OGH 11Os66/14m

OGH11Os66/14m26.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. August 2014 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, Mag. Michel, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer, im Verfahren zur Unterbringung des Johannes G***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 18. April 2014, GZ 211 Hv 6/14k‑45, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0110OS00066.14M.0826.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Johannes G***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat er am 17. November 2013 in F***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer dauerhaften wahnhaften Störung (ICD‑10:F22.0) beruht, Johanna L***** widerrechtlich gefangen gehalten, indem er sie gegen ihren Willen für sechs Stunden und 40 Minuten in das im ersten Obergeschoß gelegene Schlafzimmer ihrer Wohnung sperrte, ein Möbelpaket unter die Türschnalle keilte, den Strom abdrehte und die Verriegelung der Türe erst zufolge Einschreitens der Polizei entfernte, mithin eine Tat begangen, die ihm außer diesem Zustand als das Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB zuzurechnen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, „9“ und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

Unter dem Aspekt der Z 3 und 4 des § 281 Abs 1 StPO macht die Rüge im Wesentlichen geltend, dass das Recht der Zeugin Johanna L***** auf Befreiung von der Aussage zufolge Bestehens einer Lebensgemeinschaft zu Unrecht missachtet worden sei.

Der aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO erhobenen Verfahrensrüge ist vorweg entgegen zu halten, dass das Entschlagungsrecht gerichtlicher Überprüfung unterliegt (RIS‑Justiz RS0117927).

Indem der Beschwerdeführer die für die Nichtgewährung des Entschlagungsgrundes herangezogene Sachverhaltsgrundlage durch Verweis auf einzelne Vernehmungspassagen kritisiert, dabei aber die weiteren Angaben der Zeugin Johanna L***** übergeht, wonach sie den Kontakt zum Betroffenen etwa eine Woche vor dem Vorfall abgebrochen bzw eingeschränkt habe, weil sie ihn nicht mehr in der Wohnung haben wollte (ON 44 S 7 f), gelingt es ihm weder einen den Feststellungen anhaftenden Begründungsmangel aufzuzeigen noch erhebliche Bedenken an deren Richtigkeit zu erwecken (RIS‑Justiz RS0118016 [T2]).

Entgegen der Kritik (Z 4) wurde der Antrag der Verteidigung auf Vornahme einer Belehrung der Zeugin im Sinne des § 156 Abs 1 Z 1 StPO ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen.

Die das Bestehen einer Lebensgemeinschaft verneinenden rechtlichen Überlegungen des Erstgerichts zu der nur knapp 14 Tage andauernden, auf gelegentlichen Geschlechtsverkehr, wiederholtes Übernachten jeweils in der Wohnung des anderen, Einkaufen und gemeinsame Unternehmungen beschränkten Beziehung treffen nämlich zu (US 7 f). Selbst nach Auflösung einer einmal bestandenen Lebensgemeinschaft besteht von vornherein kein faktisches, den geschützten verwandtschaftlichen Gefühlen gleichzusetzendes Verpflichtungsverhältnis mehr (RIS‑Justiz RS0105913). Ob Johanna L***** mit dem Betroffenen im Falle einer Entlassung aus der vorläufigen Anhaltung allenfalls eine Lebensgemeinschaft eingehen möchte oder nicht, betrifft keinen für das Entschlagungsrecht bedeutsamen Umstand.

Mit seinem im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) erhobenen und gegen die Feststellungen zur Prognosetat gerichteten Vorbringen ist der Betroffene auf die Erledigung der Sanktionsrüge zu verweisen.

Die konstatierte Dauer der Freiheitsentziehung von mehr als fünf Stunden blieb von den Tatrichtern nicht unbegründet (Z 5 vierter Fall), sondern wurde aus den amtlichen Wahrnehmungen der einschreitenden Polizeibeamten und den Angaben der Zeugin Johanna L***** abgeleitet (US 11).

Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurden die Depositionen der genannten Zeugin, nur ein einziges Mal, nämlich gegen 1:00 Uhr, versucht zu haben, das Zimmer durch Betätigen der Klinke zu verlassen, in die Erwägungen der Tatrichter miteinbezogen (US 11).

Soweit sich das weitere Vorbringen der Mängelrüge darin erschöpft, den Annahmen der Tatrichter eigene Beweiswerterwägungen entgegenzustellen, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) des Erstgerichts.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810).

Indem die Rechtsrüge (dSn Z 9 lit a) darauf verweist, dass sich Johanna L***** in ihrem Schlafzimmer selbst eingesperrt und auch die Polizei mit ihrem Mobiltelefon verständigt habe, dabei aber die Feststellungen übergeht, wonach der Betroffene Johanna L***** um 1:00 Uhr als seine Gefangene bezeichnete, im Verlaufe der Nacht immer wieder erklärte, dass sie nun sehe, wie es im Knast sei und nun „dran sei“, die Türklinke durch Einkeilen eines Möbelstücks blockiert hatte, sich weigerte, die Türe zu öffnen und dass die von Johanna L***** ab 2:00 Uhr geführten Telefonate (zunächst) nicht die erwünschte Hilfe erbracht hatten (US 4), wird sie den dargelegten Anfechtungskriterien nicht gerecht.

Dem Einwand der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter sämtliche der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen für die Gefährlichkeitsprognose (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) berücksichtigt (US 2 ff, 5 f, 13).

Entgegen dem im Rahmen der Mängelrüge erhobenen Vorbringen (dSn Z 11 zweiter Fall) blieb die von den Tatrichtern als konkrete Gefahr bezeichnete Annahme (vgl RIS‑Justiz RS0090401) der hohen Wahrscheinlichkeit künftiger (entsprechend gravierender) Tatbegehung nicht unbegründet, sondern wurde vom Schöffensenat auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. Sch***** und Univ.‑Prof. Dr. W***** gestützt (US 5). Die Auseinandersetzung mit anderen Taten des Betroffenen ist ein disloziertes Berufungsargument (vgl 11 Os 33/12f, 12 Os 47/10v uva).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

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