OGH 11Os6/20x

OGH11Os6/20x1.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Johann B***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 21. Oktober 2019, GZ 9 Hv 13/18w‑63, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00006.20X.0401.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im schuldig sprechenden Teil, demzufolge auch im Strafausspruch und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts Eisenstadt verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche von weiteren Vorwürfen enthaltenden Urteil wurde Johann B***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „am 16./17. Oktober 2010“ in N***** Sabrina R***** eine schwere Körperverletzung zugefügt, indem er ihr unzählige Faustschläge ins Gesicht und gegen den Körper versetzte, wodurch sie mehrere Rippenbrüche links, eine Gehirnerschütterung, ein Gesichtshämatom, eine Brustkorbprellung sowie Prellungen des rechten Schlüsselbeins und der rechten Schulter, der Hüftbeine, beider Arme und des linken Ellenbogens sowie ein Nasenseptumhämatom erlitt.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Vorweg klarzustellen ist, dass – worauf auch die Nichtigkeitsbeschwerde hinweist – die rechtliche Beurteilung des vom Schuldspruch umfassten Täterverhaltens als – mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedrohtes – Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (idF BGBl I 2015/154) zufolge des nach § 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleichs rechtlich verfehlt war, weil die zur Tatzeit im Jahr 2010 auf die angelastete Handlung anzuwendenden Bestimmungen nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB idF BGBl 1987/605 lediglich eine Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorsahen, womit sich die zur Tatzeit gültige Rechtslage als günstiger als das vom Erstgericht angewendete Urteilszeitrecht erweist.

Zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit b) des Angeklagten das Fehlen von Feststellungen zu verjährungshemmenden Umständen auf.

Der Schuldspruch erfolgte wegen einer am „16./17. Oktober 2010“ begangenen Tat, die (richtig:) dem Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB idF BGBl 1987/605 zu subsumieren wäre (US 1, 4).

Zufolge der Strafdrohung des § 84 Abs 1 StGB idF BGBl 1987/605 (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren) beträgt die diesbezügliche Verjährungsfrist (wie im Übrigen auch zum vom Erstgericht verfehlt angenommenen Verbrechen nach § 84 Abs 4 StGB idgF) gemäß § 57 Abs 3 StGB fünf Jahre. Ungeachtet des Tatzeitpunkts „16./17. Oktober 2010“ hat das Erstgericht – auch unter Berücksichtigung, dass gemäß §§ 31, 40 StGB auf eine Verurteilung vom 4. März 2016 Bedacht genommen wurde (US 2) – keine Feststellungen zu verjährungshemmenden Umständen getroffen.

Machen aber fehlende Feststellungen – hier zu verjährungshemmenden Umständen – die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend Verjährung) unschlüssig, liegt ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (hier Z 9 lit b) vor (RIS‑Justiz RS0122332 [T1 und T6, insbesondere zuletzt T11]).

Bleibt mit Blick auf den zweiten Rechtsgang anzumerken:

1./ Begeht ein Täter innerhalb der Verjährungsfrist neuerlich eine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende strafbare Handlung, läuft die Verjährungsfrist für die erste Tat zwar weiter, sie kann aber nicht ablaufen, bevor auch für die zweite Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist (Marek in WK² StGB § 58 Rz 6; RIS‑Justiz RS0128998 [T2]). Es wird daher zu berücksichtigen sein, dass die „Neigung zu haltlosem Sich-Betrinken“ als Charaktermangel iSd § 71 StGB qualifiziert werden kann (Jerabek/Ropper in WK² StGB § 71 Rz 9 mwN; RIS‑Justiz RS0091492). So beruht beispielsweise auch eine Vorstrafe nach § 127 StGB wegen eines alkoholisiert, wenngleich nicht im Vollrausch begangenen (daher nicht nach § 287 StGB strafbaren) Diebstahls auf der gleichen schädlichen Neigung wie eine spätere Straftat nach § 287 (§ 83) StGB (vgl Rainer, SbgK § 71 Rz 12 mwN). Ob nach den Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0092151) die der Verurteilung des Angeklagten durch das Landesgericht Wiener Neustadt vom 4. März 2016, AZ 51 Hv 83/15p, zu Grunde liegende Tat in diesem Sinn einschlägig ist, wird zu prüfen sein.

2./ Das Verbot der reformatio in peius gilt nur für den Sanktionenbereich (RIS‑Justiz RS0100565; Ratz,WK‑StPO § 290 Rz 31 ff, 59). Dementsprechend ist das Gericht im zweiten Rechtsgang in der Subsumtion frei und nur in der Strafbemessung an das Verschlimmerungsverbot gebunden (RIS-Justiz RS0098900 [T6]). Allerdings fällt die Tat – auch bei einer der Anklagebehörde folgenden rechtlichen Beurteilung als absichtliche schwere Körperverletzung mit Blick auf die in § 87 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 normierte Strafdrohung – jedenfalls in die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO; RIS‑Justiz RS0100271).

Demgemäß war in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

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