OGH 11Os182/08m (11Os183/08h)

OGH11Os182/08m (11Os183/08h)20.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schörghuber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mefail H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 34 HR 102/08a des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 20. Mai 2008, GZ 34 HR 102/08a-4, und des Oberlandesgerichts Wien vom 26. Juni 2008, AZ 23 Bs 240/08z, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Mefail H***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Mefail H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 34 HR 102/08a des Landesgerichts Wiener Neustadt, verletzen das Gesetz in §§ 104 Abs 1, 165 Abs 1 StPO

1./ der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 20. Mai 2008, GZ 34 HR 102/08a - 4, mit welchem der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 2. Mai 2008 auf kontradiktorische Einvernahme der Elisabeth H***** abgewiesen wurde;

2./ der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 26. Juni 2008, AZ 23 Bs 240/08z (= GZ 34 HR 102/08a-7), mit welchem der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den zu 1./ bezeichneten Beschluss nicht Folge gegeben wurde.

Text

Gründe:

Gegen Mefail H***** ist zur Zahl 55 BAZ 442/08y der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein Strafverfahren wegen Verdachts des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB anhängig. Nach Berichten der Polizeiinspektion Traiskirchen soll der Genannte am 3. Jänner 2008 seine geschiedene Ehefrau Elisabeth H***** in M***** durch das Versetzen von Faustschlägen, die Prellungen des Brustkorbs und Schürfungen und Hämatome im Gesichtsbereich zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt haben.

Am 7. Jänner 2008 wurde das Opfer von der Kriminalpolizei als Zeugin befragt, wobei eine Belehrung über das Recht, als geschiedene Ehefrau des Beschuldigten nicht auszusagen (§§ 156 Abs 1 Z 1, 159 Abs 1 erster SatzStPO) unterblieb. Nach ihren Angaben zur Sache erklärte Elisabeth H*****, sich dem Verfahren als Privatbeteiligte anzuschließen (ON 2 S 19). Bei seiner Einvernahme am 13.April 2008 räumte der Beschuldigte Gewaltanwendung gegenüber seiner geschiedenen Frau ein und führte aus, mittlerweile wieder in einer Lebensgemeinschaft mit ihr zu stehen (ON 2 S 9ff).

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beantragte im Ermittlungsverfahren gegen Mefail H***** wegen § 83 Abs 1 StGB am 2. Mai 2008 die Durchführung einer kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin Elisabeth H***** gemäß § 165 Abs 1 und 2 StPO, weil zu besorgen sei, dass deren Einvernahme in der Hauptverhandlung aus rechtlichen Gründen (§ 157 Abs 1 Z 1 StPO) nicht möglich sein könnte (ON 1 S 1).

Mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 20. Mai 2008 (GZ 34 HR 102/08a - 4) wurde der Antrag mit der Begründung abgewiesen, der (erwachsenen) Privatbeteiligten Elisabeth H***** käme gemäß § 156 Abs 2 StPO keine Aussagebefreiung zu, weshalb - mangels Anhaltspunkts für ein bestehendes Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO - rechtliche Hindernisse für ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht vorlägen.

Gegen diesen Beschluss erhob die Staatsanwaltschaft mit der Argumentation Beschwerde, die Vernehmung des Opfers vor der Polizeiinspektion Traiskirchen sei mangels vorangegangener Belehrung (aufgrund § 159 Abs 3 erster Satz StPO) zur Gänze nichtig, sodass auch nicht von einer wirksamen Privatbeteiligung auszugehen wäre. Die Zeugin habe überdies ein Recht auf Aussageverweigerung nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO. Das Gericht unternehme somit eine - über die Prüfung der Gesetzmäßigkeit hinausgehende - Untersuchung der Zweckmäßigkeit der Beweisaufnahme, die dem Einzelrichter im Ermittlungsverfahren nicht zukomme (ON 5).

Das Oberlandesgericht Wien gab mit Beschluss vom 26. Juni 2008, AZ 23 Bs 240/08z (GZ 34 HR 102/08a-7) der Beschwerde nicht Folge. Nach seiner Auffassung sei die Privatbeteiligtenerklärung der Elisabeth H***** - unabhängig von der (nicht erfolgten) Belehrung über ihr Recht auf Aussagebefreiung - wirksam, ein Recht der Genannten auf Aussageverweigerung nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO sei nicht indiziert und die Besorgnis, ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung werde aus rechtlichen Gründen nicht möglich sein, könne nicht auf Spekulationen der Staatsanwaltschaft über eine mögliche künftige Rückziehung der Privatbeteiligtenerklärung gegründet werden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen diese Beschlüsse mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Das Angehörigenprivileg nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO hat zur Folge, dass eine Person, die Angehörige des Beschuldigten und damit von der Pflicht zur Aussage befreit ist, nur vernommen werden darf, wenn sie auf dieses Recht ausdrücklich verzichtet hat (§ 159 Abs 3 erster Satz StPO). Diese Aussagebefreiung gilt zwar nicht für erwachsene Personen, die als Privatbeteiligte am Verfahren mitwirken (§§ 67, 156 Abs 2 StPO), doch kann eine - selbst formlos gültige - Anschlusserklärung im weiteren Verfahren zurückgezogen werden (§ 67 Abs 3 letzter Satz StPO) und eine Aussagebefreiung nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO in Anspruch genommen werden.

Voraussetzung der Zulässigkeit einer kontradiktorischen Vernehmung nach § 165 Abs 1 StPO ist allein die Besorgnis, eine Vernehmung werde in der Hauptverhandlung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich sein. Der Begriff „zu besorgen" ist keineswegs nur im Sinn einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit zu verstehen; die bloße Möglichkeit, dass ein Zeuge in der Hauptverhandlung aus den angeführten Gründen nicht mehr aussagen werde, genügt (Kirchbacher, WK-StPO § 162a [aF] Rz 9).

Es ist wesentliches Element des Anklagegrundsatzes (Art 90 Abs 2 B-VG, § 4 StPO), dass die Staatsanwaltschaft als Leiterin des Ermittlungsverfahrens - und nicht das Gericht - entscheidet, welche (weiteren) Erhebungen auf Basis der Sach- und Rechtslage der Entscheidung über die Anklage dienlich sind (§ 101 Abs 1 StPO; Fabrizy, StPO10 § 98 Rz 2, § 101 Rz 1;). Zweck des von der Staatsanwaltschaft in Kooperation mit der Kriminalpolizei zu führenden Ermittlungsverfahrens ist es, den Sachverhalt so weit zu klären, dass über Erhebung der Anklage oder eine Beendigung des Verfahrens entschieden werden und das Gericht eine zügige Durchführung des Hauptverfahrens bewerkstelligen kann. Die Tätigkeit des Gerichts ist auf die Kontrolle der Berechtigung von Grundrechtseingriffen, Gewährung von Rechtsschutz gegen die Verweigerung von Verfahrensrechten und eben auf die Aufnahme bestimmter, darunter in der Hauptverhandlung möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehender Beweise (§ 165 StPO) beschränkt. Gemäß § 104 Abs 1 StPO hat das Gericht von der Staatsanwaltschaft beantragte gerichtliche Beweise nach den dafür maßgebenden Bestimmungen aufzunehmen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, ohne darüber hinaus die Zweckmäßigkeit prüfen zu können.

Nach dem Register Verfahrensautomation Justiz hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt am 29. September 2008 Antrag auf Bestrafung des Mefail H***** wegen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB erhoben. Infolge der darüber dem Landesgericht Wiener Neustadt gemachten Mitteilung (dort eingelangt am 1. Oktober 2008), ist das Ermittlungsverfahren beendet (§ 210 Abs 2 StPO).

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