 53 Abs 1 und 2 StGB, 494 a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO; ON 8).

Die im § 494 a Abs 7 StPO vorgeschriebene unverzügliche Verständigung zum Akt 4 U 398/92 von der Verlängerung der Probezeit ist unterblieben. Den Beschluß über die Verlängerung der Probezeit fertigte das Bezirksgericht Bruck an der Mur nämlich erst am 20. Oktober 1995 gesondert aus (ON 8 des Aktes 4 U 270/95) und verfügte unter anderem die Zustellung einer Beschlußausfertigung zum dortigen AZ 4 U 398/92.

Inzwischen hatte allerdings das Bezirksgericht Bruck an der Mur - einem Antrag des Bezirksanwaltes entsprechend - mit Beschluß vom 17. Oktober 1995, GZ 4 U 398/92-18, festgestellt, daß die über Karlheinz H***** verhängte Geldstrafe endgültig nachgesehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der zuletzt bezeichnete Beschluß verletzt - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes zutreffend erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - das Gesetz in der Bestimmung des § 43 Abs 2 StGB; denn diese Vorschrift über die endgültige Strafnachsicht setzt voraus, daß die Nachsicht nicht widerrufen wird. Dieses Erfordernis war aber zum Zeitpunkt der Beschlußfassung zufolge rechtswirksamer Verlängerung der Probezeit (und der damit verbundenen Möglichkeit des späteren Eintrittes eines Widerrufsgrundes) noch nicht gegeben.

Die Gesetzesverletzung war insbesondere dadurch bedingt, daß entgegen der Vorschrift des § 494 a Abs 7 StPO die Entscheidung auf Verlängerung der Probezeit auf 5 Jahre nicht sofort zum Akt 4 U 398/92 mitgeteilt wurde. Die in dieser Gesetzesstelle normierte Verständigungspflicht soll nämlich sicherstellen, daß das betroffene Gericht keine weitere Entscheidungskompetenz mehr in Anspruch nimmt. Dieser Zweck kann aber nur erreicht werden, wenn die Verständigung zum betreffenden Akt unmittelbar nach der jeweiligen Entscheidung vorgenommen wird (Foregger-Kodek StPO6 § 494 a Erl VI uva). Die Dringlichkeit der Weitergabe der Information war im vorliegenden Fall überdies deshalb besonders indiziert, weil die Probezeit bereits abgelaufen und daher mit einer baldigen Entscheidung über die endgültige Strafnachsicht zu rechnen war.

Auch die Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO, wonach das Gericht vor einer Entscheidung im Sinne des Abs 1 leg cit unter anderem in die Akten über die frühere Verurteilung Einsicht zu nehmen hat, bezweckt nicht nur die Verhinderung divergierender Entscheidungen, sondern durch den notwendigen Aktenanschluß auch eine Verhinderung einer Entscheidung im ursprünglichen Akt.

Da sich die Gesetzesverletzungen und die dadurch bewirkte (gesetzwidrige) endgültige Strafnachsicht noch vor Ablauf der - verlängerten - Probezeit zum Vorteil des Verurteilten ausgewirkt haben, muß es insoweit - anders als bei Vorliegen von begrifflich miteinander völlig unvereinbaren Entscheidungen - mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben (12 Os 190, 191/94, 12 Os 92, 93/91 ua).

Somit bleibt der Beschluß des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 17. Oktober 1995, mit dem die endgültige Nachsicht der Geldstrafe festgestellt wurde, rechtswirksam. Dem Beschluß des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur auf Verlängerung der Probezeit ist damit allerdings (nachträglich) die Basis entzogen worden, weshalb er aus Gründen der Rechtsklarheit zu beseitigen war (siehe abermals 12 Os 190, 191/94, 12 Os 92/93/91).

Dem Bezirksgericht Bruck an der Mur wird es obliegen, das Strafregisteramt davon in Kenntnis zu setzen, daß die Verlängerung der Probezeit zufolge der zwischenzeitig (wenn auch irrtümlich) ausgesprochenen endgültigen Strafnachsicht gegenstandslos geworden ist.

Es war daher spruchgemäß zu erkennen.

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