OGH 11Os28/01

OGH11Os28/0118.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. April 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Hartmann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Wilfried S***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 6. Dezember 2000, GZ 26 Vr 2227/99-57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewie- sen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wilfried S***** von der wider ihn wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB erhobenen Anklage gemäß § 259Z 3 StPO freigesprochen.

Dem Angeklagten wurde in der Anklageschrift zur Last gelegt, am 10. Juli 1999 in Innsbruck außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen zu haben, indem er seinen am 19. Jänner 1993 geborenen Enkelsohn Matthias S***** zu sich ins Bett nahm, den Körper des Kindes gegen den seinigen drückte und sein Glied an jenem des Kindes rieb (ON 15).

Rechtliche Beurteilung

Den ergangenen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bemängelt die Ablehnung eines Beweisantrages.

Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärte in der Hauptverhandlung vom 6. Dezember 2000, "sich im Hinblick auf die geradezu widersprechenden kinderpsychologischen Gutachten, wobei eines nur ein Privatgutachten ist, dem Beweisantrag des Verteidigers in der letzten Hauptverhandlung zum Beweis des Gegenteils anzuschließen" (S 431). In der vorangegangenen Hauptverhandlung vom 6. Oktober 2000 hatte der Verteidiger - sowohl gleichfalls wegen Widersprüchen zwischen den Ausführungen der beiden kinderpsychologischen Sachverständigen als auch wegen behaupteter innerer Widersprüchlichkeit des Gutachtens des Dr. Elmar K***** - den Antrag auf Einholung eines weiteren kinderpsychologischen Gutachtens gestellt (S 387). Die Durchführung dieses Beweisbegehrens war vom Schöffengericht jedoch bereits eingangs der Hauptverhandlung vom 6. Dezember 2000, somit noch vor der Antragstellung der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden (S 427).

Der Beweisantrag des Anklagevertreters ist schon in formeller Hinsicht mehrfach verfehlt. Zum einen kann sich eine Partei dem Antrag einer anderen schon begriffslogisch nur so lange anschließen, als über ein solches Begehren noch nicht durch Zwischenerkenntnis des Gerichtes abgesprochen wurde, was aber hier schon der Fall war. Zum anderen hat die Verteidigung bei ihrer seinerzeitigen Antragstellung kein Beweisthema angegeben, sondern nur auf die vorbezeichneten Widersprüche hingewiesen, weshalb es der Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, sich dem Beweisantrag des Verteidigers "zum Beweis des Gegenteils" anzuschließen, auch an der Anführung eines konkreten Beweisthemas gebricht.

Das Beweisbegehren der Staatsanwaltschaft wäre überdies (selbst auf Basis der im Rechtsmittel nachgetragenen, somit als verspätet und daher unbeachtlichen Argumentation) sachlich nicht begründet gewesen.

Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist (unabhängig von dessen Alter) Sache des erkennenden Gerichtes, das zufolge des Fehlens jeglicher Beweisregel (§ 258 StPO) grundsätzlich auch nicht an ein - ausnahmsweise, nämlich etwa bei Vorliegen objektiver Anhaltspunkte für eine Entwicklungsstörung oder einen sonstigen psychischen Defekt - eingeholtes psychologisches Sachverständigengutachten über die Aussagefähigkeit und Aussageehrlichkeit von Zeugen, insbesondere von Kindern gebunden ist. Zweck eines derartigen Gutachtens ist es nämlich lediglich, das Gericht auf für die Beweiswürdigung allenfalls erhebliche Umstände aufmerksam zu machen, wogegen ein Sachverständigengutachten über die Glaubwürdigkeit schlechthin der Strafprozessordnung fremd ist (vgl insbes 15 Os 88/97 mwN).

Demgemäß war das Erstgericht im konkreten Fall - ohne insoweit durch die Bestimmungen der §§ 118 Abs 2, 126 StPO gebunden zu sein - befugt, sich unter Berücksichtigung der übrigen Beweismittel (einschließlich des Gutachtens des Univ. Prof. Dr.Werner L***** über eine allfällige Neigung des Angeklagten zu pädophilem Verhalten - vgl ON 52) dem schon ab dem Stadium des Einspruchs gegen die Anklageschrift vorliegenden und gemäß § 252 StPO verwertbaren (vgl S 431) psychologischen (Privat)Gutachten des Mag. Herbert M***** (ON 17 samt Ergänzung ON 30) anzuschließen und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Elmar K***** (ON 13 samt Ergänzung ON 26 sowie S 381 ff) nicht zu folgen.

Von der Beschwerdeführerin wurde auch weder die Befähigung des Mag. M***** zur Gutachtenserstattung bestritten noch eine Mangelhaftigkeit dieses Gutachtens im Sinne der §§ 125 f StPO behauptet. Es wurden demnach durch die - der freien Beweiswürdigung des Erstgerichtes unterliegende - Ablehnung der Beiziehung eines weiteren kinderpsychologischen Sachverständigen keinerlei Gesetze oder Verfahrensgrundsätze hintangesetzt oder unrichtig angewendet, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Strafverfolgung sichernden Verfahrens geboten gewesen wäre.

Dazu kommt noch, dass die erforderliche Zustimmung des unmündigen Zeugen weder im Beweisantrag noch in der Beschwerde dargetan wurde. Auch der Sitzungsvertreter der Beschwerdeführerin hat es in der Hauptverhandlung unterlassen, den Zeugen oder dessen gesetzlichen Vertreter nach einer solchen Zustimmung zu befragen oder einen Antrag auf Einholung dieser Zustimmung durch das Gericht zu stellen.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.

Ebensowenig im Recht ist die Beschwerdeführerin mit ihrer Mängelrüge (Z 5).

Die Beurteilung der Aussage des unmündigen Zeugen Matthias S***** hing vorliegend ausschließlich von der Beantwortung der Frage ab, ob dessen belastende Angaben auf einer von der Kindesmutter suggestiv bewirkten Projektion ihrer eigenen Befürchtungen oder auf tatsächlichen Erlebnissen beruhten (vgl hiezu auch die eine bewusste Falschaussage ausschließenden Ausführungen des Sachverständigen Mag. M*****, S 235). Die Bekundung der Kindergärtnerin Stanja G*****, dass der Unmündige nie gelogen habe (S 377), betrifft somit ein dem Genannten gar nicht unterstelltes Verhalten. Diese Aussagepassage bezieht sich demnach auf keinen entscheidungswesentlichen Umstand und war daher nicht erörterungsbedürftig. Gleiches gilt für die Bestätigung der Genannten, dass der Unmündige "eigentlich" einen sehr selbständigen Willen gehabt habe (neuerlich S 377), weil auch ein solcher kindlicher Wille eine massive Suggestion durch nahe Angehörige nicht auszuschließen vermag.

Soweit sich die Beschwerdeführerin noch auf einen - bloß isoliert hervorgehobenen - Teil aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K***** beruft, wonach eine "induzierte" Aussage des Unmündigen nicht anzunehmen wäre, weil dieser infolge seiner Ablehnung einer weiteren Erörterung des tatrelevanten Geschehens durch die Mutter auch zu einer kritischen Sicht der Genannten befähigt sei (S 217), gerät sie auf das ihr unter dem Aspekt der Mängelrüge verwehrte Gebiet der Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung.

Ob sich der Kriminalbeamte Peter A***** bei seiner Befragung des unmündigen Matthias S***** darauf beschränkte zu klären, ob es zwischen dem Kind und seinem Großvater überhaupt zu irgendeinem (jede Form der Berührung miteinschließenden) Körperkontakt gekommen ist (worauf in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug genommen wird - US 8) oder ob von diesem Beamten überdies gezielt nach etwaigen Berührungen mit der Hand gefragt wurde (S 429 f), ist im Hinblick auf den Umstand, dass der Unmündige seinen Großvater im Zuge dieser Befragung nicht belastete, ebenso wenig relevant wie der in einem Vermerk festgehaltene persönliche Eindruck des Beamten, wonach das Kind bei Vorhalt geschlechtlicher Handlungen unsicher und nervös geworden sei und sich gegen diesbezügliche Fragen gesperrt ("geblockt") habe (S 59 iVm 429). Demgemäß war das Gericht auch nicht verhalten, sich mit diesen Verfahrensergebnissen eigens zu befassen.

Formell unter dem Gesichtspunkt der Aktenwidrigkeit, die jedoch nur im Falle der unrichtigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder einer Aussage vorliegt und nicht durch eine behauptete Divergenz zwischen den Tatsachenfeststellungen und dem zu Grunde gelegten Beweismaterial begründet werden kann (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 185 und 191), beruft sich die Beschwerdeführerin auf Passagen aus dem lediglich isoliert gesehenen Gutachten des Sachverständigen Dr. K*****, aus dessen Ausführungen sie für ihren Standpunkt günstigere Schlussfolgerungen als das Erstgericht abzuleiten sucht. Solcherart kritisiert sie aber - unter dem relevierten Nichtigkeitsgrund erneut in unzulässiger Weise - nur die auf der gebotenen Gesamtsicht aller maßgeblichen Verfahrensergebnisse beruhenden beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter, womit sie ihre Mängelrüge (auch insoweit) nicht zur gesetzmäßigen Darstellung bringt.

Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO).

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