OGH 11Os32/02

OGH11Os32/023.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. September 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Haimböck als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Prince Frank M***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 2, 3 SMG und §§ 12, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die zugleich erhobene Beschwerde gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. Oktober 2001, GZ 4c Vr 9409/99-172, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, Prince Frank M***** habe die unter A I des Schuldspruches bezeichneten Taten als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher strafbarer Handlungen begangen, sowie demzufolge in der rechtlichen Unterstellung dieser Taten (auch) unter die Qualifikation des § 28 Abs 4 Z 2 SMG und im Strafausspruch unter Einschluss der Widerrufsentscheidung (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung und Beschwerde sowie mit der den Strafausspruch betreffenden Nichtigkeitsbeschwerde (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Der Angeklagte hat auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthält, wurde der am 25. Dezember 1979 geborene liberianische Staatsangehörige Prince Frank M***** des teils als Bestimmungs-, teils als unmittelbarer Täter begangenen, zum Teil in der Entwicklungsphase des Versuches verbliebenen Verbrechens (richtig: der Verbrechen) nach § 28 Abs 2 (zweiter, dritter und vierter Fall), Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 2 und 3 SMG und § 15 StGB (Punkt I des Urteilssatzes) sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG (II) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 10 Jahren verurteilt. Aus Anlass des Urteiles wurde die bedingte Nachsicht einer neunmonatigen Freiheitsstrafe widerrufen (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO).

Nach dem Inhalt des zusammengefasst wiedergegebenen Schuldspruches

hat der Angeklagte in Wien

(zu I)

1) (zu ergänzen: gewerbsmäßig) nachgenannte Personen zu strafbaren Handlungen nach dem SMG bestimmt, und zwar

a) im April 1999 zusammen mit den gesondert verfolgten (mittlerweile auch deswegen rechtskräftig verurteilten) Thomas Allien J***** und Jemis Paul K***** einen gewissen “Augusto G*****", dessen Identität ungeklärt blieb, zu einer den bestehenden Vorschriften widersprechenden Aus- und Einfuhr von rund 1 kg Kokain mit zumindest durchschnittlichem Wirkstoffgehalt, somit in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) jedenfalls übersteigenden Menge aus Brasilien über Deutschland nach Österreich, indem er dessen unter dem Namen “Patricia" auftretender brasilianischer Auftragsgeberin eine Anzahlung in Höhe von 1.500 $ überwies;

b) Anfang Juli 1999 Shely C*****, die am 5. Juli 1999 in Nickelsdorf den bestehenden Vorschriften zuwider 273,2 Gramm Kokain (187,8 Gramm Reinsubstanz) aus Ungarn aus- und ins Bundesgebiet einführte, indem er sie zur Schmuggelfahrt aufforderte, Treffpunkt und Übergabeort in Budapest nannte und ihr während der Schmuggelfahrt Anweisungen erteilte;

2) zwischen 17. und 29. Juli 1999 die Brasilianerin “Patricia" neuerlich zur Einfuhr von insgesamt zwei kg Kokain zu bestimmen versucht, indem er die Einzelheiten des Suchtgiftschmuggels am Telefon erörterte und mehrmals ausrichten ließ, er habe das Geld bereits überwiesen, alles hänge nur von ihr ab;

3) von Ende Oktober 1998 bis Anfang Juli 1999 teilweise allein, teilweise mit der (verurteilten) Shely C***** Kokain mit nicht mehr feststellbarem, überwiegend jedoch zumindest durchschnittlichem Wirkstoffgehalt in Teilmengen verkauft, und zwar insgesamt 180 Gramm Kokain an im Spruch unter I 3 a bis d namentlich genannte sowie rund 4.000 Gramm an zahlreiche abgesondert verfolgte, namentlich nicht bekannte (e) Suchtgifthändler,

wobei er die Taten als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher strafbarer Handlungen und mit Beziehung auf ein Suchtgift beging, dessen Menge das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) bei weitem überstieg.

(zu II) den bestehenden Vorschriften zuwider zwischen Februar 1999 und 5. Juli 1999 Kokain zum gelegentlichen Konsum erworben und besessen.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 3, 4, 5 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; den Ausspruch über die Strafe ficht er mit Berufung, den Widerrufsbeschluss mit Beschwerde an.

Rechtliche Beurteilung

Mit der zum erstgenannten Nichtigkeitsgrund erhobenen Behauptung, eine Verlesung der Verfahrensergebnisse habe ungeachtet einer anderslautenden Protokollierung in der Hauptverhandlung vom 17. Oktober “de facto" nicht stattgefunden, weshalb die tragenden Urteilsfeststellungen auf Beweisen beruhten, die entgegen § 258 StPO nicht in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, macht der Beschwerdeführer keinen mit Nichtigkeit bedrohten Verfahrensmangel, sondern der Sache nach einen Begründungsmangel in der Bedeutung des § 281 Abs 1 Z 5 StPO geltend; indes zu Unrecht.

Nach dem allein maßgebenden Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls, dessen Berichtigung zudem nicht beantragt worden war, wurden die “bisherigen Verfahrensergebnisse sowie der Akteninhalt" einverständlich verlesen (S 183/V), was angesichts der mit 45 Minuten festgehaltenen Dauer des Beweisverfahrens, in dessen Rahmen sonst nur noch kurze Stellungnahmen des Angeklagten zu einigen wenigen Anklagepunkten erfolgten, auch unter dem Aspekt des Zeitfaktors nicht ausgeschlossen scheint. Vorliegend kann daher von einer bloßen Verlesungsfiktion keine Rede sein. Die Beschwerdeargumentation findet im Übrigen auch in der zitierten, in EvBl 1995/168 publizierten Entscheidung keine Stütze, liegt dieser doch der Fall zugrunde, dass Protokolle über Zeugenaussagen weder verlesen noch sonst dargestellt und somit auch nicht in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, weshalb sich die dort vertretene Auffassung des Erstgerichtes, die Aussagen hätten als verlesen “zu gelten", als unzutreffend erwies. Damit erledigt sich auch der unter § 281 Abs 1 Z 5 StPO nach dem Vorgesagten zu Unrecht erhobene Einwand der Heranziehung von Beweisen, welche nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Die als Verfahrensmangel (Z 3) weiters behauptete Verletzung der Beeidigungsvorschrift des § 240a StPO übersieht, dass die im Verfahren und an der Entscheidung mitwirkenden Schöffen am Beginn der Hauptverhandlung vom 5. April 2001 nach dem Inhalt des darüber aufgenommenen Protokolls (S 133/V) vereidigt wurden, weshalb die neuerliche Vereidigung dieser Schöffen in der Hauptverhandlung vom 17. Oktober 2001, welche somit im selben Kalenderjahr stattgefunden hat, ohne Nichtigkeitsfolge unterbleiben konnte.

Zur Geltendmachung der Verfahrensrüge (Z 4), mit welcher die Ablehnung der Ausforschung und Vernehmung der nur unter dem Namen “Patricia" bekannten Mittäterin in Brasilien kritisiert wird, ist der Beschwerdeführer mangels eines formell hinreichenden Beweisantrages nicht legitimiert. Mit der Zielsetzung der “Überprüfung der Aussagen des Angeklagten", der sich zur vorgeworfenen Drogenbeschaffung aus Brasilien nach seinem eigenen Vorbringen im schriftlichen Beweisantrag vom 2. Oktober 2000 (ON 146), den er in den mündlichen Verhandlungen ohne Ergänzungen aufrechthielt, “teilweise nicht schuldig", bekannte, werden keine Tatsachen behauptet, die durch die begehrte Beweisaufnahme nachgewiesen werden sollten. Als unzulässiger Erkundungsbeweis verfiel dieser Antrag daher zu Recht der Abweisung. Das zum Urteilsfaktum I 3 e (“Komplex Z*****") erstattete Vorbringen, mit welchem der Angeklagte als Unvollständigkeit des Ausspruches über entscheidende Tatsachen (Z 5) die Nichterörterung der Zeugenaussagen namentlich angeführter Heiminsassen moniert, geht fehl. Zwar gaben diese in die Drogenszene nach dem Akteninhalt nicht involvierten Bewohner des Lehrlingsheimes an, weder den Angeklagten noch den Namen “Mungopack" als Bezeichnung der im Heim tätigen Dealergruppe zu kennen, doch schlossen sie eine dort vorgenommene, nahezu tägliche Abwicklung von Drogengeschäften über einen mehrmonatigen Zeitraum, wie sie dem Angeklagten unter diesem Anklagepunkt zur Last gelegt wird, auch nicht aus. Angesichts der notorischen Geheimhaltung solcher Aktivitäten stehen die Angaben der Zeugen nicht im Widerspruch zum dennoch festgestellten intensiven, im Zimmer Nr. 45 unter Beteiligung des Beschwerdeführers durchgeführten Drogenhandel, weshalb sich das Schöffengericht, nicht zuletzt unter dem Aspekt einer gebotenen gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO), mit diesen Aussagen nicht auseinandersetzen musste. Im Recht ist die Beschwerde hingegen, soweit sie einen der qualifizierenden Annahme der Begehung der Taten als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen (§ 28 Abs 4 Z 2 SMG) anhaftenden Begründungsmangel (Z 5) releviert. Ihr ist zuzugeben, dass sich eine solche Mitgliedschaft aus den Angaben der Mittäter C***** und J***** (ON 117), worauf sich die Tatrichter als alleinige Beweisgrundlage berufen, weder zwingend (US 10) noch überhaupt ergibt. Denn während J***** bloß manchmal vom Beschwerdeführer Suchtgift gekauft (S 139 f/IV) und an einen schwarzafrikanischen Abnehmer weiterverkauft (S 137 f/IV), von einer großen, zum Verkauf großer Suchtgiftmengen verbundenen, im Lehrlingsheim Z***** agierenden Gruppe jedoch nichts gewusst haben will (S 141 f/IV), gestand C***** überhaupt nur den Verkauf von jeweils 30 Gramm Kokain und 30 Gramm Heroin an insgesamt ca fünf Personen (S 153 f/IV) und den Bezug des weiterverhandelten Suchtgiftes von einem “weißen" Afrikaner aus Marokko zu. An der Finanzierung des Ankaufs von Drogen aus Brasilien habe er sich nicht wissentlich beteiligt (S 159/IV), sondern dem Beschwerdeführer lediglich Geld zur Abwicklung eines “Geschäftes" geborgt (S 159/IV).

Der Schuldspruch zum Faktum I war daher im Qualifikationsausspruch nach § 28 Abs 4 Z 2 SMG und demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich des Widerrufsbeschlusses bereits in nichtöffentlicher Sitzung aufzuheben und dem Erstgericht die Neudurchführung der Verhandlung im Umfang der Aufhebung aufzutragen (§ 285e StPO), ohne dass auf den (zutreffend erhobenen) Einwand gegen die Nichtanwendung des § 36 StGB (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) einzugehen war. Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte